1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Wernigerode
  6. >
  7. Für jeden Mini-Einkauf ein Zettel

Kassenbonpflicht Für jeden Mini-Einkauf ein Zettel

Das Kassengesetz ist in Kraft getreten. Was halten die Händler im Harz von diesem Gesetz und wie bereiten sie sich darauf vor?

Von Stephanie Tantius 02.01.2020, 00:01

Wernigerode l „Die Umstellung hat mich ungefähr 25.000 Euro gekostet“, sagt Fleischermeister Mario Hesse aus Dingelstedt. Insgesamt fünf Kassen-Waagen habe er neu angeschafft. „Dabei waren die alten gerade mal acht Jahre alt“, sagt der Metzger.

Schuld daran ist das sogenannte Kassengesetz. Alle Kassen sollen bis Ende September 2020 mit einer technischen Sicherheitseinrichtung ausgerüstet und damit fälschungssicher sein. Dafür muss eine Hard- und Software in alle Kassensysteme eingebaut werden.

Der Anlass für die gesetzlichen Änderungen: Jedes Jahr würden an Geschäftstheken zehn Milliarden Euro Steuern hinterzogen, weil Unternehmen ihre Umsätze falsch oder gar nicht erfassen, schätzt der Bundesrechnungshof. Damit soll jetzt Schluss sein. Die neue Sicherheitseinrichtung in jeder Kasse ermöglicht, dass jede Transaktion protokolliert wird und Umsätze nachträglich nicht mehr gelöscht werden können.

Auch Reinhard Heicke, Inhaber einer Fleischerei in Eilenstedt schätzt, dass ihn das neue Gesetz locker 20.000 Euro gekostet habe. „Wir mussten alles neu kaufen, neue Waagen und neue Software“, sagt er.

Laut Gero Jentzsch vom Deutschen Fleischer-Verband ist der Umbau bei Metzgereien besonders kompliziert, da dort Kassen und Waagen miteinander verbunden seien. Er schätzt, dass pro Laden Kosten von circa 4000 Euro anfallen. Außerdem könne die Hälfte aller Systeme nicht nachgebessert werden. Viele Unternehmen müssten sich neue Kassen-Waagen-Verbunde anschaffen, so Jentzsch. „Ich muss auch noch 14 Mitarbeiter bezahlen. Wenn man sich das nicht leisten kann, kann man den Laden zu machen“, so der Dingelstedter Fleischer Hesse.

Bei den Registrierkassen der Bäckerfilialen, schätzt Steuerexperte Ralf Brügelmann vom Handelsverband Deutschland, liegen die Kosten für die Umrüstung zwischen 300 und 500 Euro pro Kasse. Auch hier müssen viele Geräte ersetzt werden, da sie nicht nachgerüstet werden können, so Roland Ketel vom Verband für Kassen- und Abrechnungssystemtechnik.

Die Verkaufsdaten werden bei den neuen Kassen auf einen Chip gespeichert und über eine Schnittstelle direkt an die Finanzbehörden übertragen. „Wir sind total gläsern“, sagt Fleischer Reinhard Heicke.

Mit der technischen Umrüstung der Geräte ist dem Kassengesetz aber noch nicht Genüge getan. Es verlangt auch, dass jeder Händler jedem Kunden seit 1. Januar einen Beleg ausstellen muss. Egal, wie teuer der Einkauf war und ob der Käufer einen Bon haben möchte oder nicht.

Wieso nun noch eine Belegausgabepflicht? Reichen die fälschungssicheren Kassen nicht? Das Bundesfinanzministerium argumentiert, dass mit einem Bon noch größere Transparenz im Kampf gegen Steuerbetrug hergestellt werden würde.

