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Schädlinge Nicht alle Nester werden abgesaugt

Die Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners im Landkreis Stendal wird in den Kommunen ganz unterschiedliche bewertet.

Von Donald Lyko 09.08.2018, 03:00

Stendal l Größere Flächen wie Wälder werden vom Hubschrauber aus besprüht, Eichen zum Beispiel am Straßenrand, an Radwegen oder Spielplätzen vom Boden aus chemisch bekämpft, zudem werden Nester von den Bäumen abgesaugt: Im Kampf gegen den Eichenprozessionsspinner (EPS), dessen sogenannte Brennhaare aller­gische Reaktionen auslösen können, wird einiges aufgeboten. Auf den ersten Blick ein richtig gutes Agieren, auf den zweiten eines mit einigen Schwachstellen.

Stichwort Absaugen: „Das Geld verpustet, denn wir bekommen nie alle Nester ab“, sagte Stefan Kaiser vom Betreuungsforstamt Nordöstliche Altmark während einer Zusammenkunft im Stendaler Landratsamt. Seine Empfehlung: „Das viele Geld sollte lieber für die chemische Bekämpfung eingesetzt werden.“ Zuvor hatte der Forstfachmann berichtet, dass nicht alle eingesetzten Sauger optimal seien. Denn je größer der Durchmesser des Saugrohres, umso geringer der Sog. Und noch etwas ist seiner Ansicht nach das Problem: „Um auf die Baumzahl zu kommen, müssen wir einen Kompromiss eingehen“, so Kaiser. Heißt: Bei der Ausschreibung wird festgelegt, wie viele Nester die beauftragte Firma pro Baum entfernt und zu welchem Preis. Dann werden in der Regel die großen Nester, auf jeden Fall die in Sichtlage, entfernt. In diesem Jahr, das berichtete Stefan Kaiser, habe er aber auch mit einer Firma zusammengearbeitet, die alle Nester vom Baum entfernt hat.

Das Thema griff Björn Schünemann, Sachgebietsleiter Ordnungsverwaltung der Verbandsgemeinde Seehausen, auf: „Fünf bis zehn Nester pro Baum ist für unsere Region nicht mehr angebracht. Denn nach unserer Erfahrung gibt es mehr Nester am Baum.“ In der Verbandsgemeinde, die wie berichtet besonders stark betroffen ist, werden derzeit zirka 1000 Bäume abgesaugt, etwa 500 seien bereits erledigt. Schon diese Hälfte würde Kosten in Höhe von etwa 100.000 Euro verursachen.

Von guten Erfahrungen berichtete Markus Sommer, Mitarbeiter im Ordnungsamt der Verbandsgemeinde Arneburg-Goldbeck. Seit 2012 sei dort zusätzliches „Bodenpersonal“ im Einsatz: zwei Mitarbeiter, die die Eichenprozessionsspinner per Hand absammeln beziehungsweise die Nester abkratzen und in Säcken zum Verbrennen bringen, einzelne Tiere werden direkt vor Ort verbrannt. In den Bereichen, in denen seit Jahren so verfahren wird, „sind wir praktisch EPS-frei. Das ist ein Modell, über das man nachdenken sollte, denn es ist vielleicht effektiver als Absaugen. Wir fahren auf dieser Schiene sehr, sehr gut“, sagte Sommer. Darauf reagierten einige der Teilnehmer in der Runde aber mit Skepsis, denn auch bei diesem Entfernen würden sich die gefährlichen Brennhaare – deren gesundheitsgefährdende Wirkung hält übrigens über Jahre an – verbreiten, so ihr Gegenargument.

