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Literaturabend in der Sommerschule Wust über die Dichterin Gertrud Kolmar Große Poesie in Zeiten der Gewalt

Von Ulrich Hammer 12.07.2010, 05:54

Wust. Eva-Maria Alves aus Hamburg ist eine exzellente Kennerin der jüdisch-deutschen Literatur- und Kunstszene im Berlin der 20er/30er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Die Journalistin, Hörspiel- und Buchautorin hat sich unter anderem seit mehreren Jahren mit dem Werk der 1943 in Auschwitz ermordeten Gertrud Kolmar beschäftigt.

Ihr Vortrag am Sonnabend-abend im Wuster Speicher bot inhalts- und detailreiche Einblicke in Leben und Schaffen der Künstlerin. Sie gehört neben Else Lasker-Schüler zu den begabten Schriftstellerinnen und Poeten im damaligen Berlin und darf in einem Atemzug mit Anette Droste-Hülshoff genannt werden.

"Ich bin fremd" steht über ihrem Leben und sie bekennt: "… ich möchte eine Forschungsreise in mein eigenes Land machen", denn "nun seh´ ich mich selbst und kann mich nicht kennen!"

Ihre Poesie ist durchdrungen vom Wortschatz des alten Testaments und sucht stets Halt in der Geborgenheit Gottes, ohne dabei in Frömmelei zu verfallen.

Im Elternhaus – der Vater ist ein geachteter Rechtsanwalt – wächst sie in Geborgenheit auf, durchläuft Studien und erwirbt das Lehrerexamen für Fremdsprachen. Im ersten Weltkrieg muss sie ihre Liebe und ein ungeborenes Kind dem Ehrenkodex der Familie opfern. Seit ihrem 28. Lebensjahr lebte sie zurückgezogen im Elternhaus. Ihre Sorge gilt nach dem Tod der Mutter dem alternden Vater. Wegen ihm verlässt sie Berlin auch nicht, wird zwangsverpflichtet und schließlich 1943 in Auschwitz ermordet.

Ihr Werk ist gestaltet aus Persönlichem und überhöht Poetischem ohne naturalistische Wiedergabe autobiografischer Daten.

In ihrer Prosa, dem Roman "Die jüdische Mutter", erhebt sie Anklage gegen Gewalt und gibt bewegende Einblicke in die Psyche jüdischer Lebensansichten. Diese Mutter tötet aus dem Glauben an die göttliche Gerechtigkeit ihr durch Vergewaltigung geschändetes Kind. Auch die 1933 erschiene Folge "Das Wort der Stummen" soll Juden wie Christen treffen. Sie spiegelt Schwermut und Verzweiflung neben Hoffnung in Zeiten der Gewalt wider. Ihre letzten Worte vor der Verhaftung und Ermordung gelten der Kunst.

Ihr Leben konnten die Faschisten auslöschen, ihr Werk aber bleibt dank besonderer Zufälle und Umstände durch Vermittlung von Verwandten der Nachwelt erhalten und in unserem Bewusstsein lebendig für große Poesie des 20. Jahrhunderts.

Heute Abend um 20 Uhr liest die Lyrikerin Daniela Danz in der Wuster Kirche aus neuen Werken.