Serie "Gibt\'s das noch?" / Heute: Stendaler Schuster erzählen über das Arbeitsgerät Leisten Vom Schuhformer zur Wurmpension
Schallplatte, Badekappe, Daumenkino und Bettsocken - gibt\'s das alles noch? Die Volksstimme spürt in einer Serie selten gewordenen Dingen nach. Heute: Der Leisten.
Stendal l Verstaubt, fast untergehend in den vielen anderen Schusterutensilien, die im Schaufenster von Benjamin Mainkas kleiner "Flickschusterei" ausgestellt sind, liegt er da: Unzählige kleine Löcher in der Holzmaserung weisen darauf hin, dass das Fußmodell mittlerweile nur noch den Zweck einer Herberge für Holzwürmer erfüllt. Die Rede ist von einem Leisten, einem Original, das für die traditionelle Fertigung von Schuhen jahrhundertelang unabdinglich gewesen ist.
Doch wie werden Schuhe eigentlich heute gefertigt, wenn Leisten wie dieser anscheinend nur noch als Staubfänger dienlich sein können? Gibt es den traditionellen Leisten überhaupt noch?
Benjamin Mainka steht hinter einer kleinen Ladentheke in dem Schuhreparaturgeschäft Multiexpress, das er selbst nur als kleinen "Flickschusterladen" bezeichnet. Eigentlich ist die Bezeichnung "Laden" nicht wirklich passend, "kleine Werkstatt" würde den Einmannbetrieb treffender beschreiben. Um ihn herum stapeln sich Taschen, Gürtel und - wie sollte es auch anders sein - eine Menge Schuhe.
"Ich mache hier eigentlich alles. Von Schuhreparaturen über Taschen bis hin zum Schlüsseldienst",erklärt Mainka. Der 25-jährige war ursprünglich mal in der Grafik tätig. Dann hatte er aber durch Zufall vor vier Jahren die Möglichkeit, das kleine Geschäft in Stendal-Stadtsee zu übernehmen. Das "Schuhfieber" habe ihn irgendwie gepackt, sagt der junge Mann, der ein Jahr vom Vorbesitzer angelernt wurde und nun seit drei Jahren auf eigenen Füßen steht. Auch wenn Mainka das Schusterhandwerk nie gelernt hat, weiß er eine Menge darüber und bis jetzt habe er auch jeden Schuh wieder heile bekommen: "Ich benutze heute nur noch einen Metallleisten, über den ich die Schuhe dann spanne."
Heute nur noch Massenprodukte kleben
Der Zweck dieses Leistens sei, dem Schuh Halt zu geben, wenn er an ihm arbeitet. Das habe aber nichts mehr mit der Arbeit an einem traditionellen Leisten zu tun. Dieser wurde nämlich früher, als Schuhe noch von Hand gefertigt wurden, für den Bau des Schuhs verwendet. Hergestellt von sogenannten Leistenschneidern, früher noch eine eigene Berufsgattung, war er als vereinfachtes Abbild des Fußes für die Passform des neu produzierten Schuhs verantwortlich.
Mainka arbeitet heute nur noch an industriell gefertigten Schuhen. Den Hauptteil seiner Arbeit machen Klebearbeiten am Schuhwerk aus. "Genäht und genagelt wird an Schuhen aus der Massenproduktion heute nicht mehr", erzählt Mainka während er gerade an einem quietschrotem Sportschuh hantiert.
Einer, der noch mit einem originalen Leisten produziert hat, ist der gelernte Schuhmacher Thomas Arndt aus dem Schusterladen in der Rathenower Straße. "Ich habe teilweise noch mit Leisten gearbeitet, zu meiner Gesellenprüfung musste ich auf diese Art ein paar Schuhe anfertigen." Doch schon zu DDR-Zeiten sei der Leisten schon eine Rarität gewesen, da hier auch schon die Industrie die Branche dominiert habe. "Einen Leisten, der für eine einzige Person zugeschnitten ist, um ein Paar Schuhe zu fertigen, gibt es eigentlich nur noch beim Orthopäden oder bei ein bis zwei hochexklusiven Schuhmachern in Deutschland", sagt Arndt.
Dennoch gebe es in der industriellen Schuhproduktion noch Leisten. Diese seien dann aber nicht aus Holz, sondern aus Kunststoff oder Metall und Einheitsmodelle für die gesamte Produktionslinie. Das Phänomen, dass einem Schuhe eines bestimmten Fabrikats grundsätzlich nie passen, sei damit auch geklärt.
Das Sprichwort könnte den Leisten überdauern
Auch wenn der Leisten an sich langsam aus dem Bewusstsein und dem Sprachschatz der Menschen verschwindet - daas Sprichwort "Schuster, bleib bei deinem Leisten", ist noch heute im Volksmund weit verbreitet. Es bringt zum Ausdruck, dass man nichts kritisieren, tun oder sagen soll, von dem man keine Ahnung hat.
Und dieses Sprichwort wird wahrscheinlich den eigentlichen Gegenstand noch überdauern, denn in ganz Deutschland gibt es nur noch genau so viele Leisten, wie es Kunden gibt, die bereit sind, über 1000 Euro für ein Paar maßgeschneiderte Schuhe zu zahlen.