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Kritik Probleme der Landwirtschaft

Wie lautet die Kritik der Agrarwirte in Bismark an die Landesregierung? Innenminister Holger Stahlknecht hörte sich die Probleme an.

Von Axel Junker 05.07.2020, 20:00

Bismark l „Wie kann man die Landwirtschaft einer Klientel-Politik in die Hände geben?“, brachte Ronald Jacobs, Geschäftsführer der Agrarerzeuger-Genossenschaft Abbendorf (bei Diesdorf), sein Unverständnis über die seit 2016 währende Koalition aus CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Land sowie über die grüne Landwirtschaftsministerin Claudia Dalbert gegenüber Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) zum Ausdruck. „Wir fühlten uns nach der Landtagswahl vor vier Jahren betrogen.“ Die Landesregierung solle sich einmal angucken, was eine Psychologie-Professorin im ländlichen Raum so anstellt. „Wir haben Angst, das bei der nächsten Landtagswahl die gleiche Koalition herauskommt“, so Jacobs.

Den Besuch des Innenministers in Bismark hatten Einheitsgemeinde-Bürgermeisterin Annegret Schwarz (CDU) und die Stendalerin Xenia Schüßler, seit November 2018 Mitglied im Landesvorstand der CDU, eingefädelt. „Uns war wichtig, dass bei solchen Sommertouren von Politikern auch die ländliche Region berücksichtigt wird“, so Schwarz. Matthias Löber, Geschäftsführer der RinderAllianz, stellte als Gastgeber seinen Betrieb als Dienstleister für Rinderzüchter in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern vor. „Wir bieten Serviceleistungen für die Milch- und Fleischrindbetriebe im Land“, so Löber. Bei Bürgermeisterin Schwarz bedankte sich Löber, weil sie den Landwirtschaftsring ins Leben gerufen hat.

Für die Gesprächsrunde mit Holger Stahlknecht hatte Matthias Löber drei „Chef-Diplomaten“ aus dem Land (aus Abbendorf, Estedt und Teuchern) nach Bismark eingeladen, die für eine lebhafte Diskussion sorgen sollten. „Es ist schön, dass Sie uns heute Rede und Antwort stehen“, stellte Arnd Helm, Geschäftsführer der Landwirtschafts GmbH Osterland Teuchern (bei Weißenfels), mit Blick auf Holger Stahlknecht fest. „Wir hätten aber lieber mit Frau Dalbert gesprochen. Doch die will nicht mit uns reden.“

„Seit drei Jahren geht es mit der Landwirtschaft in Sachsen-Anhalt rückwärts“, sieht sich Arnd Helm im Einklang mit allen Landwirten. Sein Betrieb im Süden des Landes setzt seit Jahrzehnten auf regionale Vermarktung. „Wir schlachten jedes Jahr 1300 Schweine“, so Helm. „Wir züchten die Schweine, lassen sie in Weißenfels schlachten und verarbeiten sie dann bei uns.“ Sein Betrieb habe sich jahrelang gegen die Discounter-Ketten durchgesetzt. Nun gebe es aber Jahr für Jahr neue Einschränkungen bei der Schweinezucht, bei Tiertransporten und bei der Verarbeitung, die die Wertschöpfung auf dem Lande erschweren. Es gebe zum Beispiel in Sachsen-Anhalt fast keine EU-Schlachthöfe mehr. Im Süden des Landes habe er noch Glück, da die Rinder nach Altenburg und die Schweine nach Weißenfels gebracht werden können.

„Unsere Schweine sind in einer Viertelstunde im Weißenfelser Schlachthof“, berichtete Arnd Helm. „Wenn sie nicht auf der Straße von Tierschützern blockiert werden.“ Die könnten aber jederzeit zu ihm in den Betrieb und in die Ställe kommen. „Wir werden Tag und Nacht kontrolliert“, so Helm. Es könne nicht sein, dass das Handeln einiger schwarzer Schafe auf die gesamte Land- und Ernährungswirtschaft bezogen wird. Wer gegen Gesetze verstößt, dessen Betrieb müsse zugemacht werden. Und wer illegal in Betriebe eindringt, müsse ebenfalls bestraft werden.