Kritik gab es von fast allen Teilnehmern der Runde daran, dass das chemische Mittel zur Bekämpfung in diesem Jahr später als sonst zur Verfügung stand und darum viele Eichen schon kräftig belaubt waren – was für die Bekämpfung aus der Luft alles andere als vorteilhaft ist. Stefan Kaiser zum späten Zeitpunkt: „Der Eichenprozessionsspinner muss vor der Ausbildung der Brennhaare bekämpft werden, das war in diesem Jahr nicht so.“

Das Problem: „Früher war das Mittel nicht zugelassen“, erklärte Nicole Köhler von der unteren Forstbehörde des Landkreises Stendal. Zudem musste es aus den USA nach Deutschland importiert werden. Noch ein Schwachpunkt: Der Wirkungsgrad von etwa 70 Prozent lag unter dem des bis 2017 verwendeten Mittels. Die Zulassung für das in diesem Jahr verwendete Fraßgift läuft Ende April 2019 aus, es wird aber eine Verlängerung erwartet. Ansonsten gibt es auf dem Markt derzeit nur noch ein anderes Mittel, das aber nicht für die Bekämpfung aus der Luft zugelassen ist, erklärte Nicole Köhler. Aus den Einheitsgemeinden Tangermünde und Havelberg zum Beispiel gab es die positiven Feststellungen, dass sich die Arbeit der Vorjahre ausgezahlt hat und der Befall nicht so stark war.

Annegret Schwarz, Bürgermeisterin der Einheitsgemeinde Bismark, berichtete von einem anderen Problem: Einige der Landwirte und Flächeneigentümer melden den Befall nicht oder werden nicht mehr aktiv, weil der Nachbar nichts unternimmt – und ohne eine Bekämpfung des Eichenprozessionsspinners in der Fläche gebe es aber keinen Erfolg.

Ihre Verwaltung habe jetzt alle Landwirte und Waldbesitzer angeschrieben mit der Bitte, Standorte von befallenen Bäumen zu nennen und anonym anzugeben, welche finanziellen Mittel der Einzelne für die Bekämpfung aufwendet. Bismark will zudem damit beginnen, alle Eichen im Bereich der Einheitsgemeinde zu erfassen. Denn bisher, so Annegret Schwarz, seien immer nur die befallenen Bäume gemeldet und die Eichenprozessionsspinner zur Gefahrenabwehr (zum Beispiel an Spielplätzen oder Radwegen) bekämpft worden. Die Erfassung der Eichen ist ein Weg, den Stefan Kaiser vom Betreuungsforstamt Nordöstliche Altmark sehr begrüßt. Denn seiner Ansicht nach sollten alle Eichen, unabhängig von den Eigentumsverhältnissen, in die Bekämpfung aufgenommen werden. Wenn dies so kommt, so Kaiser, seien Kommunen wie Bismark gut vorbereitet. Daran, dass es kommen muss, lässt Bismarks Bürgermeisterin keinen Zweifel: „Wir bekämpfen das Problem nicht, wenn wir es nicht flächendeckend bekämpfen.“

Nach der aktuellen Bestandsaufnahme ging der Blick in das kommende Jahr – und zu den vom Land in Aussicht gestellten zusätzlichen zwei Millionen Euro. Davon sollen Kommunen Geld für ihre Mehrausgaben bekommen. Heißt aber: Was sie 2018 im Haushalt eingeplant und ausgegeben haben, müsste auch im nächsten Jahr aus der kommunalen Kasse bezahlt werden. Fallen aber zusätzliche Arbeiten an, kann dafür beim Land ein Zuschuss beantragt werden.

Stichwort Arbeiten: Noch in diesem Monat müssen die Einheits- und Verbandsgemeinden dem Landkreis den Bedarf für 2019 melden und die Bereiche konkret benennen, die bekämpft werden sollen. Vom Kreis geht die Meldung dann ans Landesamt für Verbraucherschutz. Es sei schwierig, schon jetzt so konkrete Angaben zu machen, wandte Björn Schünemann ein. Denn erst nach der chemischen Behandlung oder dem Überfliegen sehe man, an welchen Bäumen noch zusätzlich abgesaugt werden muss – den Bedarf dafür müsse er aber schon jetzt ankreuzen.

Sinnvoll wäre es, wenn das Land schon in diesem Jahr über Anträge entscheidet und Zuwendungsbescheide verschickt, damit dies in den Haushaltsplanungen berücksichtigt werden kann, sagte Havelbergs Ordnungsamtsleiter André Gerdel.