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Kalkwerk Rübeland In puncto Sicherheit an der Spitze

Der Fels-Standort in Rübeland hat sich vom Unfallschwerpunkt zum Sicherheitsvorbild entwickelt und dafür Gold gewonnen.

Von Karoline Klimek 26.07.2020, 03:09

Rübeland l Stolz blickt Werkleiter Jens Ahrens auf die Anzeigentafel: 607 Tage hat es im Kalkwerk Rübeland keinen Unfall gegeben. Das bestätigen die orange leuchtenden Ziffern. Bei 150 Mitarbeitern inklusive des Tagebaus eine beachtliche Leistung, findet auch Martin Ogilvie, Chef des Bundesverbands der Deutschen Kalkindustrie (BVK). Bei seinem Besuch hatte er als Würdigung eine Goldene Urkunde im Gepäck. Denn das Kalkwerk Rübeland setzte sich mit seiner Statistik an die Spitze der knapp 75 deutschen Kalkwerke und gewann den diesjährigen Arbeitssicherheitswettbewerb.

Der seit 33 Jahren ausgelobte Wettstreit solle „Ansporn und Wertschätzung der Anstrengungen sein, um der Vision Zero näher zu kommen“, meint Martin Ogilvie. Eine Zukunft ohne Arbeitsunfälle, danach streben der Verband und seine Mitgliedswerke. „Arbeitssicherheit ist ein dauerhaftes Ziel, das in den Köpfen der Kollegen gewollt und täglich neu gelebt werden muss“, betont der BVK-Hauptgeschäftsführer.

Dass sich entsprechende Bemühungen lohnen, zeige das Beispiel in Rübeland. Bislang konnte sich das Werk noch nie unter die ersten Plätze mischen, schaffte es durch sein seit 2006 verstärktes Sicherheitskonzept nun auf Anhieb auf Platz eins. „Die Entwicklung in Rübeland ist bemerkenswert. Vorher war das hier der Unfallschwer­punkt schlecht­hin“, gibt Burkhard Naffin, Hauptgeschäftsführer der Fels-Werke GmbH, zu. Im internen Fels-Vergleich habe das Werk in den zurückliegenden Jahren immer schlecht abgeschnitten. „Ich musste den Zähler häufig wieder auf Null stellen“, bekräftigt Sicherheitsbeauftragter Tobias Kurt. Schon das Erreichen der 180 sei außergewöhnlich gewesen.

Denn Unfälle passieren im Kalkwerk schnell. Hitze, schwere Geräte, herunterfallende Steine – die Gefahren lauern überall. „Den größten Anteil haben aber Stolperunfälle, beispielsweise beim Absteigen von Großgeräten“, sagt Tobias Kurt. Egal ob ein eingeklemmter Finger, ein verknickter Fuß oder eine schwerere Verletzung – fällt ein Mitarbeiter nach einem Vorfall mindestens einen Tag aus, fängt die Anzeigentafel wieder von vorn an zu zählen. Da dies schnell passieren kann, ist das Team in Rübeland stolz auf jeden neuen Tag ohne Unfall.

Leicht war und ist das Halten des Ergebnisses nicht, bemerkt Jens Ahrens, Leiter des Rübeländer Kalkwerks. „Es ist ein täglicher Kampf, eine Herausforderung, ein Bewusstseinschärfen“, sagt er. Und vor allem sei es eins: eine Gemeinschaftsleistung. „Es ist nicht nur das, was wir Führungskräfte sagen, sondern vor allem das, was das Team umsetzt. Die Mitarbeiter sind sehr diszi­pli­niert, indem sie sich an die Regeln halten, die vereinbart werden“, lobt Ahrens.

Seit vier Jahren verfolgt das Unternehmen das Thema der Gefahrenvermeidung intensiver. „Wir haben uns von der Produktionskultur hin zur Arbeitssicherheitskultur entwickelt“, meint der Werksleiter. So wurde unter anderem 2018 die Stelle des Sicherheitsbeauftragten geschaffen, zudem wurden die 16 lebensrettenden Regeln, die der Mutterkonzern CRH speziell für Kalkwerke erarbeitet hat, übernommen. Mithilfe dieser sollen Gefahrenquellen für an Maschinen, in der Höhe oder mit Sprengstoffen arbeitende Mitarbeiter ebenso vermieden werden wie für externe Auftragnehmer und die Spediteure.

