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Hilferuf Rathaus und Brocken im roten Licht

Die Lage der Veranstaltungsbranche ist bedrohlich. In der Nacht zu Dienstag wollen die Akteure Zeichen setzen, auch in Wernigerode.

Von Julia Bruns 21.06.2020, 21:05

Wernigerode l Der Brocken soll in der Nacht von Montag auf Dienstag rot leuchten und damit ein Zeichen setzen. Und nicht nur der höchste Harzgipfel wird illuminiert: Plätze und Gebäude in ganz Deutschland werden in der „Night of Light“ (zu deutsch: Nacht der Lichter) rot angestrahlt, auch das Wernigeröder Rathaus und das Goslarer Rathaus werden in rotes Licht getaucht. Die alarmierende Signalfarbe soll auf die Lage jenes Wirtschaftszweigs hinweisen, der als erstes von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen war und voraussichtlich als letztes wieder an den Start gehen darf: die Veranstaltungsbranche.

Seitdem die Bundesregierung Veranstaltung am 10. März verboten hat, wurde praktisch über Nacht rund 1,5 Millionen Menschen die Lebensgrundlage entzogen, heißt es in einer Pressemitteilung zur Aktion, an der sich deutschlandweit über 4000 Unternehmen beteiligen. Auch die städtische Tochtergesellschaft, die Wernigerode Tourismus GmbH (WTG) beteiligt sich.

Vor fast genau 100 Tagen habe mit der „Night of Songs“ mit Ulla Meinecke das letzte Konzert im Fürstlichen Marstall stattgefunden. Seitdem wurden in Wernigerode dutzende Veranstaltungen abgesagt oder verschoben. „Darunter Veranstaltungen mit Markus Lanz, Olaf Schubert und Jürgen von der Lippe im Fürstlichen Marstall und KiK Wernigerode, der internationale Klavier-Wettbewerb ‚Neue Sterne, Whisky Harz und Tattoo & Arts Wernigerode, Sportveranstaltungen, wie E-Bike Your Life und die 24h Trophy sowie Feste und Märkte, wie die Walpurgis, der Museumsfrühling, das Neustadter Weinfest und auch das für dieses Wochenende geplante 56. Wernigeröder Rathausfest“, heißt es in der Pressemitteilung der WTG.

Christian Legler bereitet derweil am Montagabend die spektakuläre Aktion auf dem Brocken vor. Seine Wernigeröder Eventagentur Studio D4 und der Veranstaltungstechnikdienstleister Ton- und Lichtfabrik aus Blankenburg werden gemeinsam mit dem Brockenwirt die ‚Night of Liht‘ in 1141 Meter Höhe vorbereiten. Relativ einfach sei es, den Gipfel weithin sichtbar anzuleuchten, sagt er. „Es sind 50 Scheinwerfer, die wir da positionieren. Damit werden wir das Brockenhotel und die Antenne anleuchten“, erklärt der Event-Unternehmer. Von 22 bis 1 Uhr könne das Lichtspektakel bewundert werden, wenn alles glatt läuft.

Warum er das macht? „Meine Hoffnung ist, dass sich die Politik mit der Situation in der Veranstaltungswirtschaft auseinandersetzt und nicht kategorisch alles absagt“, sagt er im Volksstimme-Gespräch. Er klingt frustriert, wenn er darüber spricht, dass für seine Branche bisher kein Ende absehbar sei. „Man hat das Gefühl, man will eine ganze Branche komplett abschalten“, sagt er.

Er wünsche sich, dass wenigstens darüber nachgedacht werde, wie es für die vielen Menschen, die in dem Bereich tätig sind, weitergehen kann. „Wir haben das Gefühl, je lauter man brüllt, desto eher findet man Gehör.“ Mittlerweile habe er den Eindruck, der Bundesregierung lägen die Urlaubsorte in Spanien und Griechenland mehr am Herzen als die Veranstaltungswirtschaft.Für Christian Legler hatte 2020 als Freudenjahr begonnen: 20 Jahre gibt es seine Produktionsfirma Studio D 4 bereits. „Unsere Jubiläumsfeier und mein 40. Geburtstag waren die letzten Feiern, die hier stattfanden am 7. März“, blickt er zurück. Das Unternehmen ist federführend in aufwändige Fernseh-Produktionen für das ZDF und Privatfernsehen sowie in Großveranstaltungen wie die Silvesterfeier vor dem Brandenburger Tor in Berlin involviert, sorgt aber auch regional beispielsweise beim Wernigeröder Wintermarkt oder der Walpurgis in Schierke dafür, dass Bühnen stehen, Lichttechnik, Sicherheitsvorkehrungen zuverlässig laufen.

20 Mitarbeiter beschäftigt der 40-Jährige direkt im Unternehmen. „Doch da wir aber als Produktionsfirma Aufträge in Millionenhöhe verteilen, hängen viele Dienstleister an uns dran, die mit uns Umsatz machen. Das ist eine Wertschöpfungskette ohne Ende“, erklärt der Wernigeröder.

