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Wohngemeinschaft Geborgen wie in einem Nest

Fünf ausländische und drei deutsche Jugendliche profitieren vom gemeinsamen Leben in einer Wohngruppe am Stendaler Nachtigallplatz.

Von Donald Lyko 11.02.2018, 00:01

Stendal l Als das Cornelius-Werk am 1. April 2016 mit einer Wohngruppe für Jungen in Stendal begonnen hat, war diese anfangs für unbegleitete minderjährige Ausländer gedacht. Doch heute, fast zwei Jahre später, sind drei der acht Bewohner Deutsche. „Diese Mischung hat generell Vorteile für beiden Seiten“, sagt Einrichtungsleiter Torsten Theele. Die jungen Männer kochen gemeinsam, sitzen bei den Mahlzeiten zusammen, hören die Musik des anderen und lernen dabei dessen Kultur kennen, unternehmen in der Freizeit vieles in der Gruppe. Am Mittwoch zum Beispiel waren sie bei einem Fußballturnier, am Freitag stand Bowling auf dem Programm. Dass zuerst die afghanischen Jugendlichen in der Wohngruppe gelebt und die deutschen Jugendlichen dann nach dem Motto „Wir nehmen euch bei uns auf“ in die Wohngemeinschaft integriert haben, war nach Ansicht von Einrichtungsleiter Torsten Thee­le eine gute Basis für das Zusammenwachsen.

Dass das Zusammenleben von deutschen und ausländischen Jugendlichen integrationsfördernd ist, dass es beim Lernen der Sprache hilft und beim Kennenlernen unterschiedlicher Kulturen und Religionen, gab der Einrichtungsleiter am Freitag gern als Erfahrung an Susi Möbbeck (SPD), Integrationsbeauftragte des Landes, weiter. „So können auf beiden Seiten Ängste abgebaut werden“, stimmte ihm die Staatssekretärin im sachsen-anhaltischen Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration zu. Sie startete in der Wohngruppe in der alten Villa am Nachtigalplatz ihren Stendal-Besuch. Der führte sie außerdem zur Inlingua-Sprachschule an der Hallstaße, zur Al-Rahma-Moschee der islamischen Gemeinde Stendal im Stadtsee-Wohngebiet und zum Bürgertreff „Kleine Markthalle“. Dort übergab sie einen Zuwendungsbescheid in Höhe von 97.000 Euro an Gesine Seidel, Vorstandsvorsitzende der Freiwilligen-Agentur „Altmark“. Mit dem Geld fördert das Land im Rahmen des Projekts „Stendal – engagiert – integriert!“ die Integrationsarbeit der Freiwilligen-Agentur in der „Markthalle“.

Zurück zur Wohngruppe, die den Namen „Nidus“ trägt, das lateinische Wort für Nest. „Es steht für Geborgenheit, für Schutz, das passt doch ganz gut“, sagt Torsten Theele. Betreut werden die jungen Männer von sieben pädagogischen Mitarbeitern, zum Team gehört zudem eine Hauswirtschaftlerin. Praktikanten und junge Leute im Freiwilligen Sozialen Jahr verstärken regelmäßig die Belegschaft. Es gibt eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung, wie es für Einrichtungen der Jugendhilfe üblich ist. Dennoch können sich die jungen Männer den Tag recht frei einteilen, haben nach Schule, Berufsvorbereitung oder Berufsausbildung unterschiedliche Interessen. Viele von ihnen spielen Fußball in verschiedenen Vereinen. In der Arbeit habe sich „inzwischen ziemlich viel Routine“ eingestellt, berichtete Cornelius-Werk-Geschäftsführer Stefan Böhme.

Einige der Bewohner sind mittlerweile 18 Jahre alt und damit nicht mehr minderjährig – ihren Platz können sie dennoch für eine gewisse Zeit behalten, wenn Bedarf besteht. „Das ist gut investiertes Geld. Denn den jungen Leuten werden Chancen eröffnet, die sollten dann nicht abbrechen“, sagt die Staatssekretärin.

Zu den Mahlzeiten treffen sich die acht Jugendlichen an der großen Tafel. Wenn sie einfach mal nur quatschen oder fernsehen möchten, kommen sie im Gemeinschaftsraum zusammen – kein Muss. Wer möchte, kann auch in seinem Zimmer bleiben. Untergebracht sind sie in Doppelzimmern.

Seit es die Wohngruppe in Stendal gibt, ist sie das Zuhause von Mohammad Ahmadi. Der 18-Jährige stammt aus Afghanistan und absolviert derzeit ein Berufsvorbereitungsjahr. „Beruflich möchte ich eventuell etwas mit Elektronik machen“, berichtet er den Gästen. Er findet es gut, dass er in der Einrichtung Hilfe bekommt, um seinen Weg zu gehen.

Im Landkreis Stendal gibt es mit Stand gestern 60 unbegleitete minderjährige Ausländer, informierte Kreis-Jugendamtsleiterin Kathrin Müller. Neben Stendal sind sie in Seehausen und Meßdorf untergebracht. Die Unterkunft in Havelberg war Anfang Dezember vergangenen Jahres geschlossen worden. In Sachsen-Anhalt gibt es aktuell etwa 1000 unbegleitete minderjährige Ausländer.