Im Landkreis Stendal suchen 21 minderjährige Mütter mit ihrem Nachwuchs den Weg ins Leben Wenn Kinder Kinder kriegen ...
Wenn ein Baby auf die Welt kommt, stellt es das Leben seiner Eltern auf den Kopf. Was unter normalen Umständen schon schwierig sein kann, ist besonders kompliziert, wenn die Eltern noch minderjährig sind.
Stendal l Sarah und Sina sitzen nervös auf der Couch in ihrem gemeinschaftlichen Wohnzimmer. Die Situation ist ungewohnt. Nicht oft werden die jungen Mädchen danach gefragt, wie sie zurechtkommen. Sarah ist 16 Jahre und lebt mit ihrem Sohn Carlos (3 Monate) im betreuten Mutter-Kind-Heim in Stendal. Mit 15 Jahren wurde sie schwanger, ungeplant.
Start in eine ungewisse Zukunft
Die Situation von Sina ist ähnlich. Sie ist 17 Jahre und ebenfalls schon Mutter. Mit Tochter Emily-Sophie (6 Monate) wohnt sie ebenfalls in der betreuten Einrichtung. Auf die Unterstützung ihrer Eltern kann sie sich nicht verlassen.
Sarah und Sina sind zwei von 21 minderjährigen Müttern im Landkreis Stendal. Bei der Geburt ihrer Kinder waren diese gerademal zwischen 14 und 17 Jahre. Die wenigsten haben ihre Schule beendet oder eine Ausbildung abgeschlossen. Vor ihnen liegt eine ungewisse Zukunft, nicht nur die eigene, auch die ihrer Kinder.
"Das ist eine sehr hohe Verantwortung, die die jungen Mädchen übernehmen müssen", sagt Sabine Kurts, Sozialarbeiterin im Bereich Mutter-Kind-Wohnen im Kinder- und Jugendheim "Horizont" in Stendal. "Sie wissen kaum selbst, was sie vom Leben wollen, da müssen sie schon für ein anderes mitsorgen."
Fünf junge Mädchen mit ihren Babys werden derzeit in der Einrichtung betreut. Drei von ihnen haben bereits ihr Kind, darunter sind auch Sarah und Sina. Ein weiteres Mädchen ist schwanger. Eine junge Mutter wohnt mit ihrem Kind bereits in einer sogenannten Trainingswohnung außerhalb der Einrichtung, "damit sie sich auf ihren eigenen Alltag vorbereiten kann", erzählt Kurts.
Im Mutter-Kind-Heim ist der Alltag klar strukturiert. Es gibt feste Regelungen, wann welche Aufgaben zu erledigen sind. Daran müssen sich die Mädchen halten. "Damit kommen die meisten nicht klar, weil sie das von zu Hause nicht kennen", erzählt Einrichtungsleiterin Birgit Jaenecke. "Ein geregelter Tagesablauf ist für die Mädchen immer noch die größte Hürde. Vor allem mit dem Baby, das ja noch seinen eigenen Tagesrhythmus hat." Auch der Spagat zwischen Schule/Ausbildung und Kindererziehung sei für die Mädchen im Alltag kaum schaffbar. Immer wieder sind sie auf die Hilfe der Mitarbeiter angewiesen.
"Dabei legen wir Wert darauf, dass wir nur unterstützen und den Mädchen die Arbeit nicht abnehmen", betont Sabine Kurts. Sie sei kein Babysitter, sondern Ansprechpartner für "Hilfe zur Selbsthilfe", wie sie sagt. Allein das Spielen mit den Babys sei ein Drahtseilakt. "Damit wissen sie kaum etwas anzufangen", erklärt Birgit Jaenecke. "Sie haben das selbst nicht erlebt und können daher nicht aus ihren Erfahrungen schöpfen."
In den meisten Fällen kämen die jungen Mütter selbst aus schwierigen familiären Verhältnissen, betont Ilona Letsch, Sozialpädagogin im Jugendamt Stendal. Eltern, die sich selbst in ihrer dauerhaften Arbeitslosigkeit eingerichtet hätten, seien oft nicht in der Lage, ihren Kindern die richtige Motivation für ihr Leben mit auf den Weg zu geben.
Der fehlende Halt und die gewünschte Zuneigung suchten sich Kinder dann oft frühzeitig in der Sexualität oder in einer eigenen Familie. So wie Sina. Seit sie ihren Eltern von ihrer Schwangerschaft erzählte, hat sie keinen Kontakt mehr zu ihnen. "Sie besuchen mich hier auch gar nicht", sagt sie mit leiser Stimme. Auch Sarah verlässt sich bei Schwierigkeiten auf die Hilfe der Mitarbeiter der Mutter-Kind-Einrichtung. Zu den Eltern möchte sie nicht zurück, sondern so schnell wie möglich mit ihrem Freund, dem Kindsvater zusammenziehen und ein eigenes Familienleben aufbauen."
Es hänge so viel vom Elternhaus ab, erklärt Ilona Letsch weiter. Wenn die Eltern ihren Kindern helfen, dass sie die Schule und eine Ausbildung abschließen, dann hätten sowohl die Kinder als auch deren Kinder eine Chance auf ein selbstbestimmtes Leben. Klappt das nicht, sei der Staat in der Pflicht, die Verantwortung für die jungen Mütter zu übernehmen (siehe Infokasten).
Keine dramatisch hohe Zahl
"Die Zahl der Teenagermütter mag auf den ersten Blick vielleicht schocken, dennoch finden wir nicht, dass sie besorgniserregend ist oder gar einen dramatischen Verlauf hat", betont Regina Herrmann, Mitarbeiterin des Jugendamtes des Landkreises Stendal. Man könne die Zahlen auch nicht einfach so hinnehmen, sondern müsse auch hinterfragen, wie sie sich zusammensetzten, erklärt sie.
Demnach seien aus diesem Jahr 21 Teenagermütter im Landkreis Stendal bekannt, die in der Betreuung der Amtsvormünder des Jugendamtes standen. "Hierzu zählen auch die minderjährigen Mütter der Babys, die bereits 2009, 2010, 2011 und 2012 geboren wurden. Sie tauchen also in der Statistik immer wieder auf und sind keine Neuzugänge", erklärt Herrmann.
Deshalb sehe man die Zahl der Teenagerschwangerschaften im Landkreis Stendal auch nicht dramatisch. "Man kann also nicht von steigenden Zahlen sprechen. Allerdings verlangt natürlich jeder individuelle Fall unsere gesamte Aufmerksamkeit, da es um das Wohl der Kinder geht. Sowohl der Teenager als auch der Babys", sagt Herrmann.