1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Stendal
  6. >
  7. Damit das Land nicht in die Röhre guckt

EIL

Medienvielfalt Damit das Land nicht in die Röhre guckt

Welttag des Fernsehens: Der Offene Kanal Stendal rüstet sich für die Zukunft.

Von David Boos 21.11.2019, 07:00

Stendal l Wer sich mit Andreas Bredow zum Gespräch trifft, merkt schnell, dass der Geschäftsführer des Offenen Kanals Stendal eine Menge zu erzählen hat. Kaffee und Zigaretten stehen rasch parat, und seine Visionen für die Zukunft sprudeln nur so aus ihm heraus. „Eines unserer Ziele ist die Stärkung des ländlichen Raumes“, so Bredow. Zu diesem Zweck hat der Offene Kanal Stendal Anfang 2019 das Format „Musikantenkrug mit Jo & Josephine“, bei dem regionale und lokale Musiker sich die Bühne teilen, aus Mecklenburg übernommen, und ist damit in die Dörfer der Altmark gezogen.

„Angefangen hat es damit, dass ich in meinem Heimatort Mahlwinkel die Menschen zusammenbringen wollte. Die Feuerwehr und der Fußballverein konnten überhaupt nicht miteinander. Doch als wir den Musikantenkrug ins Dorf holten, da kam die ganze Gemeinschaft zusammen. Darum geht es nämlich: Gemeinschaft zu bilden“, erklärt Bredow.

Dieser Prozess der Gemeinschaftsbildung zieht sich wie ein roter Faden durch das Gespräch. Denn Bredow bildet bereits seit Jahrzehnten junge Menschen zu Mediengestaltern aus. Im Zuge dieser Tätigkeit beobachtet er einen drastischen Wandel: „Die Jugend heutzutage interessiert sich kaum noch in die Breite und sieht auch keine Nachrichten mehr. Es entwickelt sich ein Spezialistentum, wo jeder seine eigene, in sich geschlossene Welt bewohnt und sich in einer global verästelten Nische auf Youtube einnistet. Ein verbindendes Element zu den Mitmenschen vor Ort besteht dann kaum mehr. Diese Jugendlichen weisen zunehmend autistische Züge auf.“

Um das zu verändern, nimmt Bredow Eltern und Lehrer in die Pflicht, doch auch die Medien sind gefragt, ihrer gemeinschaftsstiftenden Rolle gerecht zu werden. In diesem Punkt lebt der Offene Kanal Stendal das Credo des Welttags des Fernsehens, und nimmt dabei den immer öfter aus der Mode kommenden „Bildungsauftrag“ sehr ernst. Anstatt jedoch vom hohen Ross zu dozieren und Besserung zu erwarten, möchte man die Menschen dort erreichen, wo man sie findet. Und dazu muss man auch technologisch für die Zukunft gerüstet sein: „Seit 8. Oktober dieses Jahres strahlen wir auf allen Verbreitungsmedien in Full HD aus“, sagt Bredow. „Dabei senden wir nicht nur über das klassische Kabelnetz, sondern sind auch im Streamingbereich sehr präsent. Darüber hinaus gibt es Versuche, in Entertainment-Pakete, wie zum Beispiel von Amazon, hineinzukommen, aber dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.“

Gerade der Streamingbereich sei von enormer Bedeutung für die Vernetzung mit Jugendlichen in den ländlichen Regionen. „Schulfreunde“, so Bredow, „kommen nicht mehr aus demselben Dorf, sondern leben versprengt über ein großes Einzugsgebiet. Gemeinsame Aktivitäten am Nachmittag gibt es dann nicht mehr, und so sitzt jeder alleine zu Hause in seiner eigenen Blase und konsumiert über das Handy alles nach seinen eigenen Wünschen. Gemeinsame Interessen können sich so gar nicht mehr herausbilden.“

Eben aber dieser Konsum bietet auch Chancen, diese Zielgruppe dort abzuholen, wo sie beheimatet ist: im Internet. „Vor allem die Jugend auf dem Lande konsumiert Information primär über das Internet und über Streamingdienste. Diese Zielgruppe wollen wir ganz bewusst mit unseren Angeboten erreichen und einbinden in unseren regionalen Verband.“ Bredow fügt lächelnd hinzu: „Man könnte also sagen, je regionaler, desto streamer.“

So charmant und unterhaltsam Andreas Bredow über die Aktivitäten des Offenen Kanals Stendal auch berichtet, so sehr schimmert sein Blick auf gesamtgesellschaftliche Entwicklungen durch. „Im Zuge der demographischen Entwicklung wird die Situation in den nächsten Jahren noch viel prekärer. Andererseits führt der schon angesprochene Zustand der Jugend dazu, dass die bewusste Einbindung in den demokratischen Prozess immer schwieriger wird. Atomisierte Individuen, die nur für sich alleine leben, sind keine Gemeinschaft, aber eine Masse. Eine Gemeinschaft ist stark, doch eine Masse ist gefährlich und leicht zu manipulieren. Darin sehen wir unsere Aufgabe: die Menschen aus der Masse herauszuholen und mit ihnen eine Gemeinschaft zu bilden.“

Neben der regionalen Arbeit spielen auch Themen wie Integration eine wichtige Rolle beim Offenen Kanal Stendal. Man spürt bei Andreas Bredow, dass er wohl noch stundenlang von spannenden Projekten erzählen könnte, doch der Schnitt der nächsten Folge des „Musikantenkrugs“ ruft. Nach der erfolgreichen Premiere Anfang November ist die nächste Folge für den 9. Dezember geplant. Der Geist des Welttags des Fernsehens weht jedenfalls, dank des Offenen Kanals Stendal, auch in der Altmark.