„Bei mir bekommt jeder Kunde einen Kassenzettel. Der wird ganz automatisch von der Waage ausgelöst“, sagt Metzger Mario Hesse. Auch bei Fleischerei-Inhaber Björn Meister aus Wernigerode ist das so, dennoch sagt er: „Die Kassenbonpflicht ist der größte Quatsch, den es gibt.“ Er denke dabei an die Bäcker, die nun für jedes verkaufte Brötchen einen Beleg ausstellen müssen. „Was das alles kostet und der immense Schaden an der Umwelt. Greta Thunberg lässt grüßen“, so der Fleischer.

Das sieht auch Beate Hoberg, Inhaberin des Cafés Burgstraße in Wernigerode, so. „Wir haben vor ungefähr drei Jahren die Kasse umrüsten lassen“, sagt sie. Dabei hatten sie extra Handys gekauft, um Geld zu sparen. Dort tippen sie und ihre Mitarbeiter über eine App jeden Verkauf ein. Damit können sie auch den Kassenbon auslösen. „Für die Kunden, die einen haben wollen“, betont sie. „Durch das neue Gesetz wird man pauschal kriminalisiert“, sagt Hoberg.

Konditormeister René Silberbach in Wernigerode sagt: „Lediglich 0,05 Prozent der Kunden verlangen einen Kassenzettel. „Außerdem speichert die Kasse doch alle Daten“, so der Inhaber. Auch er musste sein Kassensystem aufgrund des neuen Gesetzes umstellen.

„Ich habe beim Finanzamt einen Antrag auf Bon-Befreiung gestellt“, sagt der Bäcker. Die Chancen seien gering, aber er wolle es versuchen. „Dieser Mehraufwand an Kosten, den ich dadurch habe, ist nicht nachvollziehbar“, sagt er. Im Durchschnitt koste eine Bon-Rolle acht Euro. Der Handelsverband Deutschland rechnet im Einzelhandel mit mehr als zwei Millionen Kilometern zusätzlicher Länge an Kassenbons pro Jahr.

Pascal Heuer ist Verkaufsleiter beim Backhaus Siemer und sagt: „Alle reden über Umweltschutz und wir müssen nun das teure, schädliche Thermopapier in die Luft donnern.“ Heuer schätzt, dass von 100 Kunden gerade mal zwei den Bon mitnehmen – „wenn überhaupt“. „Wenn wir jedem Kunden einen Beleg geben müssen, kostet uns das pro Filiale 400 Euro mehr im Jahr“, sagt der Verkaufsleiter.

Im Januar und Februar will das Backhaus in seinen 46 Geschäften die Kassen ersetzen. „Wir müssen komplett neue Geräte kaufen. Das kostet uns ungefähr 200.000 Euro. Für ein mittelständisches Unternehmen ist das eine enorme Herausforderung. Dieses Gesetz ist eine bodenlose Frechheit“, so der Verkaufsleiter.

Zwei Wochen vor Inkrafttreten des Gesetzes hat Wirtschaftsminister Peter Altmeier (CDU) noch versucht, die Bonpflicht zu verhindern. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hält an der Belegpflicht aber fest. Das Gesetz komme für niemanden überraschend, sagt er. Das neue Kassengesetz war im Jahr 2016 verabschiedet worden.

Rolf Buschmann, Abfallexperte vom Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) sagt: „Die Belegpflicht produziert vor allem Müllberge aus nicht recycelbaren und gesundheitlich problematischen Kassenbons aus Thermopapier. Kriminelle Energie kann man nicht mit einem Kassenzettel verhindern.“ Entscheidender sei die Umstellung der Kassen, so der Experte.

Der Bon könne auch per E-Mail oder über eine App direkt auf das Handy des Kunden geschickt werden, kontert das Bundesfinanzministerium. Die Kasse müsse dann mit einer entsprechenden Software ausgestattet sein. Außerdem müsse der Kunde vorher zustimmen.

In anderen Ländern wie Italien, Portugal, Österreich und Kroatien ist schon seit ein paar Jahren das Ausstellen eines Kassenbons eines jeden Händlers Pflicht.