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30 Jahre Mauerfall Vom Berg der Teilung zum Einheitssymbol

Wie im Dezember 1989 haben sich am 3. Dezember 2019 Hunderte Wanderer auf den Weg zum Brocken gemacht.

Von Holger Manigk 04.12.2019, 14:14

Wernigerode l Der Brocken weckt bei Harzern Emotionen wie kein zweiter Berg. Das zeigte sich vor 30 Jahren, als Wanderer aus Ost und West mit einem Sternmarsch die Öffnung des Sperrgebietes erzwangen – und genauso am gestrigen Dienstag. Die Gefühle vom 3. Dezember 1989 an jüngere Generationen weiterzugeben sei ein schwieriges Unterfangen, sagte Harzklub-Ehrenpräsident Michael Ermrich in seiner Festrede am Gedenkstein unterhalb des Plateaus. „Die, die damals dabei waren, werden immer weniger.“

Der ehemalige Harzkreis-Landrat zählte an jenem sonnig-kalten Wintertag zu einer Wandergruppe, die sich von Ilsenburg aus unter Führung von Ortwin Ringleb und Erich Kissner auf den Weg zum höchsten Harzgipfel machte. Dort trafen sie Tausende andere mit dem gleichen Ziel: „Freie Bürger, freier Brocken“, „Der Brocken ist auf, wann ist der Brockenlauf?“ und „Pik Lenin der Sowjetunion, den Brocken aber uns“ – war auf mitgebrachten Spruchbändern unter anderem zu lesen.

Die ersten machten kehrt mit der Befürchtung: „Da kommt heute keiner mehr rein.“ Doch unbeirrt verharrten Wanderer aus Ost und West am Brockentor, diskutierten mit den Grenzern, erinnert sich Ermrich. „Wir konnten seit dem 9. November nach Hamburg fahren, aber durften nicht auf unseren Berg“, beschreibt Peter Günnel, warum er damals in der ersten Reihe vor dem Brockentor stand. Der Wernigeröder und seine Mitstreiter wären im Notfall „so lange geblieben, bis es ein Einsehen gibt“.

Als es schließlich 12.45 Uhr „Betreten in kleinen Gruppen“ hieß, gab es kein Halten mehr. „Wir hatten unseren Brocken wieder und der Harz hatte – fast einen Monat nach dem Mauerfall in Berlin – seinen friedlichen Mauerfall“, so Ermrich. „Solche „Emotionen habe ich danach nur noch einmal erlebt – das war wieder hier am Brocken“, als Tausende Wanderfreunde 1991 die Wiederinbetriebnahme der Brockenbahn feierten.

Seither sei der Berg zum Symbol für die Einheit des Harzes geworden. „Diese Erinnerung wachzuhalten, lohnt sich“, pflichtete ihm Goslars Oberbürgermeister Oliver Junk (CDU) bei. Das sei eine der Kernaufgaben des Harzklubs, mahnte der Präsident der Gesamtorganisation in seiner Festrede im Goethesaal. Ihn mache es betroffen, „dass offenbar immer weniger Menschen etwas für Tage wie diesen übrig haben“, sagte Junk im vollbesetzten Goethesaal.

Immerhin sei der Fall der Brockenmauer Initialzündung für die Gründung von vielen Harzklub-Zweigvereinen im Osten gewesen. Bereits im April 1990 erschien die erste länderübergreifende Wanderkarte mit den neuen Wegen.

Wie schmerzlich die Sperrung dieser Pfade zum Gipfel von 1961 an 28 Jahre lang war, empfand Landrat Martin Skiebe (CDU) nach: „Bei Wanderungen mit meinen Eltern und Großeltern kamen wir oft an Orten mit dem Namen Brockenblick vorbei.“ Doch die Erwachsenen hätten ihm – oft mit Tränen in den Augen – erklärt: „Du kannst den Berg zwar sehen, aber niemals erreichen.“ Diese vor 30 Jahren gewonnene Freiheit zu bewahren und die Ost-West-Grenze in den Köpfen abzubauen, sei ein großer Verdienst des Harzklubs. „Und eine Verpflichtung für die nächsten Generationen“, so Skiebe.

Den Mutigen, die den friedlichen Sturm auf das mit einer 2,7 Kilometer langen Mauer abgeschirmte Dach des Harzes wagten, könne man nur danken, ergänzte Sachsen-Anhalts ehemaliger Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre. Der 3. Dezember 1989 „hätte auch anders ausgehen können“.

Dieses Erbe gelte es zu bewahren und gestalten, mahnte Ermrich, der die Einheit der Region noch nicht vollendet sieht: „Das Problem des Harzes: Das Wasser fließt bergab. Jeder versucht, ein Stück davon zu vereinnahmen.“ Dabei sei die Gegend um den Brocken „historisch vielleicht nicht, aber heute schon eine eigenständige starke Wirtschaftsregion“.