Unfallgeschehen unter aktuellen Aspekten beleuchtet Wild wird im Rausch der Triebe zur Gefahr auf den Straßen
Stendal. Heimfahrt: Es ist etwas später geworden, schummrig schon. Auf der Landstraße ist nicht mehr so viel los. Ich komme zügig voran. Dann plötzlich ein Schatten von links. Wie aus dem Nichts taucht das Reh auf, springt Bruchteile von Sekunden später gefühlte 20 Zentimeter vor dem Auto ins Scheinwerferlicht. Ich kralle mich ins Lenkrad, trete Kupplung und Bremse quasi zeitgleich. Ein dumpfer Schlag, der Körpers des Tieres schleudert über die Fahrbahn und der Pkw steht. Verdammt, aber noch mal Glück gehabt, denke ich. Wildunfall Nummer zwei in meinem rund 30-jährigen Kraftfahrerleben ging glimpflich ab – zumindest für mich.
Bei 50 km/h wiegt ein Wildschwein zwei Tonnen
Ein Szenario, das sich so oder ähnlich im ersten Halbjahr dieses Jahres 745 Mal auf den Straßen im Landkreis Stendal abgespielt hat. 580 Mal waren Rehe beteiligt. 73 Hasen wurden auf diese Art zur Strecke gebracht. Aber auch 33 Kollisionen mit Wildschweinen tauchen in der Verkehrsunfallstatistik für den Landkreis auf.
Nicht auszudenken, wenn mir ein Schwarzkittel vor den Kühlergrill gesprungen wäre, wie es in der Nacht zum Mittwoch, 21. Juli, auf der B 189 bei Buchholz einem Kraftfahrer widerfuhr. Glück für ihn: Er saß hinter dem Lenkrad eines Sattelzuges, der dennoch ansehnlich verbeult wurde. Die Kräfte, die bei so einem Crash wirken, sind enorm. Bei Tempo 50 entspricht das Aufprallgewicht eines Körpers dem 25-fachen seines Eigengewichts. Ein Reh von 17 Kilo Gewicht lässt 425 Kilo auf das Fahrzeug einwirken. Bei einem 80-Kilo-Keiler entspricht der Aufprall einer Kraft von zwei Tonnen.
Fuß vom Gas und Straßenrand im Blick
Diese oft unterschätzen Kräfte und die daraus resultierenden Folgen sind dem Sprecher der Kreisjägerschaft Stendal, Siegfried Holzinger, Anlass auf einige Aspekte hinzuweisen, deren Beachtung helfen könnte, Wildunfälle zu vermeiden.
Die meisten Unfälle passieren in den Abend- und frühen Morgenstunden besonders von 5 bis 7 Uhr und von 19 bis 23 Uhr. Übergangsbereiche zwischen Wald- und Feld sind Gefahrenschwerpunkte. "Hier ist gut beraten, wer den Fuß vom Gas nimmt, Wald- und Straßenränder im Auge behält und bremsbereit ist. In etwa 80 Prozent aller Fälle taucht das Wild nur 20 Meter oder weniger vor dem Fahrzeug auf." Siegfried Holzinger thematisiert die Wildunfälle noch aus einem weiteren Grund gerade jetzt: "Im Juli bis August ist die sogenannte Blatt- oder Brunftzeit. Viele Tiere sind auf ,Brautschau‘. Ihre Reaktionen sind spontaner und deshalb für die Kraftfahrer noch gefährlicher."
Läßt sich ein Zusammenprall nicht vermeiden, rät Waidmann Holzinger, das Lenkrad gut festzuhalten und zu bremsen Auf keinen Fall sollte man versuchen auszuweichen. Die Folgen könnten dramatischer sein, als der Zusammenstoß mit dem Tier. Nach einem Unfall sofort die Warnblinkanlage einschalten und die Unfallstelle absichern, dann die Polizei oder auch den zuständigen Jagdpächter verständigen.
Nach dem Crash nicht zum "Wilderer" werden
Übrigens: Wer das nicht tut und stattdessen das "erlegte" Wild mitnimmt, macht sich der Wilderei schuldig. Angefahrenen und verletzten Tieren, die flüchten, sollte man nicht folgen. Jägerschaftssprecher Holzinger rät: "Für die Meldung an die Polizei die Flucht- richtung merken oder markieren. So kann der Jäger später mit einem ausgebildeten Hund dem verletzten Tier folgen und es von seinem Leiden erlösen."