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Bielefelder Kunstgruppe macht aus Pflanzen- und Körperzellschnitten Kunstwerke Himmel und Hölle nah beieinander

Von Sibylle Sperling 24.10.2012, 01:13

Ein Kunstdozent setzt seine Schüler vor ein Mikroskop und lässt sie Zellschnitte anschauen. Sie sollen sich inspirieren lassen. Trude Behrend hat aus der Zellstruktur des Oleanders Papierkunst gemacht.

Stendal l "Als Kind habe ich immer Himmel und Hölle gespielt", erzählt die 70-jährige Trude Behrend. Auch bei ihren Kindern und Enkelkindern war das Spiel mit dem Schnapper beliebt. Nun hängen diese Papiergeschöpfe aus Kindheitstagen im Altmärkischen Museum. In der Ausstellung "Biologie und Kunst".

Es war der Bielefelder Kunstdozent Professor Peter Sommer, der vor einem Jahr auf die Idee kam, seine Schüler vors Mikroskop zu setzen. Unter ihren Linsen befanden sich Zellschnitte. Von Farnen, vom Oleander aber auch von Organen. Vom Magen oder vom Darm. Die Schüler sollten das, was sie sehen, abfotografieren. Und sich dann künstlerisch inspirieren lassen. Nun hängen im Altmärkischen Museum über 50 Werke, die eines gemeinsam haben: Künstler haben Zellquerschnitte verarbeitet, die einen haben gemalt, die nächsten haben Collagen oder Objektkunst kreiert.

"Ich fand seine Struktur ästhetisch, darum habe ich Oleander gewählt"

Die Lemgoerin Trude Behrend hat ihrem Kunstwerk den Titel "Himmel und Hölle" gegeben. In die Papierformen hat sie die Zellquerschnitte des Oleanders eingearbeitet. "Ich fand seine Struktur unheimlich ästehtisch, darum habe ich Oleander gewählt." Obwohl sie das Spiel aus Kindheitstagen Hunderte von Male gespielt hatte, konnte sie sich nicht mehr daran erinnern, wie man "Himmel und Hölle" faltet. "Ich bin extra in einen Kindergarten gegangen, hab mir das von einer Erzieherin zeigen lassen", erzählt sie schmunzelnd.

Doch das war erst am Ende. Zuvor hatte sie im Kurs ihren Körper gezeichnet. Vier ihrer Bilder hängen da an der Wand in den Ausstellungsräumen. "Psychische und physische Folgen einer Tumorerkrankung" steht darunter geschrieben. Die Bilder zeigen den Umriss einer Frau, auf den Behrend teilweise den Oleanderquerschnitt eingearbeitet hat. Plötzlich wird sie ganz still und erklärt ruhig: "In den Bildern habe ich meine Geschichte verarbeitet."

"Wenn die Zellen ungebremst wuchern, dann ist das die Hölle"

Auch ihr Objekt "Himmel und Hölle" erzählt von den Tücken der Krankheit, zeigt die zwei Seiten des Zellwachstums. Behrend hat den Himmel mit der positiven Seite gleichgesetzt: Dass Zellen sich erneuern und wachsen, bedeutet für sie Leben. Doch der Grat, der zwischen Himmel und Hölle liegt, ist ein sehr schmaler. Wie leicht es ist abzurutschen, weiß die Künstlerin aus eigener Erfahrung. "Wenn die Zellen ungebremst wuchern, dann ist das für mich die Hölle."

Als sie damals Peter Sommer, ihrem Kursleiter, ihre ganz eigene Umsetzung präsentierte, war er sehr überrascht. "Er hatte einfach nicht damit gerechnet, dass ich selbst betroffen war." Doch Sommer ist stolz auf seine Schüler. Viele sind bereits seit 20 Jahren in seinem Kurs. "Das sind keine Anfänger", sagt er. Und vielleicht ging es ihm bei den Werken Behrends genau so, wie er es zur Eröffnung der Ausstellung geschildert hatte: "Alle Kunstwerke sind auf den ersten Blick sehr ästhetisch. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, was sie wirklich sind: hintergründig. Und das macht die Ausstellung zu etwas ganz Besonderem."

Bis zum 30. November gastiert die Ausstellung der Bielefelder Kunstgruppe "Kunst und Biologie" noch im Altmärkischen Museum. Sie ist von 10 bis 16 Uhr, am Wochenende von 13 bis 18 Uhr geöffnet.