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Juri-Gagarin-Schule Integration mit Wort und Herz

An der Juri-Gagarin-Schule werden schon seit 20 Jahren Kinder anderer Nationen gefördert und integriert.

Von Thomas Pusch 03.11.2015, 00:01

Stendal l Gruselig-gemütlich sieht es im Klassenraum der Juri-Gagarin-Grundschule aus. Halloween steht kurz bevor und so gehören die Protagonisten des Geisterfestes auch zum Deutschunterricht. Es ist ein ganz besonderer Deutschunterricht – Erwin, Shamo, Kadisha, Sipan, Paja und Sarab kommen aus Syrien und dem Irak, Zaky aus Frankreich. Sprachlerngruppe heißt das an der Gagarin-Schule. Die Klassenkameraden haben derweil ihre reguläre Deutschstunde. „Aber auch bei denen geht es um Halloween“, erklärt Schulleiterin Monika Teichert, dass die Inhalte aneinander angepasst werden.

Bilder sind an der Tafel, darunter steht das Wort. Gemeinsam lesen alle: Spinne, Spinnennetz, Kürbis, Geist, Hexe, Fledermaus. Und auch der Plural wird geübt. „Es heißt ein Geist, wie heißt es, wenn es mehrere sind?“, fragt Birgit Schmidt. Sie ist schon seit vier Jahren mit dieser Form der Sprachförderung an der Schule vertraut, baut zu den Kindern einen besonderen Draht auf. „Die Geister“, bekommt sie schließlich als Antwort.

Nun wird der Unterricht greifbar, auf dem Tisch ist eine Halloween-Decke ausgebraitet, auf der nun Gegenstände liegen, die die Kinder eben mit Namen kennengelernt haben. Da ist der Kürbis, gleich daneben die Spinne und auch der Geist ist da. Der Lerneffekt auch, denn jetzt wissen die Viertklässler schon, wie die einzelnen Dinge heißen. Zeit für etwas Bewegung. Monika Teichert legt den Halloween-Blues auf und die Kinder tanzen um den Tisch. Dann gibt es ein Arbeitsblatt und für Monika Teichert die Gelegenheit, auf die Integrationsgeschichte ihrer Schule zurückzublicken.

„Es sind jetzt genau 20 Jahre, die wir uns mit diesem Thema befasssen“, sagt sie im Gespräch mit der Volksstimme. Zwei Jahrzehnte Willkommens- und Migrationskultur. 1995 waren es 95 Kinder. „Damals größtenteils noch Russlanddeutsche und Vietnamesen“, erläuterte Teichert. Derzeit seien es 70 Schüler aus 18 Nationen. Allerdings werde sich diese Zahl im Laufe des Schuljahres nach oben entwickeln.

„Damals hat doch noch niemand an besondere Fortbildungen für die Lehrer gedacht“, erinnert sie sich. Heutzutage kämen jede Woche gleich mehrere E-Mails mit Angeboten in dieser Richtung. An der Juri-Gagarin-Schule musste man sich 1995 so seine eigenen Gedanken machen, wie Kinder mit einer anderen Muttersprache eingegliedert werden können. „Neulich habe ich einen Brief gefunden, den ich 1995 an die Stadtverwaltung geschickt habe, in dem einige Vorschläge für die Unterrichtsgestaltung stehen“, beschreibt sie die Anfänge.

Als Exot habe man damals die Schule in Stadtsee bezeichnet, nur dort habe man sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Durch die steigenden Flüchtlingszahlen seien nun auch andere Schulen betroffen. Nicht nur die Fortbildungsangebote seien größer geworden, auch das Verständnis. Was bei der Schulleiterin manchmal für Unverständnis sorgt. Etwa, wenn Verwaltungsvertreter im Landkreis unterwegs sind und das Engagement der Lehrer an Dorfschulen loben. „Dann tun mir immer meine Kollegen leid, die keine besondere Beachtung finden, obwohl wir uns hier schon viel länger um die Integration kümmern und es auch nicht nur um drei Schüler geht.“

Bei Weitem nicht. In diesem Schuljahr wurden allein 26 Flüchtlingskinder eingeschult. Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund betrug in den vergangenen Jahren stets 30 bis maximal 45 Prozent. Doch Teichert ist weit davon entfernt, sich zu beklagen. Auseinandersetzungen auf dem Schulhof zwischen Kindern verfeindeter Nationen sind ihr völlig fremd. Auch hat sie noch keinen Fall eines muslimischen Mädchens gehabt, das nicht am Sport- oder Schwimmunterricht teilnehmen durfte. „Wir setzen uns mit den Eltern zusammen, erklären, wie wichtig das ist, und sie verstehen es dann auch“, heißt ihr Rezept. Und sie betont die menschliche Seite des Schulalltags: „Natürlich ist die Sprache das A und O, aber mindestens genauso wichtig ist die Psychologie, alle Kinder brauchen auch Zuwendung und Herzlichkeit.“

Die Stunde nähert sich dem Ende und zum Abschluss gibt es von Monika Teichert Süßes, nicht Saures. Kadisha möchte nicht. „Da ist kein Schwein drin“, verspricht ihr Teichert. Doch die Syrerin mag eben keine Gummibärchen. „Das nächste Mal bringe ich wieder etwas anderes mit“, kündigt Teichert an. Kadisha lächelt und geht in die Pause.