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Corona Sehnsucht nach Normalität

Bewegung in der Gruppe - in der Corona-Krise nicht denkbar. Wernigeröder Sportvereine hoffen auf weitere Lockerungen.

Von Katrin Schröder 28.06.2020, 03:00

Wernigerode l Die Bälle fliegen von einer Seite der Kohlgartenhalle zur anderen. Die roten und blauen Markierungen auf dem Hallenboden zeigen den Jungen, wo sie zu stehen haben – jeweils in gebührendem Abstand zum Nebenmann. „Wir trainieren komplett körperlos“, erklärt Tobias Kerkau, Trainer der C-Jugend des Handballvereins Wernigerode (HVW). Seit die Sporthallen der Stadt wieder freigegeben sind, üben die Nachwuchssportler wieder zweimal die Woche – doch so wie vor Corona ist es nicht.

Vor allem dürfen die Handballer sich nicht zu nahe kommen. Laufen, werfen, antäuschen – alles ohne Körperkontakt. Die Jugendlichen seien diszipliniert, sagt Tobias Kerkau – auch wenn man sie manchmal an die Abstandsregeln erinnern muss, die in der Schule nicht überall mehr zwingend sind. Hände waschen ist Pflicht, jeder hat seinen eigenen Ball, und wenn gepasst wird, werfen immer die gleichen Spieler im Duo. „Nach jeder Übung desinfizieren wir die Bälle“, so Kerkau.

Die Regeln gelten so oder so ähnlich für alle Vereine, die städtische Sportanlagen nutzen. Mindestens eineinhalb Meter Abstand, kein Wettkämpf, keine Zuschauer: Das müssen alle einhalten. Die Details hängen von der Sportart ab. „Jeder Verein muss sich an das Hygienekonzept seines Landesverbandes halten“, sagt Silvia Lisowski, Amtsleiterin für Schule, Kultur und Sport in der Wernigeröder Stadtverwaltung. Seit am 4. Mai die Sportplätze geöffnet wurden, nehme das sportliche Leben wieder an Fahrt auf. Neun Vereine trainieren dort unter freiem Himmel – von den Leichtathleten bis zu den Fußballern.

Die Sporthallen wurden am 28. Mai freigegeben. Die Stadt versuchte, möglichst schnell und unbürokratisch zu reagieren, betont Silvia Lisowski. „Unsere Vereine haben schließlich lange verzichten müssen.“ In Windeseile haben man die nötigen Vorbereitungen getroffen, zum Beispiel Kapazitätsgrenzen festgelegt. „Wir haben jede Sporthalle angesehen und festgelegt, wie viele Personen dort Sport treiben können.“ Der Raum sei großzügig bemessen worden, betont Claudia Dalichow, Sachgebietsleiterin Sport. „Man muss mit Augenmaß schauen, wie man die Hallen belegt.“ Wer sich bewege, brauche mehr Platz als zehn Quadratmeter, die pro Person etwa in Geschäften veranschlagt werden.

Zudem wurden Laufwege abgesteckt, Desinfektionsmittel aufgestellt. Nach jeder Benutzung werden die Umkleiden gesäubert, täglich werde jede Halle komplett gereinigt, so Silvia Lisowski. Die Basis dafür hätten die Mitarbeiter in der Corona-Sperrzeit mit einer vorgezogenen Grundreinigung gelegt: „Jede Matte wurde desinfiziert.“

Zehn Vereine trainieren seit Anfang Juni wieder in den fünf Sporthallen der Stadt. Allein der Wernigeröder Sportverein (WSV) Rot-Weiß ist mit acht Abteilungen vertreten. Zum Vergleich: Vor der Corona-Krise haben 26 der insgesamt 54 Wernigeröder Sportvereine die Anlagen der Stadt genutzt.

Weil weniger Sportler als zuvor in die Hallen dürfen, sind die Trainingszeiten knapp. Die Zuteilung sei aber ohne Hauen und Stechen abgelaufen. „Die Solidarität unter den Vereinen war groß“, sagt Silvia Lisowski. Sie lobt ihre Mitarbeiter und die Aktiven, die die Hygiene-Regeln einhalten. „Die Vereine ziehen toll mit, sind sehr diszipliniert.“

Das liege im eigenen Interesse, sagt Mario Vordank. Der Wernigeröder leitet gemeinsam mit Mandy Klapproth die Geschäftsstelle des WSV, mit 1586 Mitgliedern in 23 Abteilungen der größte Sportverein im Harzkreis. Die Gesundheit der Mitglieder stehe an erster Stelle. Zudem sei jeder froh über Hallen- und Platzzeiten und wisse, dass man sie bei Verstößen verliere, sagt der Vereinskoordinator. „Das will keiner riskieren.“

Bei den Sportlern herrsche durchweg Freunde über den Neustart, trotz sehr unterschiedlicher Auflagen. „Jede Abteilung hat andere Übergangsregelungen.“ Während die Reiter kaum eingeschränkt seien, ist bei Ringern und Boxern lediglich Koordinations- und Fitnesstraining angesagt – etwa mit Treppenläufen an der Sprungschanze.

