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Oldtimer Mit der „Hulla“ die Welt entdeckt

Der Stendaler Wolfgang Schrader liebt seine „Hulla“ aus dem Jahr 1927 . Von dem seltenen Motorrad gibt es weltweit nur noch 14 Stück.

Von Donald Lyko 19.01.2021, 06:00

Stendal l Neben Ehefrau Karin hat Wolfgang Schrader seit Jahrzehnten noch eine andere Dame als treue Begleiterin an einer Seite: eine zweirä­drige namens „Hulla“. Dass sie zu ihm gehört, hatte der heute 78-Jährige von Anfang an klar gemacht. Als er Mitte der 1960er seiner Karin den Antrag machte, tat er dies mit einer Bedingung: „Wenn du mich heiraten willst, dann nur mit der ‚Hulla‘.“ 1965 sagte sie ja zur „Ehe zu dritt“. Kennengelernt hatte Wolfgang Schrader seine Frau und sein Motorrad übrigens im selben Jahr: 1961.

Schon während seiner Lehre zum Bauschlosser bekam der junge Mann aus Stendal, der sich schon immer für Motorräder interessierte, einen Tipp von einem Kunden der Schlosserei: In Werben will jemand ein altes Motorrad verkaufen, das Fahrzeug stehe auf dem Dachboden einer Bäckerei – nach Kriegsende dort vor den Sow­jetsoldaten versteckt. „Und tatsächlich haben wir sie unter vielen Mehlsäcken gefunden“, erinnert sich Wolfgang Schrader. Sie, das ist eine „Hulla“, Baujahr 1927. 400 Ostmark zahlte er dafür – fast ein kompletter Monatslohn. Dafür bekam er ein funktionstüchtiges Gefährt. Denn nachdem die „Hulla“ vom Boden geholt und Benzin in den Tank gefüllt war, fuhr der Stendaler gleich los.

Seither besitzt der Schlossermeister das Motorrad und mit ihm das älteste Fahrzeug, das in der Nordwall Classic Garage steht. Als deren Trägerverein gegründet wurde, gehörte der Stendaler zu den Männern der ersten Stunde. Auch, als es um den Umbau der ehemaligen Sporthalle ging, krempelte Wolfgang Schrader die Ärmel hoch.

Und in jedem Frühjahr, da lockt es den Oldtimer-Liebhaber hinaus auf die Landstraße. „Ich muss es nicht schnell haben, ich mag es eher gemütlich“, erzählt der 78-Jährige. Darum war und ist die vier PS starke „Hulla“, die es in der Spitze auf 50 Kilometer pro Stunde bringt, genau richtig für ihn.

Schon zu DDR-Zeiten nahm Wolfgang Schrader mit seinem Zweirad-Oldtimer an Veranstaltungen und Ausfahrten teil. „Damals durften wir nur eine Woche vor und eine Woche danach damit auf die Straße, für die andere Zeit war sie nicht für den öffentlichen Verkehr zugelassen“, erinnert sich der Stendaler. Zu den Veranstaltungen hat er seine „Hulla“ damals auf einem Anhänger mitgenommen, gezogen anfangs von einem alten Wartburg. An die Treffen mit Gleichgesinnten hat er viele schöne Erinnerungen – aber auch eine nicht so schöne. 1978 war er zum Teterower Bergring­rennen eingeladen, um in der Pause zwei Ehrenrunden zu fahren. Dabei stürzte er und zog sich eine schwere Beinverletzung zu.

Vom Motorradfahren hat ihn das aber nicht abgeschreckt. Es folgten Ausfahrten in Leipzig, Dresden, Eisenach und anderen Orten, nach der Wende ging es sogar nach Frankreich, Ungarn, in die Schweiz und zu vielen neuen Oldtimer-Freunden in den alten Bundesländern. Wenn Wolfgang Schrader über die Ungarn-Touren erzählt, dann darf das nicht fehlen: „Wenn ich angesagt wurde, haben sie auf mein Motorrad gezeigt und gelacht. Denn ‚Hulla‘ heißt auf Ungarisch Leiche.“

Sehr oft fuhr der Stendaler zur Rallye nach Cuxhaven, zum „Hulla“-Treffen nach Hagen im Bremischen (Niedersachsen), auch auf der Oscherslebener Strecke war er unterwegs. Etwa 1000 Kilometer nahm er im Durchschnitt pro Jahr unter die Oldtimer-Reifen. Für die „Auftritte“ hat sich Wolfgang Schrader extra einen schwarzen Overall nähen lassen, dazu trägt er ein rotes Halstuch, passend zur Farbe des Tanks. Und auch die alte Tasche auf dem Gepäckträger gehört dazu, darin Werkzeug für unterwegs. „Ganz wichtig ist ein Kerzenschlüssel, der wird oft benötigt.“

So schön das Zelten bei solchen Treffen auch war, irgendwann wollten es die Schraders doch gemütlicher. Also kauften sie sich einen Wohnwagen – und bauten ihn so um, dass in der Rückwand Platz für die „Hulla“ war. „Dabei hat Ex-Rennfahrer Dietmar Isensee mitgeholfen“, erzählt Wolfgang Schrader. Der Wohnwagen ist noch im Einsatz, ganz so viele Touren unternimmt das Ehepaar aber nicht mehr. Auch die langen Rallyestrecken spart sich Wolfgang Schrader, „denn die ‚Hulla‘ hat kaum eine Federung“. Darum fährt er mit der einsitzigen Maschine nur noch kurze Etappen mit. Mit vollen Tank schafft die „Hulla“ rund 150 Kilometer.

Dafür ist er immer dabei, wenn der Stendaler Verein Gastgeber für überregional besuchte Oldtimer-Treffen ist, darunter mehrfach für die ADAC Sachsen-Anhalt Motorrad Classic. „Wolfgang ist für uns immer ein stabiler Partner, wenn es um Veranstaltungen geht“, lobt Vereins­chef Jörg Punzel seinen Mitstreiter, der ehrenamtlich zu den Kassenprüfern im Verein gehört.

„Mit der ‚Hulla‘ habe ich eine richtig schöne Zeit verlebt“, sagt Wolfgang Schrader. Wenn er eine zweite gefunden hätte, hätte er sich die gern als Ersatz in die Garage gestellt. Aber dieser Motorradtyp ist mehr als rar, weltweit sind aktuell nur noch 14 dieser Motorräder bekannt. Und dabei wurden zwischen 1923 und 1931 in Hagen im Fahrzeugwerk für Kleinmotoren insgesamt 6000 davon hergestellt. Der Name wurde von den Firmengründern abgeleitet: Ingenieur Heinrich Helms und Mechanikermeister Hinrich Ulrich.