"Terror" Moralisches Dilemma hervorragend nahegebracht
Die Premiere von "Terror" im Stendaler Amtsgericht wurde vom Publikum begeistert aufgenommen.
Stendal l Major Lars Koch steht wegen Mordes in 164 Fällen vor Gericht. Der Pilot eines Kampfjets hat sich während eines Einsatzes entschieden, eine Passagiermaschine abzuschießen, um einen Terroranschlag auf das Fußballstadion in München abzuwehren.
Er opferte 164 unschuldige Menschen, die sich an Bord des entführten Flugzeugs befanden, um die Zuschauer der vollbesetzten Allianz-Arena zu schützen. 164 Menschenleben gegen 70 000 Menschenleben. Ist dieser Mann nun ein Held oder ein Krimineller? Das deutsche Gesetz besagt ganz eindeutig, dass kein Leben gegen ein anderes abgewogen werden darf. Zahlen spielen dabei keine Rolle. Major Koch hat also das Gesetz gebrochen. Und doch! War es nicht eigentlich richtig, was er getan hat? Es hätte so viele Tote und Schwerverletzte gegeben, wenn das Flugzeug – wie geplant – das Stadion erreicht hätte und dort zum Absturz gebracht worden wäre.
Es ist ein moralisches Dilemma. Wie würde man selbst in so einer Situation handeln? Darf sich ein Einzelner über das Gesetz stellen? Und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Im ersten Artikel unserer Verfassung steht: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das bedeutet, dass kein Mensch zum Objekt staatlichen Handels gemacht werden darf.
Die Zuschauer des Schauspiels sind die Schöffen der Gerichtsverhandlung. Am Ende müssen sie entscheiden, ob Koch schuldig ist oder freigesprochen werden soll. Juristisch betrachtet kann man sich natürlich streiten, ob der Major wirklich des Mordes oder nicht eher des Totschlags angeklagt würde. Autor Schirach, der 20 Jahre lang als Strafverteidiger gearbeitet hat, wählte Mord, was das Gedankenspiel deutlich dramatischer macht.
Im Verlauf der Gerichtsverhandlung lernen die Schöffen/Zuschauer die genauen Beweggründe des Piloten kennen, sie hören die Aussage seines Kollegen, der an diesem Tag Dienst am Boden hatte, und sie hören die Aussage der Nebenklägerin, die ihren Mann durch die Tat verloren hat. Nach den Schlussplädoyers der Staatsanwältin und des Verteidigers fällen sie ihre Entscheidung durch Urnengang.
Regisseurin Susanne Schulz ist eine äußerst spannende Inszenierung gelungen. Das Publikum ist bis zum Schluss gefesselt. Dazu trägt auch die Nähe zum Geschehen bei. Die Darsteller sind nur wenige Meter vom Publikum entfernt. Zwei Stunden lang müssen sie in ihren Rollen bleiben. Körpersprache, Blicke, Mimik stimmen zu jeder Zeit.
Fabian Feder als Angeklagter ist sympathisch. Er strahlt etwas Korrektes und Ehrliches aus. Sichtlich ergriffen bei der Aussage der Nebenklägerin (ebenfalls überzeugend gespielt von Barbara Fressner), und doch überzeugt, das Richtige getan zu haben. Andreas Müller gibt den Verteidiger zunächst etwas „tappsig“, überzeugt beim Schlussplädoyer jedoch sicherlich den einen oder anderen im Publikum. Frank Siebers als Richter ist souverän und der sichere Pol im Geschehen, Michael Putschli als Kollege von Koch und Zeuge macht die Illusion komplett. Er ist hart und exakt. Erst die hartnäckigen Fragen der Staatsanwältin machen ihn unsicher.
Gespielt wird die Staatsanwältin von Angelika Hofstetter. Sie ist eine harte Nuss: taff, nicht locker lassend. Immer wieder legt sie den Finger in die Wunde, fragt nach, ist beinahe penetrant. Bei der Schlussrede in der Verhandlung schlägt Hofstetter einen komplett anderen Ton an und sorgt dabei für Gänsehaut, wenn sie mit verständnisvoller Stimme verkündet: „Lars Koch ist kein Krimineller!“ Und dann hält sie ein flammendes Plädoyer für unsere Gesetzgebung und erklärt, warum Koch doch ein Krimineller ist.
„Terror“ ist ein Stück, das niemanden unbeteiligt lässt. In der Inszenierung von Susanne Schulz (Ausstattung: Sofia Mazzoni; Dramaturgie und juristische Beratung: Annekatrin Schuch-Greiff) ist es uneingeschränkt empfehlenswert. Der Beifall war dafür Beweis.