Auch Floorballer und Karateka trainieren kontaktlos, üben Schlagabfolgen, feilen an der Technik und absolvieren Krafttraining. Es ist ein Fortschritt gegenüber der Sperrzeit, in der Trainer nur digital mit ihren Schützlinge kommunizieren konnten. „Die Abteilungen waren kreativ“, berichtet Vordank. Es gab Schulungsvideos und Online-Schachturniere. „Für uns war es wichtig zu zeigen, dass wir auch in dieser Zeit für unsere Mitglieder da sind“, sagt Vordank. Per Rundbrief und Handynachrichten habe man versucht, regelmäßig zu informieren. Manches habe gut funktioniert. „Man freut sich aber jetzt, die Sportfreunde wiederzusehen.“

Priorität für den Neustart hat der Nachwuchs. Viel Arbeit für Geschäftsstelle und Abteilungsleiter: „Der bürokratische Aufwand war riesig“, sagt Vordank. Anträge für Hallenzeiten waren zu stellen, die eigenen Räume – Trendsporthalle, Ringerhalle, Gymnastikraum und Kegelbahn – für die neuen Bedingungen auszurüsten.

In vielen Abteilungen läuft der Betrieb – den Umständen entsprechend. Die Volleyballer spielen zu viert in der Beachvariante, Erwachsene turnen im Freien. Die Abläufe beim Reha-, Gesundheits- und Trendsport sind streng reglementiert. Klebeband am Boden zeigt, wo man stehen, sitzen und turnen darf. „Jeder bringt die eigene Matte mit“, so Vordank. Man könne mit den neuen Regeln zwar leben. „Doch wir sehnen uns nach Normalität.“

Seit 8. Juni sind die Wassersportler in ihrem Element. Montags bis donnerstags können sie knapp drei Stunden lang zwei Bahnen im Waldhofbad belegen. Das Angebot nutzt zum Beispiel der Harzer Schwimmverein (HSV). „Sobald die Sportstätten offen waren, haben wir sie genutzt“, sagt der Vereinsvorsitzende Volker Hoffmann.

Zwei von vier Nachwuchsgruppen trainieren im Freibad. Die Jugendlichen im Alter zwischen zehn bis 16 Jahren kämen im noch recht kühlen Nass zurecht, so Hoffmann. Mit den Jüngeren fahren die Trainer nach Halberstadt ins Schwimmbad. Die Erwachsenen halten sich mit Nordic Walking, Frühlingsgymnastik und Ausdauerschwimmen fit.

Wegen Corona mussten die Schwimmer sechs große Veranstaltungen absagen, darunter die Bestenermittlung am 16. März. „Das wurde einen Tag vorher abgesagt“, berichtet Hoffmann. Er hat die Zeit genutzt, um die Geschäftsstelle auf Vordermann zu bringen. Zugleich schickten die Trainer Anleitungen für Übungen daheim, luden sie dann, sobald möglich, zu Sportspielen im Freien ein.

Den Kontakt halten, das ist die Maxime – nicht immer mit Erfolg. Die Pause habe manchen bequem werden lassen. „Es ist schwierig, alle Sportler und ihre Eltern wieder zu aktivieren.“ Andere wiederum freuen sich, wieder ihre Bahnen ziehen zu dürfen. Dafür nehmen Hoffmann und seine Mitstreiter Mühen in Kauf. „Der Kraftaufwand ist enorm, vor allem im organisatorischen Bereich“, berichtet er. Die Hygieneregeln könne man aber gut einhalten. Abstand sei meist kein Problem, das Chlorwasser schütze vor Ansteckung. Derzeit bereitet Volker Hoffmann das jährliche Zeltwochenende und einen Segeltörn im August vor. Auch wenn vieles mit Zweifel behaftet sei. „Alle sind sehr verunsichert.“ Doch nicht nur der Sport selbst sei wichtig: „Es geht uns auch darum, die sozialen Kontakte wieder herzustellen. Breitensport ist auch Sozialarbeit. Das liegt uns sehr am Herzen.“

Das sieht Stefan Christiansen genauso. „Die soziale Komponente ist das Wichtigste, was die Vereine der Stadt geben können“, sagt der Öffentlichkeitsarbeiter des HVW. Auch die Handballer versuchten, in der Schließzeit am Ball zu bleiben – über die Volksstimme, soziale Netzwerke sowie die eigene Homepage. Christiansen kramte im Archiv, zeigte alte Fotos, es gab Wettbewerbe per Video und Internet. „Wir haben versucht, das Vereinsleben ein wenig am Leben zu erhalten.“

Das hat durch die Corona-Krise gelitten: Das 20-jährige Vereinsjubiläum wurde ebenso abgesagt wie das Fest zum Zehnjährigen des Jugendcamps. Das Fehlen des Vereinssports habe bei vielen eine Lücke ins Leben gerissen, sagt Christiansen. „Das Problem ist, dass die Jugend keine Struktur mehr hatte.“ Vielen hätten ihre Zeit vor Bildschirmen verbracht, familiäre Konflikte häuften sich. Entsprechend froh seien viele, wieder ins Training zu starten.

Ebenso vermissen die Fans ihre Mannschaften, die in den Startlöchern stehen. „Wir hoffen, dass es bald wieder losgeht. Wir sind heiß“, so Christiansen. Auch die C-Jugend will losstürmen, sagt Trainer Kerkau. „Das ist eine richtig eingeschworene Gemeinschaft.“ Doch so schön der Neustart sei: „Ohne Körperkontakt ist Handball nur die Hälfte.“