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Kirchenleitung Ein Mediator vor dem Herrn

Der Stendaler Superintendent Michael Kleemann steht vor seiner dritten Amtszeit. Was ihn daran reizt und welche Sorgen es gibt.

Von Nora Knappe 07.04.2018, 01:01

Stendal l Die erste Frage ist noch nicht gestellt, da bekennt Michael Kleemann mit Blick auf seinen Bürotisch: „Es ist nicht mein Ziel und Traum gewesen, auf so lange Zeit auf ein und derselben Stelle zu sein.“ Warum es dann doch so gekommen ist und warum er sich nun, nach zwei zehnjährigen Amtsperioden, um eine nochmalige Verlängerung und also seine Wiederwahl bewirbt, wird im Gespräch schnell deutlich.

„Es gibt für mich eigentlich kein schöneres Amt als das des Gemeindepfarrers, aber auch ein Superintendent hat viele Gestaltungsmöglichkeiten. Das Schöne ist, dass man Verantwortung trägt.“ Und die möchte Michael Kleemann – auch wenn er sich zwischendurch einmal auf eine andere Stelle beworben hatte – gern auch in seiner dritten Amtszeit wahrnehmen. Zumal die Altmark für den geborenen Thüringer zur Heimat geworden ist: „Ich lebe gern hier.“

Die administrative Leitung des Kirchenkreises Stendal, die Verantwortung für Finanzen und Personal, aber auch die geistliche Leitung sind für den 59-Jährigen weniger Last als vielmehr Erfüllung und „positive Herausforderung“, wie er es nennt. „Gottesdienste feiern kann ich ja trotzdem noch, das ist für mich ganz wichtig. Das hilft mir auch, auf dem Boden zu bleiben, dadurch bekomme ich mit, was im Gemeindeleben läuft und wo es hakt.“

Das Amt des Superintendenten berge eine große Palette an Aufgaben. Und dazu gehört zu einem großen Teil die des Moderators und Mediators: in Konflikten vermitteln, die streitenden Parteien zusammenbringen, auch mal ein klares Wort sprechen. Dass man sich damit nicht immer beliebt macht, liegt in der Natur der Sache. Das hält Kleemann aus. Zumal er sich dabei nicht des Brachialen, Autoritären bediene, sondern lieber auf Geduld und Überzeugungskraft setze.

Gibt es denn so viel Streit? „Den gab es schon immer in den Gemeinden“, sagt er und holt ein wirklich dickes Buch über die Historie der Altmark aus dem Regal, tippt lachend auf den Buchdeckel: „Darin können Sie nachlesen, wie sich die Pfarrer früher förmlich auf der Straße gehauen haben.“ Gehauen wird sich heute nicht mehr, aber Konflikte gibt es „wie überall, wo Menschen zusammenarbeiten“. Vor allem wenn es um die Streichung von Pfarrstellen geht, sorgt ein Superintendent nicht gerade für Freude. „Das ist ein Verlust, da ist Trauer im Spiel, die Menschen vor allem in den kleinen Orten überkommt das Gefühl von Abgehängtsein.“

Der in immer mehr Facetten deutlich werdende demografische Wandel macht auch vor der Kirche und ihren Mitgliedern nicht halt. Seit Beginn von Kleemanns Amtszeit im Jahr 1998 ist die Zahl der Kirchenmitglieder im Kirchenkreis Stendal um ein Drittel gesunken – auf rund 21100. „Und das nicht etwa, weil die Leute aus der Kirche austreten. Sie sterben, es werden zu wenige Kinder geboren, immer weniger Menschen lassen sich taufen.“ Die Angst vor fester Bindung und verlässlichem Engagement betrifft nicht nur Vereine, Feuerwehren oder Parteien, sondern eben auch die Kirche.

Wenn die Menschen fehlen, braucht man letztlich auch keine schönen, aber leeren oder gar sinnentleerten Gebäude mehr. So räsoniert Kleemann: „Ich wäre dafür, ein Baufasten auszurufen, um mit dem Geld mehr Mitarbeiterstellen zu erhalten und so den Rückzug aus der Fläche nicht noch weiter fortzuschreiben.“

Und doch würde er nicht so weit gehen zu sagen, dass er einen Mangel verwalte. „Uns als evangelischer Kirche geht es im europäischen Kontext vergleichsweise gut, und dem Kirchenkreis Stendal im Vergleich zu anderen Kirchenkreisen ebenfalls.“

Die gesellschaftlichen Auswirkungen des Bevölkerungsrückgangs einerseits und des stärkeren Rückzugs ins Private andererseits sieht Michael Kleemann zwar mit Sorge, aber er lässt sich davon nicht erschüttern. „So defätistisch kann ich im Amt nicht sein, da halte ich es eher mit der Lutherschen Hoffnung, Stichwort Apfelbäumchen.“ Den Menschen Mut machen, sie vom Sinnstiftenden gemeinsamen und gemeinschaftlichen Wirkens zu überzeugen, darin sieht der Superintendent die Herausforderung seines Amtes. „Die Gesellschaft braucht Kirche“, davon ist er überzeugt, denn mit ihren vielen Aufgabenfeldern von der Pflege über die Kinder- und Jugendarbeit bis hin zu Bildungs- und Freizeitangeboten mit der Musik als wichtigem Element trage Kirche zum Zusammenhalt der Gesellschaft bei.

„Eine unserer ganz wichtigen Aufgaben ist es außerdem, uns um Benachteiligte zu kümmern“, sagt Kleemann. „Was sich allein an Kinderarmut im Verborgenen ereignet, das ist besorgniserregend.“ Darum habe er Hochachtung vor all jenen vielen, die sich da engagieren. Und das sind nicht unbedingt alles Kirchenmitglieder. Auch wenn es Kleemann natürlich gern sähe, wenn sich mehr Menschen taufen ließen, weiß er dennoch um den hohen Wert solchen Engagements: „Auch wer nicht in die Kirche eintritt, sich aber im Ort für die Gemeinde, für den Friedhof, die Sanierung der Glocken einbringt – ist das nicht letztlich auch ein Kirchenmitglied?“ Ganz im umfassenden diakonischen Sinne, dem Dienst am Menschen also.

Derlei Fragen werden Michael Kleemann in seiner dritten Amtszeit weiter umtreiben. Wenn alles gut geht, wird er am Vormittag des 7. April auf der Synode des Kirchenkreises in Stendal wiedergewählt und ist dann weitere acht Jahre Superintendent, bis zu seinem Ruhestand. Und wenn doch nicht alles gut geht? „Dann muss ich mir ernsthaft Gedanken machen“, sagt er offen heraus. „Einen Plan B habe ich nicht.“