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Bördegesicht: Dr. Horst Wendrich verabschiedet sich in den Ruhestand Ein beliebter Arzt und unvernünftiger Patient

Von Hartmut Beyer 04.06.2011, 04:28

Eilsleben. Wenn Dr. Horst Wendrich an den 7. Juni denkt, ist ihm nicht wohl. An diesem Tag wird er nach langen Überlegungen, bei denen er in seinen Gefühlen und Gedanken hin und her gerissen wurde, die letzten Sprechstunden im Eilsleber ehemaligen Ärztehaus durchführen. Seine Patientenschar kann den 69-jährigen gut verstehen, ist aber andererseits betrübt, dann den vertrauten Arzt nicht mehr konsultieren zu können.

Seit dem Abschluss seines Studiums 1969 an der Berliner Humboldt-Universität standen im Leben von Horst Wendrich getreu dem Eid des Hippokrates die Arztpflichten immer an erster Stelle. Danach kam die Familie mit Ehefrau Ursula (Uschi) und drei Kindern - und dann wieder die Pflicht. "Er ist ganz in seinem Beruf aufgegangen", sagt Uschi Wendrich, die dem Mediziner in all den Jahren den Rücken frei hielt.

In die Börde kam der aus dem Brandenburgischen stammende junge Arzt damals nur deshalb, weil man ihm für seine Facharztausbildung in Berlin keine Stelle anbieten konnte oder wollte. "Randberliner hatten da wenige Chancen, man zog die Sachsen vor", sagt er dazu. Und so landete er zunächst im Kreiskrankenhaus Bahrendorf. Dort absolvierte er seine Facharztausbildung, denn er wollte unbedingt Internist werden.

"Weit weg vom Schuss war ich mein eigener Chef"

Bald vertraute man ihm die Infektions- und Geriatrieabteilung des Kreiskrankenhauses an, die im ehemaligen Herrenhaus in Ovelgünne untergebracht war und über 70 Betten verfügte. "Es hatte den Vorteil, dass man weit weg vom Schuss war", urteilt er heute, "denn ich war der einzige Arzt im Haus und mein eigener Chef." Das bedeutete für ihn aber auch anstrengende Dauerbereitschaft in Reichweite des Telefons, denn Handys gab es ja noch nicht. Doch der Umgang mit überwiegend alten Menschen lag ihm sehr, man mochte und verehrte ihn. Über Gebühr gefordert wurde "sein" Haus bei auftretenden hochinfektiösen Ruhr-Fällen oder bei dem schweren Eisenbahnunglück bei Ummendorf, von wo aus zahlreiche Verletzte zur Erstversorgung nach Ovelgünne gebracht worden waren.

Die Öffnung der innerdeutschen Grenze leitete die Schließung seiner Abteilung in Ovelgünne und später die des Kreiskrankenhauses ein. Horst Wendrich, der inzwischen promoviert hatte zum Thema: "Häufigkeit, Art und Verlauf der Schlaganfälle in einem Landkreis" und vom Leiter der Prüfungskommission gehört hatte: "Nach langer Zeit einmal wieder eine vorzügliche Arbeit", eröffnete am 1. April 1991 seine eigene Praxis in der Wormsdorfer Straße in Eilsleben.

Vieles im Leben von Horst Wendrich verlief parallel zu dem seines Zwillingsbruders Klaus. Abitur, Wehrpflicht, Medizinstudium, eigene Arztpraxis. Mit einer tragischen Ausnahme: Klaus starb 1997 in seiner Praxis in Bernau, Horst konnte nach einem Schlaganfall in der Praxis in Eilsleben per Hubschrauber in kürzester Zeit in die Stroke Unit (Schlaganfall-Einheit) der Uni-Klinik Magdeburg geflogen werden. "Wer da landet, ist gut dran", sagt er kurz, und ist besonders seiner Berufskollegin Annette Krämer dankbar, die sich bei dem fliegenden Notarzt dafür eingesetzt hatte, dass er dorthin kommt.

In der Uni-Klinik ging es ihm nach einer erfolgreichen Sofortlyse (Auflösung des Blutgerinnsels) dann auch von Stunde zu Stunde besser. Die Lähmungserscheinungen gingen schnell zurück. Nach wenigen Wochen praktizierte er wieder, musste sich allerdings von seinen Mitarbeiterinnen mehrere Monate in die Praxis und zu Hausbesuchen fahren lassen. "Dass er schnell wieder arbeiten konnte, war für ihn ganz wichtig", sagt Ehefrau Uschi, "denn er selbst ist ein unvernünftiger Patient."

Am 7. Juni will er nun die Praxis schließen. "Froh bin ich darüber, dass ich mit der ganzen Verwaltungsbürokratie nichts mehr zu tun haben werde, denn der immer größer werdende Umfang musste abends oder an Wochenenden bewältigt werden", meint Horst Wendrich.

"Werde mich mit dem Internet anfreunden"

Aber auch Ärger nimmt er mit in den Ruhestand. Nämlich darüber, dass er keinen Nachfolger für seine Praxis gefunden hat und seine beiden Mitarbeiterinnen in die Arbeitslosigkeit schicken muss. "Mit meiner MTA Siegrid habe ich immerhin 36 Jahre sehr gut zusammengearbeitet."

Konkrete Pläne darüber, was er mit seiner Freizeit anfangen wird, hat er eigentlich noch nicht. Intensiver als bisher wird er sich aber dem Sportgeschehen widmen, denn besonders Fußball interessiert ihn sehr. Er sei ein Fan von Dortmund, und das schon lange. Nicht erst jetzt, wo die Borussen Meister geworden seien. "Erst einmal werde ich nun versuchen, den normalen Tag-Nacht-Rhythmus zu finden und dann auszuschlafen. Dann werde ich auf Reisen gehen, viel Krimis lesen, mich mit dem Internet anfreunden, es zu verstehen lernen und meine Grünanlagen rund ums Haus in Ovelgünne pflegen", denkt er. Sicher ist jetzt schon, dass er, wie all die Jahre zuvor, täglich mit seiner Frau Karten spielen wird. Und er will weiter mit Karten Patiencen legen, denn das lenkt ab. "Schließlich ist es nicht so einfach, eine Praxis aufzugeben", meint der angehende Ruheständler. Dabei steht ihm nicht gerade Freude ins Gesicht geschrieben.