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Industriebrache Gießereihallen in Tangerhütte verkauft

Die historische Gießereihallen in Tangerhütte sollen für einen Euro verkauft werden. Das hat der Stadtrat trotz Widersprüche beschlossen.

Von Birgit Schulze 13.12.2019, 10:00

Tangerhütte l Der Stadtrat in Tangerhütte hat erneut den Verkauf der historischen Industriehallen (Gießerei I), die seit Jahrzehnten verfallen, beschlossen. Das 11800 Quadratmeter Grundstück soll für einen Euro an zwei lokale Investoren gehen, die die denkmalgeschützte Anlage erhalten, Lagerhallen errichten und an die Traditionsgießerei „TechnoGuss“ vermieten wollen. Der Beschluss ist nach Volksstimme-Informationen mit größerem Zuspruch als im November gefasst worden.

Dass der Verkauf jetzt zum zweiten Mal auf der Tagesordnung stand, hatte mit zwei Widersprüchen zu tun (Volksstimme berichtete). Sowohl Bürgermeister Andreas Brohm (parteilos) als auch der Vorsitzende des Vereins „Aus einem Guss“ und Stadtrat, Frank Dreihaupt (UWG Südliche Altmark), hatten widersprochen, unter anderem weil formal die Beratungsfolge nicht eingehalten worden war (der Bürgermeister äußerte auch, dass die Stadt nichts zu verschenken habe). Die vorherige Anhörung des Ortschaftsrates wurde jetzt nachgeholt, auch dort war dem Verkauf in dieser Woche mehrheitlich zugestimmt worden.

Kaufabsichten für Teile der Gießereihallen hatte es bereits seit Anfang Januar gegeben, der Antrag war aber nie in den Stadtrat gekommen, in Gesprächen mit den Kaufinteressenten soll Bürgermeister Brohm deutlich gemacht haben, dass er deren Vorhaben nicht unterstütze. Auch der seit August vorliegende Kaufantrag für den gesamten Komplex samt denkmalrechtlicher Stellungnahme wurde erst auf konkreten Antrag der Fraktion „WG Zukunft“ auf die Tagesordnung des Stadtrates genommen.

Neben einer Art Gegenangebot eines Tangerhütter Unternehmers, der auf die vor Jahren angefertigte Machbarkeitsstudie des Vereins „Aus einem Guss“ zur Umnutzung der Gießereihallen als Veranstaltungs- und Begegnungszentrum von sechs Millionen Euro Baukosten für die Hülle (ohne Einrichtung) verwies, gab es bereits im September auch die Ankündigung einer Spende für einen zehnprozentigen Eigenanteil der Kommune an einer Förderung.

Die Idee, die außergewöhnliche Industrieruine zu einem Veranstaltungszentrum mit überregionalem Charakter zu machen und das Ganze über eine Bürgergenossenschaft zu realisieren, hatte der Verein „Aus einem Guss“ im April 2018 im Neuen Schloss erstmals öffentlich vorgestellt. Als wenig später im Stadtrat ein Grundsatzbeschluss zur Unterstützung dieser Idee wegen Nichteinhaltung der Beratungsfolge von der Tagesordnung genommen wurde, zog sich der Verein zurück. Ein Jahr später sagte der Bürgermeister im Stadtrat, das Thema sei aus seiner Sicht durch.

Dass der Projektaufruf „Förderung von Investitionen in nationale Projekte des Städtebaus 2020“ erst Mitte Oktober veröffentlicht worden war und bis Januar alles eingereicht sein müsse, darauf wies jetzt Stadtrat Wolfgang Kinszorra (WG Zukunft) nach den Ausführungen des Bürgermeisters im Stadtrat hin. Im öffentlichen Teil hatte Bürgermeister Andreas Brohm zuvor im Rahmen einer Mitteilungsvorlage über dieses Förderprogramm (mit einem Eigenanteil von einem Drittel, nur bei Haushaltsnotlage zehn Prozent) und die Möglichkeit der Förderung für ein 6-Millionen-Euro-Projekt Gießereihallensanierung informiert.

Er sagte: „Wir sehen in den Industriehallen ein Objekt von nationaler Bedeutung“ (mit „Wir“ sei die Verwaltung gemeint, hieß es auf Nachfrage). Er wolle mit dem Stadtrat darüber diskutieren, ob es gewollt sei, einen Antrag zu stellen, ergänzte er und verwies auch noch einmal auf das im Verein „Aus einem Guss“ erarbeitete Konzept zur Umnutzung der Hallen hin zu einem Veranstaltungszentrum.

Weil der Bürgermeister nur wenige Minuten zuvor noch davon gesprochen hatte, dass es in der Verwaltung zu wenig Ressourcen für die zeitnahe Erstellung von Sitzungsprotokollen und die geschäftsordnungskonforme Vorbereitung von Sitzungen gebe, erntete er nun Unverständnis: „Wir haben auch keine Ressourcen für den neuen Haushaltsplan, den wir bisher nicht kennen, aber für Luftschlösser?“, ärgerte sich Marcus Graubner (CDU).

Und Wolfgang Kinszorra fügte hinzu: „Wir haben offiziell in diesem Stadtrat noch kein Konzept über viele Millionen Euro vorgestellt bekommen. Wie wollen Sie das mit den knappen Ressourcen der Verwaltung umsetzen?“ Er wollte auch vom Bürgermeister wissen, warum denn nicht eine Förderung für das seit Jahren zu sanierende Kulturhaus beantragt wurde. Das ginge in diesem Rahmen als Projekt von nationaler Bedeutung nicht, antwortete Brohm.

Als es um die vorausgegangenen Widersprüche gegen den Verkauf ging, die nur erklärt, aber nicht mehr diskutiert wurden, erläuterte Bürgermeister Brohm, dass er laut Paragraf 65 Kommunalverfassungsgesetz (KVG) verpflichtet sei, in Widerspruch zu gehen, wenn er die Wirtschaftlichkeit für die Kommune verletzt sehe.

Ob er gegen den neuen Beschluss zum Verkauf erneut vorgehen wird, dazu äußerte sich Bürgermeister Andreas Brohm gestern der Volksstimme gegenüber noch nicht. Er könne das erst tun, wenn der Beschluss öffentlich bekanntgemacht sei. Im Paragraf 65/3 KVG heißt es: „Der Hauptverwaltungsbeamte muss Beschlüssen der Vertretung widersprechen, wenn er der Auffassung ist, dass diese rechtswidrig sind. Er kann Beschlüssen widersprechen, wenn diese für die Kommune nachteilig sind.“