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Bon-Pflicht Wo ist der Papierkorb?

Mit der bundesweiten Einführung der Bon-Pflicht ist der Frust bei Verkäufern und Kunden gestiegen. Das gilt auch in der Hansestadt Stendal

Von Mike Kahnert 07.01.2020, 09:38

Stendal l „Hoffentlich hat der größte Quatsch bald ein Ende“, sagt Ilona Wetzel. Die Verkäuferin mit Leib und Seele, wie sie sagt, ist genervt, seit mit Jahresbeginn die Bon-Pflicht eingeführt wurde. Für jeden Rosinenzopf, den beispielsweise Schüler gern in der Bäckerei Lohse kaufen, müsse nun ein Kassenbon ausgedruckt und übergeben werden. Stammkundin Helga Schüler hört aufmerksam zu und winkt dankend ab. „Ich kann es verstehen, wenn man Ware erwirbt, auf die Garantie ist, dann nehme ich den Bon auch gern mit“, so die Stendalerin. Doch für jedes Brötchen oder jede Kugel Eis? „Da hört der Spaß doch auf.“

Manfred Scholz, ein nächster Stammkunde, wehrt sich ebenso, den Kassenzettel für seine Tasse Kaffee anzunehmen und fragt laut: „Wo ist der Papierkorb?“ Dann bestimmt das Thema Bon-Pflicht den Kaffeeklatsch. Auch Norbert Schulze hat kein Verständnis für den Zwang. Die Kasse nicht mehr manipulieren zu können, was der Hintergrund der Pflichteinführung sei, werde mit dem „Quatsch“ nicht verhindert. „Eine endgültige Kontrolle ist das nicht“, sagt Manfred Scholz, während Norbert Schulze fragt: „Wie machen es denn Bratwurst-Tom und andere fliegende Händler?“

Am Bratwurststand schräg gegenüber am Rand des Winckelmann-Platzes verkauft Andreas Meier Gegrilltes. „Klar, die Leute fragen mich. Doch wir sind außen vor, für uns gilt die Bon-Pflicht nicht.“ Sicher, dass es so bleibt, sei er nicht. „Vielleicht kommt ja bald die Bratwurst- und Bouletten-App“, witzelt Meier.

Während er gut Lachen hat, ist die Laune vor allem in den Bäckereien am Tiefpunkt. So auch bei der Firma Kerkow. Daniela Wittrien macht jedoch gute Mine zum bösen Spiel. Sie habe zwar die Fragerei, ob der Kunde den Bon mitnehmen möchte, satt, „doch wir müssen es tun“. Sie wolle ihrem Chef vorschlagen, ein sprechendes Plüschtier auf den Tresen zu setzen. „Dann muss ich nur den Knopf drücken, und der Kunde findet es mit Sicherheit lustig, wenn ihn die Figur anspricht.“

Kein witziges Plüschtier, dafür aber kleine Körbchen stehen auf den Tresen in der Bäckerei Wetzel. Daneben jeweils ein Hinweisschild mit der Aufschrift: „Wir lieben Umweltschutz! Wir sind aber ab dem 1. Januar 2020 gezwungen, jeden Bon auszugeben!“ Und ihn dann gleich an der Ladentheke wieder loswerden. „Wir können es nicht ändern, doch machen das Beste daraus“, sagt die Filialleiterin Kathleen Linke. Wie viele Bons im Körbchen laden, „das zählen wir nicht“. Sie wisse nur, es ist deutlich mehr Abfall.

In der Bäckerei Thonke gibt man dem „Übel“ noch fünf Tage, „dann laufen die ersten Kunden Amok“, sagt Rosa Perez Rodriguez. Von 100 Kunden nehme vielleicht ein Kunde den Bon mit. „Alle schimpfen nur“, ergänzt ihre Kollegin Ramona Möser. Mitleid haben die Fachverkäuferinnen von Gegenüber bei der Altmark-Fleischerei. „Der plötzliche Stress ist schon enorm“, sagt Susann Tadewald. Sie sei es nicht anders gewohnt, jedes Mal einen Bon mit auszudrucken. „Ansonsten öffnet sich die Kasse gar nicht“, sagt ihre Kollegin Sandra Wolff.

Ähnlich ist es für Yvonne Riesmann, Chefin im Unverpackt-Laden: „Ich habe vorher schon immer den Bon ausgedruckt. Die Neuerung trifft wohl eher Geschäfte wie Bäcker, wo man für ein Brötchen einen Bon ausdrucken muss.“

Und es trifft auch Blumenläden. „Hören Sie bloß auf“, sagt Karin Pick. Die Havelbergerin leitet die Filiale von Blume 2000 in der Fußgängerzone und müsse sich den Ärger der Kunden anhören. Zudem sei es eine pure Verschwendung auf Kosten der Umwelt. „Früher haben wir nur auf Wunsch den Bon ausgedruckt und alle 14 Tage die Rolle gewechselt.“ Mit der Bon-Pflicht „brauchen wir jetzt drei Rollen am Tag“, sagt Karin Pick. „In einem Karton sind 30 Rollen, die 50 Euro kosten. Sie reichen anstatt wie früher etwa ein Jahr nur nun noch zehn Tage. Das Schlimme daran sei: „Das Thermopapier darf nicht in die blaue Tonne, sondern muss über den Restmüll entsorgt werden“, sagt ihre Kollegin Marita Koch, während eine Kundin den Entschluss fasst: „Ich werde meinen Bon im Briefkasten des Finanzamtes entsorgen.“

Kopfschütteln über die von der Bundesregierung angeordneten Bon-Pflicht auch bei Ulf Dähnrich vom Gerberhof: „Dazu kann man sich gar nicht zu äußern, weil man Gefahr läuft, in falschen Verdacht zu kommen.“ In seinem Feinkostladen habe es schon immer Kassenbons gegeben. „Dass manipuliert wird, stimmt natürlich, aber nur da, wo Millionenumsätze eine Rolle spielen.“