Nun sieht er eine Reihe von Unternehmen von einer Pleitewelle bedroht. Denn ein Ende der Restriktionen sei bisher nicht abzusehen. Kleinere Veranstaltungen dürften zwar wieder angeboten werden, doch seien die Auflagen dermaßen streng, dass ein wirtschaftliches Arbeiten kaum möglich sei. „Und wir müssen unfassbar viele Veranstaltungen absagen – das kostet Geld und bringt kein Geld“, sagt der Familienvater. „Termine werden verschoben. Das hat zur Folge, dass ich neu kalkulieren muss, zum Beispiel für das Kaiserpfalz Open Air, das auf nächstes Jahr verschoben wurde. Doch die Dienstleister, die ich dafür derzeit anfrage, können mir keine Zahlen nennen, weil sie heute nicht wissen, ob es sie nächstes Jahr überhaupt noch gibt“, so Legler.

Er hat in der Corona-Zeit trotz aller Restriktionen Veranstaltungen auf die Beine gestellt, wie er im Gespräch darlegt. Die Autokinos in Goslar und Wernigerode hat seine Firma unter anderem bei der Umsetzung unterstützt. Finanziell gerechnet habe sich das nicht. „In Wernigerode wurde es eingestellt, in Goslar läuft es bis Ende Juni“, berichtet er. „Wir bieten Streamings an, aber das reicht, um die Betriebskosten zu decken, aber auf keinen Fall, um die Mitarbeiter aus der Kurzarbeit zu holen.“ Er steckt voller Ideen: Demnächst öffne er in Blankenburg auf dem Großparkplatz an der Oesig mit Blick zum Regenstein einen bewirtschafteten Campingplatz für Wohnmobile. Und in Wernigerode baut das Unternehmen auf dem Anger ein 50 Meter hohes Riesenrad auf.

Weder ihm noch anderen Beteiligten der „Night of Light“ gehe es darum, „Festivals zu machen, koste es, was es wolle, sondern um Lösungen“, betont er. Auch Veranstaltungen seien nicht alle gleich. So funkioniere ein Oktoberfest vielleicht nicht, ein Konzert derweil schon. „Mich stört, dass man alles über einen Kamm schert“, sagt er.

Er erwarte die Bereitschaft seitens der Politik und Behörden, sich mit den Unternehmern an einen Tisch zu setzen und über Wege zu sprechen. „Wenn mir einer erklärt, in einem Flugzeug schafft es die Klimaanlage, die Viren aus der Luft zu filtern, dann ist mir nicht begreiflich, warum man es bei einem Konzert nicht mit einem Mundschutz funktionieren kann. Man sollte wenigstens darüber nachdenken: Wie kann es denn gehen?“ Er erwarte, dass ein Dialog gesucht werden, Legler: „So wie man es für die Bundesliga und für die Reisebranche getan hat.“

Gerade die Veranstaltungsbranche sei geprägt durch professionalisierte Abläufe und feste Strukturen, erläutert er. Jeder Ikea-Parkplatz und auch die beliebten Tummelplätze in den Tourismus-Hotspots liefen dagegen unkontrolliert und unstrukturiert. Legler: „Auf der Fußgängerzone von Wernigerode ist jeden Tag eine Großveranstaltung.“

Zwei Dinge nennt er im Volksstimme-Gespräch, die dazu beitragen, dass die Veranstaltungsbranche bisher außer Acht gelassen wurde. Zum einen sei die Branche extrem vielfältig. Es seien nicht nur Event- und Produktionsfirmen betroffen, sondern auch Nachfolgeunternehmen wie Technikdienstleister, Security-Services, Catering-Unternehmen oder Baumaschinenlieferanten und Personalagenturen.

Zum anderen gebe es keinen Dachverband wie im Hotel- und Gaststättengewerbe oder in der Landwirtschaft, der sich für die Interessen stark macht und als Lobbyist auftritt. „Elektro, Veranstaltungstechnik, Künstler, Hotellerie, Dehoga: Es gibt für jede Untergruppe Dachverbände“, erklärt er. „Es gibt keinen Dachverband für die gesamte Branche, was ein Problem ist. Es sind hunderttausende Firmen.“

Er befürchte derweil, dass Großveranstaltungen bis ins nächste Jahr abgesagt werden. Für das nächste Jahr seien die Bücher zwar voll. „Stadtfest, Walpurgis, Rathausfest – normalerweise könnte ich mich zurücklehnen, aber dieses Vertrauen habe ich gerade nicht“, sagt er. „Wir haben momentan unter 5000 Infizierte in ganz Deutschland und wir haben für über eine Million Menschen ein komplettes Arbeits- und Berufsverbot erteilt. Wie wenig sollen es denn noch werden, damit wir wieder arbeiten können?“, fragt er. „Selbst Puffs machen wieder auf. Nur zum Konzert darfst du nicht gehen.“