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Coronavirus Brockenbauer startet in die Saison

Mit dem Harzer Roten Höhenvieh hat sich Brockenbauer Uwe Thie­lecke eine Existenz aufgebaut. Trotz Corona-Krise bleibt er optimistisch.

Von Karoline Klimek 27.04.2020, 01:01

Tanne l Entspannt stehen sie in der Sonne, suchen die Nähe zur Gruppe, beschnuppern sich. Von Corona und den Kontaktverboten bekommt das Rote Höhenvieh nichts mit. Die Tiere genießen gemeinsam die Weite der Bergwiese und das frische Weidegras, auf das sie einen Winter lang verzichten mussten. Mitte April wurden sie ausgetrieben, ihre Arbeitssaison beginnt.

Für ihren Besitzer, Brockenbauer Uwe Thielecke aus Tanne, sehen die aktuellen Zeiten nicht ganz so unbeschwert aus. Doch er mache das Beste draus und sei optimistisch, verrät er. Schließlich gebe 2020 viele Anlässe zum Glücklichsein.

Es war der 15. April 1995, als der heutige Landwirt seine erste Harzkuh sein Eigen nennen durfte. Das Datum hat Uwe Thielecke noch ganz genau im Kopf. Denn an dem Samstag vor 25 Jahren feierte er seinen 30. Geburtstag. „Meine Frau hat mir das Kälbchen Elsa geschenkt. Und von da an ging das als Hobby los“, erinnert er sich an die Anfänge.

Beide haben Landwirtschaft studiert, zu DDR-Zeiten unter der Bezeichnung Tierproduktion. Doch ihr Geld verdienten sie auf andere Weise – er als Maurer und Polier im Hochbau, sie als Pharmareferentin im Außendienst. Parallel begannen sie mit der Zucht des nach der Wende fast ausgestorbenen Harzer Roten Höhenviehs. 2004 wagten sie den kompletten beruflichen Wechsel, meldeten ihren Betrieb als Haupterwerb an. „Wir haben uns in die Rasse verliebt und mittlerweile haben wir die größte Population in Deutschland aufgebaut“, blickt Uwe Thielecke zufrieden auf die Entwicklung.

Derzeit gehören dem Brockenbauer rund 500 Rinder. Bald schon beginnen jedoch die ersten Kühe zu kalben. Im Durchschnitt werden 150 Tiere pro Jahr geboren, die gleiche Anzahl aber auch wieder geschlachtet. Zweieinhalb bis drei Jahre alt wird das Rote Höhenvieh, bevor es als Steak auf dem Grill oder Wurst in der Auslage endet.

Um das Leben seiner Tiere besonders wertzuschätzen, achtet Uwe Thielecke auf eine möglichst ganzheitliche Verwertung. Das heißt, nicht nur die besten Stücke des Fleisches kommen auf den Tisch, auch die Innereien und Knochen werden weiterverarbeitet. An den Endkunden wird sowohl im Restaurant als auch im Hofladen verkauft, geschlachtet wird in der hauseigenen Bio-Fleischerei.

Das umfassende Betriebskonzept hat die Familie 2015 umgesetzt. „Das war unser Durchbruch. Das gesamte Konzept ist einfach rund. Wir haben keinen Händler mehr dazwischen“, ist Uwe Thielecke stolz auf das Erreichte. „Natürlich müssen wir Produkte wie Kartoffeln oder Gewürze dazu kaufen, aber das Hauptprodukt Fleisch kommt ausschließlich aus unserem Betrieb.“

Bei der Bewirtschaftung des Hofs packen alle mit an. Die Töchter Julia und Sarah sind nach ihrer Ausbildung in den Familienbetrieb eingestiegen, der Schwiegersohn in spe, Marvin Freistein, ist als Fleischermeister dabei. Ehefrau Susann halte alles zusammen, auch wenn sie hauptberuflich weiterhin in der Pharmaindustrie arbeitet und sich darüber hinaus in der CDU-Fraktion im Stadtrat und als Vorsitzende des Sozialausschusses engagiert.

