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Mehrwertsteuer Fällt die Preissenkung in Stendal aus?

Was von der Bundesregierung als Konjunkturhilfe für die Wirtschaft gedacht ist, wird von den Betroffenen aber auch sehr kritisch gesehen.

Von Donald Lyko 26.06.2020, 21:00

Stendal l Die Idee, in Corona-Zeiten für etwas Entlastung im Geldbeutel zu sorgen, findet Yvonne Riesmann grundsätzlich toll. Dennoch wird sie die Bruttopreise, mit denen die rund 1600 Artikel in ihrem Geschäft „My Unverpackt“ in der Breiten Straße jetzt in den Regalen stehen, unverändert lassen. „Wenn am Ende des Jahres etwas übrig bleibt, dann spende ich die Summe lieber“, sagt die Geschäftsfrau, die lange überlegt hat, wie sie mit der Senkung der Mehrwertsteuer umgehen soll.

Sie bietet Tee, Vanillezucker, Nudeln, Reis, Bonbons, Cerealien und vieles mehr an. Die gesenkte Mehrwertsteuer würde für den einzelnen Kunden nur wenige Cent ausmachen. „Ich denke, dafür ist der Aufwand, alles umzustellen, einfach zu groß“, sagt die Geschäftsinhaberin. Alle Waren müssten neu ausgepreist, die Kasse müsste neu programmiert werden. Ein Aufwand, den sie schon wegen der Befristung auf ein halbes Jahr nicht betreiben möchte. Denn zum 1. Januar 2021 muss wieder alles umgestellt und mit neuen/alten Preisen versehen werden. „Miese macht man so oder so“, befürchtet Yvonne Riesmann.

Postkarten, Briefumschläge, Schreibhefte, Schultüten, Ranzen, Stifte ... Im Geschäft „Alecso Büro & Schule XXL“ am Stendaler Marktplatz gibt es rund 60.000 Artikel, jedes mit einem Preisaufkleber. Allein deswegen hat sich Geschäftsinhaberin Marion Eberhardt dagegen entschieden, die Waren mit neuen Etiketten zu versehen. „Wir lassen die Bruttopreise unverändert“, sagt die Geschäftsfrau, die auch in Bismark einen „Alecso“-Laden betreibt.

Damit der Kunde dennoch profitiert, will sie mit Rabatten arbeiten – für die großen Einkäufe, zum Beispiel Schulranzen oder Schultüten, oder ab einer bestimmten Gesamtsumme. Bei den kleineren Artikeln, zum Beispiel Ansichtskarten, soll das aber nicht passieren. Ein Grund für ihre Entscheidung ist, dass sie die Waren selbst für die höhere Mehrwertsteuer eingekauft hat und dass einige Lieferanten schon erklärt haben, bei den alten Preisen bleiben zu wollen.

Die Senkung von sieben auf fünf Prozent beim ermäßigten Steuersatz (zum Beispiel für Nahrungsmittel, Bücher und Tageszeitungen) beziehungsweise von 19 auf 16 Prozent tritt am Mittwoch, 1. Juli, in Kraft und gilt für sechs Monate. „Und dann kommt die Retourkutsche“, schaut Marion Eberhardt auf den Jahreswechsel, der das Zurück zu den bisherigen Preisen bringen wird – inklusive des Aufwandes. „Da wird einiges an den Händlern hängen bleiben.“

Marion Eberhardt hätte sich von der Bundesregierung andere Lösungen zur Entlastung der Bürger gewünscht. „Wenn schon etwas senken, dann die Lohnsteuer“, ist ihre Meinung. Mit der am Mittwoch beginnenden Mehrwertsteuer-Senkung werde den Kunden etwas versprochen, was nicht gehalten wird, sagt die Gewerbetreibende. Denn wenn von 19 auf 16 Prozent gesenkt wird, beträgt die Ersparnis unter dem Strich nur 2,5 Prozent. Die Firmeninhaberin rechnet es vor: Ein Artikel mit Nettopreis 100 Euro und 19 Euro als Mehrwertsteuer geht für 119 Euro über den Ladentisch. Sind es ab 1. Juli 116 Euro, wurden drei Euro eingespart – und das sind 2,5 Prozent. Ähnlich verhält es sich beim gemäßigten Steuersatz.

Die Begeisterung über die Senkung der Mehrwertsteuer – steuerrechtlich als Umsatzsatzsteuer bekannt –, hält sich auch bei Kathrin Jae­nicke in Grenzen. Sie betreibt in der Stendaler Fußgängerzone eine „Aurel“-Parfümerie. „Einen Gefallen haben sie uns damit nicht getan“, kommentiert sie die Entscheidung der Bundesregierung. Auch in ihrem Geschäft werden die Preise so bleiben, wie sie auf den Artikeln stehen. Eine Umetikettierung ließe sich nur schwer machen. „Wegen Corona darf ich gar nicht so viele Mitarbeiter im Laden haben“, zeigt sie ein praktisches Problem auf. Wenn Kunden gezielt nach dem gesenkten Mehrwertsteuersatz fragen, werde das berücksichtigt. Zudem werde es Rabatte geben, kündigt Kathrin Jae­nicke an – das sei aber auch schon vorher so gewesen. Um weitere Details zu klären, wie ab Mittwoch mit der Situation umgegangen wird, stehe sie in ständigem Kontakt mit der „Aurel“-Unternehmenszentrale in Bielefeld.

Während viele Einzelhändler die Senkung skeptisch sehen, legen Einzelhandelsketten, die auch in Stendal ansässig sind, schon jetzt los. Vor allem bei großen Anschaffungen wie Auto, Kühlschrank oder Möbel dürfte die gesenkte Mehrwertsteuer tatsächlich zum Kauf locken, weil die Ersparnis höher ausfallen wird. Beim Auto kämen mitunter einige hundert Euro zusammen.