Monatlich werden laut Jens Ahrens die Punkte mit den Angestellten aufgefrischt. „Nichts ist schlimmer, als wenn die Anspannung nachlässt und man sich sicher fühlt, es aber nicht ist“, warnt er. Hinzu kämen zwanglose Einzelgespräche und Dialoge in Teams, bei denen die Angestellten auf Probleme aufmerksam machen können.

Man wolle im laufenden Prozess dazulernen, meint der Werksleiter. „Das wichtigste ist, dass man Unfälle sowie Beinahunfälle nicht mehr totschweigt. Wir müssen darüber reden.“ So gebe es per E-Mail stets Informationen zu Vorkommnissen an den weltweiten Standorten des CRH-Konzerns sowie jeden Freitag einen Austausch mit allen Werksleitern der deutschen Fels-Werke-Standorte per Videoschaltung. Jede aufgetretene Gefahrensituation werde analysiert und auf mögliche persönliche, organisatorische und technische Schwachstellen untersucht.

Erst vor zwei Wochen sei ein Vorfall in Rübeland Thema in der Leitungsrunde gewesen, wie Jens Ahrens berichtet. Bei einem Radwechsel waren die unter ein Hebewerkzeug geschobenen Eichenbohlen weggeplatzt, der große Kipper fast umgestürzt. Daraus werde nun nicht nur am Standort Rübeland gelernt und neue Technik angeschafft, sondern auch in einem weiteren Werk, in dem bislang beim Reifenwechsel ebenfalls mit Holzbrettern gearbeitet wird.

Damit die Arbeit im Kalkwerk so sicher wie möglich ist, hat die Fels-Werke GmbH laut Ahrens am Standort Rübeland in den zurückliegenden drei Jahren rund 1,5 Millionen Euro investiert. Auf dem Gelände sorgen unter anderem ein Fußgängerüberweg, Leitplanken, Warnbaken und ausgewiesene Parkflächen für mehr Struktur. In den einzelnen Hallen gelten verschiedene Sicherheitsbestimmungen wie das Tragen von Helm, Schutzbrille, Maske oder Ohrenschutz.

Besonders wichtig sei im vergangenen Jahr die Einführung des Lototo-Systems gewesen, führt Jens Ahrens an. Die Buchstaben stehen für die englischen Begriffe lock out, tag out und try out, zu deutsch: abschließen, kennzeichnen, austesten. Stehen in einer Anlage Wartungs- oder Reparaturarbeiten an, wird der Hauptschalter der Maschinen mit mehreren Vorhängeschlössern gesichert – so viele, wie Arbeiter involviert sind. Analog liegt in der zentralen Schaltstelle der Hauptschlüssel in einem gesicherten Kasten. Erst wenn alle Mitarbeiter die Anlage verlassen und mit ihrem jeweiligen Schlüssel die Vorhängeschlösser freigegeben haben, kann die Anlage wieder in Betrieb genommen werden. So wird sichergestellt, dass sich niemand während des Anschaltens im Gefahrenbereich befindet.

Erhöhte Aufmerksamkeit, das Einhalten von Regeln und das Schaffen der entsprechenden Rahmenbedingungen haben gewirkt, wie die Unfallstatistik zeigt. Ausruhen wolle man sich darauf aber nicht, jeden Tag könnte sich das Glück wenden. So wie am 6. November 2018, an dem die Zähleruhr das letzte Mal auf Null gesetzt werden musste. Ein Fahrer sei, so Jens Ahrens, in eine Staubwolke geraten, dort mit einem weiteren Fahrzeug kollidiert. Der Betroffene kam per Rettungshubschrauber ins Krankenhaus, sei aber nicht sehr schwer verletzt worden.

Anders habe das acht Jahre zuvor ausgesehen, als einem Mann, nachdem er überfahren wurde, ein Bein amputiert werden musste. „Ich möchte nicht irgendwann einer Witwe gegenübertreten oder den Kindern erklären, dass sie Halbwaise sind“, sagt Werksleiter Jens Ahrens. „Wir müssen deshalb alle Gefahren vermeiden, die wir vermeiden können.“