Die „Bilder aus den Ställen“ und den Umgang damit in den Medien kritisierte auch Otto Mewes, Landwirt aus Estedt. „Die Bilder werden ins Netz gestellt und nichts wird hinterfragt“, so Mewes. „Bei dieser medialen Hochgeschwindigkeit bleibt keine Zeit mehr zur Aufklärung.“

Letzteres bestätigte Innenminister Holger Stahlknecht, der sich mehr auf das Zuhören als auf Erwiderungen und Klarstellungen konzentrierte. Die „mediale Hochgeschwindigkeit“ würde aber alle Bereiche betreffen. „Es wird irgendetwas ins Netz gestellt und man kommt mit Aufklärung und Richtigstellungen nicht mehr hinterher“, so Stahlknecht.

Otto Mewes berichtete weiterhin von einem 103-seitigen Gründer-Antrag, den er vor drei Jahren ausgefüllt hat, und über die jährliche, hochbürokratische Nachweisführung, damit er irgendwann einmal im Jahr („Wann, sagt einem keiner“) die Förderung von 20.000 Euro ausgezahlt bekommt. „Das Engagement lohnt sich nicht mehr“, so Mewes. Das Arbeiten in der Landwirtschaft sei nur noch von neuen Forderungen und ständigen Änderungen geprägt. Das erzeuge schlechte Stimmung und habe Politikverdrossenheit zur Folge. „Wir haben so viele kluge Köpfe in der Landwirtschaft und in anderen Bereichen in unserem Land“, stellte Mewes fest. „Wir kriegen es aber nicht auf die Bahn. Die Leute müssten gefördert und nicht behindert werden.“

„Wir haben keine politischen Rahmenbedingungen mehr“, bestätigte auch Ronald Jacobs aus Abbendorf. „Mit der Milch verdienen wir nur noch alle zwei Jahre Geld“, erklärte Jacobs. Als Alternative wollte sein Betrieb 80 Färsen im Wert von zirka 100 000 Euro exportieren. „Die Grünen-Politik hat aber die Exportbedingungen verschärft und zum Teil den Tierexport verboten“, so Jacobs. Letzteres bestätigte Matthias Löber: „In unserem Vermarktungszentrum steht aktuell kein Tier.“

Im Landeshaushalt für die Landwirtschaft geht es laut Ronald Jacobs nur um den Naturschutz. „Wir sind Wolfserwartungsland, Rudelland“, so Jacobs. „Die Politik ist der Meinung, dass wir größere Wolfs-Populationen benötigen. Das geht am Willen der ländlichen Bevölkerung komplett vorbei“, erklärte Jacobs. „Das sind die Vorstellungen einer grünen Ministerin.“

„Unsere Berufskollegen sind auf der Straße, die Traktoren-Demos sind mittlerweile bedenklich“, verwies Ronald Jacobs auf die landes- und bundesweite Stimmung in der Landwirtschaft. „Da hilft auch kein Agrar-Strukturgesetz mehr.“ „Die Landwirte wollen regional schlachten. Es gibt aber keine EU-Schlachthöfe mehr“, fasste Matthias Löber zusammen. „Die Landwirte wollen regional Milch liefern. Es fehlen aber die Molkereien. Und wenn die Tierbestände weiter zurückgehen, braucht es auch keine RinderAllianz mehr.“ „Wir hätten gern einmal wieder einen Zeitraum, in dem wir planbar der Landwirtschaft nachgehen können“, ergänzte Otto Mewes.

„Wir benötigen einen Masterplan für die Landwirtschaft und für den ländlichen Raum“, ging Innenminister Holger Stahlknecht auf die mannigfaltigen Probleme der Landwirte ein. „Wir können nicht einzelne Bereiche platt machen.“ Xenia Schüßler, CDU-Direktkandidatin für die Landtagswahl 2021, machte die Diskussion nachdenklich: „Ich habe bislang nicht verstanden, warum sich die Landwirte von der CDU abgewendet haben.“

Zum Abschied überreichte Matthias Löber dem Innenminister eine Krawatte mit RinderAllianz-Logo. „Den Schlips tragen Sie bitte, wenn im nächsten Jahr der neue Landwirtschaftsminister vereidigt wird“, so Löber zu Holger Stahlknecht.