Bis vor Kurzem waren auf dem Hof zudem 15 Mitarbeiter beschäftigt. „Wir haben aufgrund der Corona-Krise 70 Prozent Einbußen im Hofladen und 100 Prozent im Restaurant. Ich musste daher als Betriebsleiter die schwere Entscheidung treffen und die Hälfte von ihnen entlassen“, bedauert Uwe Thielecke. Die meisten wollen wiederkommen, wenn es Richtung Normalität gehe. „Ich hoffe, dass wir Anfang oder spätestens Mitte Mai unsere Gastronomie wieder aufmachen dürfen“, zeigt sich der Landwirt optimistisch.

„Wir arbeiten gerade an neuen Konzepten, beispielsweise an einer Selbstbedienungsstrecke im Außenbereich, damit der Kontakt zur Kellnerin minimiert wird. Gemeinsam mit der Belegschaft suchen wir nach Ideen“, verrät er. So solle auch eine Notspeisekarte zusammengestellt werden, um sich langsam an die noch ungewissen Gästezahlen heranzutasten.

Denn eines werde zumindest am Anfang bleiben: Unsicherheit. Die ist es auch, die die Kundschaft des Hofladens zurückhält, schätzt Uwe Thielecke ein. „Der Großteil unserer Kunden sind Urlauber. Die fehlen jetzt natürlich komplett“, erzählt er. „Aber auch die Städter, die sonst zu uns kommen, bleiben zu Hause. Wir haben zum Beispiel Stammkunden aus Magdeburg oder Niedersachsen, die sich nicht mehr trauen, hierher zu kommen.“ Der Großteil sei eben auch älter.

Der Landwirt muss reagieren. „Als die Krise losging, haben wir noch normal geschlachtet. Doch auch die Hotels haben ihre Bestellungen abgesagt. Zur Zeit schlachten wir deshalb deutlich weniger“, informiert der 55-Jährige. Beholfen hatte sich der Betrieb zunächst mit einem Aktions-Verkauf von Rindfleisch-Paketen. Auch die Angler Sattelschweine, die normalerweise für das Restaurant geschlachtet werden, wurden in Form von Würsten und Steaks an den Mann gebracht, passend zur beginnenden Grillsaison.

Dennoch sei der Umsatz deutlich zurückgegangen. Dabei seien die Voraussetzungen für einen sicheren Einkauf optimal. „Wir können zwei Türen öffnen, sodass sich die kommenden und gehenden Kunden nicht begegnen. Und wir haben zur Bezahlung im Hofladen einen Geldautomaten. Das ist allein schon wegen der Fleischhygiene wichtig. So kommt die Verkäuferin nie mit dem Geld in Berührung“, erklärt er. Der Hofladen bleibe auch weiterhin täglich von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Auch das Streichelgehege, in dem drei Harzziegen mit ihrem neuesten Nachwuchs wohnen, könne in Familie besucht werden.

Das Leben auf dem Hof stehe eben niemals still. Und so arbeitet auch Uwe Thielecke schon wieder an einer neuen Idee. Da er auf die Zucht gefährdeter Rassen spezialisiert ist, habe das Landwirtschaftsministerium ihn gefragt, ob er Leicoma-Schweine in seinen Bestand aufnehmen wolle. „Die Rasse wurde in den drei DDR-Bezirken Leipzig, Cottbus und Magdeburg gezüchtet. Daher kommt auch der Name. Mittlerweile sind sie vom Aussterben bedroht“, erzählt er.

Einen ersten Leicoma-Eber habe er sich bereits gekauft. Zunächst wolle er den Zuchterfolg über eine Kreuzung mit den Sattlerschweinen getestet. 15 Ferkel in drei Würfen seien unlängst geboren worden. Das vorsichtige Rantasten bei der Zucht habe einen Grund: „Bei Schweinen ist das wirtschaftliche Risiko höher, weil wir das Futter dazukaufen müssen“, gibt Uwe Thielecke zu bedenken.

Beim Harzer Höhenvieh dagegen steht das Futter auf den größtenteils gepachteten Bergwiesen. Und für das Beweiden zahlen die Besitzer, darunter das Land Sachsen-Anhalt, sogar Geld. „Die Landschaftspflege ist unsere größte Einnahmequelle. Das Fleisch ist, böse gesagt, nur ein Abfallprodukt“, verdeutlicht der Landwirt. „Wenn auch ein besonders schmackhaftes.“