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Gericht Kinderporno: Mann unschuldig vor Gericht

Ein Stendaler fiel Betrügern zum Opfer und geriet ins Visier der Justiz. Der Vorwurf: Verbreiten kinderpornografischer Schriften.

Von Wolfgang Biermann 12.08.2020, 23:01

Stendal l Am Ende eines an Spannung und Dramatik kaum zu überbietenden Prozesses hat das Amtsgericht Stendal einen nicht vorbestraften Stendaler vom Vorwurf des Verbreitens kinderpornografischer Schriften freigesprochen. Ein Freispruch „erster Klasse“ aus „tatsächlichen Gründen“, wie der Vorsitzende Richter Rainer Mählenhoff in der Begründung sagte. Und nicht nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“, wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte.

Der 30-jährige Vater eines Kleinkindes war nach Abschluss der Ermittlungen des Bundeskriminalamtes (BKA) von der Zentralstelle gegen Kinderpornographie bei der Staatsanwaltschaft Halle angeklagt, eine Bilddatei kinderpornografischen Inhalts besessen und am 23. Februar vorigen Jahres um 17.54 Uhr auf „Kik“, einem kostenlosen Instant-Messaging-Dienst zur Nutzung auf Smartphones und Tablets, abgeladen zu haben.

Für das Verbreiten kinderpornografischer Schriften droht im Regelfall laut Gesetz Gefängnis von mindestens drei Monaten bis zu fünf Jahren. „Kik-Messanger“ steht laut Wikipedia in dem Ruf, für Kriminelle mit pädophiler Neigung „besonders attraktiv“ zu sein, weil man dort anonym chatten und Daten austauschen könne.

Laut Anklage war von der dem Internet-Router zugeordneten IP-Adresse der Lebensgefährtin des Angeklagten die verbotene Bilddatei abgeladen worden. Daraufhin hatte die Polizei am 21. November vorigen Jahres eine Hausdurchsuchung vorgenommen und sämtliche Smartphones, Tablets und sonstigen Datenträger mitgenommen und ausgewertet. Gefunden wurde nichts, auch keine gelöschten Dateien; deshalb wurden dem Angeklagten tags darauf sämtliche Gerätschaften wieder ausgehändigt.

Von der Polizei als Beschuldigter am selben Tag gefragt, ob er etwas zum Tatvorwurf zu sagen habe, hatte er Nein gesagt. Das begründete seine Verteidigerin damit, dass ihr Mandant mit dem Tatvorwurf überhaupt nichts zu tun habe. Was hätte er dazu sagen sollen?, so ihre Frage. Wahrscheinlich sei die zum Upload der Datei auf „Kik“ verwendete IP-Adresse gefälscht gewesen und der Stendaler so in Verdacht geraten. „Ich habe so etwas nicht gemacht“, sagte der Angeklagte denn auch auf Frage von Staatsanwalt Thomas Kramer.

Laut schriftlich in der Akte vorliegender Auswertung aller Internetaktivitäten des Angeklagten vom Tattag durch den Provider ergab sich laut Richter Mählenhoff kein Einloggen auf „Kik“ zur angeklagten Tatzeit. Da war guter Rat teuer. Prozess aussetzen und zu einem späteren Termin mit Ladung der zuständigen BKA-Ermittlerin als Zeugin fortsetzen oder einstellen?, lautete die Frage. „Einstellen geht bei dem Tatvorwurf nicht – entweder Freispruch oder Urteil“, sagte Staatsanwalt Kramer. Die zuständige Bearbeiterin beim BKA hatte aber schon in einem Vorgespräch gegenüber dem Gericht abgewinkt. Wegen eines Bildes würde sie nicht von Wiesbaden nach Stendal kommen, wo es doch Tausende Fälle gebe, in denen es um meist viel mehr gehe. Und so telefonierte Richter Mählenhoff aus dem Saal heraus mit dem BKA in Wiesbaden.

Allerdings konnte man ihm dort nicht erklären, warum in der 130 Seiten umfassenden Gerichtsakte nicht einmal das angebliche Einloggen des Angeklagten beim Provider verzeichnet war. Es gebe diesbezüglich nur einen „Zeitstempel“, hieß es aus Wiesbaden. Aber keine konkrete Zuordnung, hielt Richter Mählenhoff dagegen. Das Abladen der Datei soll laut Akte von einem iPhone getätigt worden sein.

Ein iPhone hatte der Angeklagte zu dem Zeitpunkt aber gar nicht, nur seine Lebensgefährtin. Das aber sei laut Stendaler Polizei „sauber“ gewesen, hielt das Gericht fest. Die Vernehmung der 28-jährigen Lebensgefährtin als Zeugin, die ihr Kleinkind aus Mangel an Betreuungsmöglichkeiten mit ins Gericht gebracht hatte, ergab auch keine neuen Erkenntnisse. Und so kam es schließlich zum Freispruch, und Tränen der Erleichterung bei der Lebens- gefährtin.