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Kriegstote Geschichtskrimi endet bei Wernigerode

Der Zweite Weltkrieg ist ein dunkles Kapitel in Wernigerodes Geschichte. Das Rätsel um eine Belgierin, die in Minsleben starb, ist gelöst.

Von Holger Manigk 07.07.2018, 01:01

Minsleben/Wernigerode l Wie ein Detektiv hat Maarten de Lange ein Puzzleteil nach dem anderen zusammengefügt. Sein größtes Problem: Das Opfer seines Krimis ist vor mehr als 70 Jahren verstorben. „Ohne die Hilfe der Lokalhistoriker aus Wernigerode und Minsleben wäre das Rätsel um meine Urgroßmutter nicht zu knacken gewesen“, sagt der junge Belgier.

Seit Weihnachten 2017 recherchiert der 28-Jährige zum Verschwinden von Juliana Leonie Gauwe, wie die Frau hieß. „Von ihrer Tochter, meiner Großmutter wusste ich nur, dass sie und ihr Mann Michel Iterbeke im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiter irgendwo bei Wernigerode schuften mussten“, sagt de Lange. Doch nach Kriegsende sei nur sein Urgroßvater nach Belgien zurückgekehrt. „Wo ist meine Urgoßmutter begraben? Gibt es irgendeinen Gedenkstein, der an sie erinnert?“, waren die Fragen, die ihn quälten.

Also wandte er sich an Wolfgang und Alexander Grothe, die Köpfe hinter dem Online-Geschichtsportal „Wernigerode in Jahreszahlen“. Das Vater-Sohn-Duo suchte Unterstützung bei Matthias Meißner von der Mahn- und Gedenkstätte am Veckenstedter Weg und sowie den Minslebener Ortschronisten, fragte bei Stadtverwaltung und Zentralfriedhof nach. Sie wälzten Akten und Namenslisten von Zwangsarbeiterm, einzig die gesuchte Juliana Gauwe tauchte nirgends auf.

Den Durchbruch brachte schießlich ein Dokument der Kirchengemeinde, auf dem die in einem Massengrab in Minsleben bestatteten Kriegstoten verzeichnet sind. Sie kamen bei einem amerikanischen Luftangriff am 7. April 1945 ums Leben. „Auf dieser Liste ist als einziges Opfer aus Belgien Juliana Iterbeke genannt“, berichtete Wolfgang Grothe dem Belgier. „Liegt hier eine Verwechslung vor? Ist ein falscher Namen eingetragen?“, fragte sich der Hobbyhistoriker.

Nein, „Juliana Iterbeke ist bestimmt Juliana Gauwe“, schlussfolgert Maarten de Lange. Sie sei einfach unter dem Familiennamen ihre Mannes registriert worden – damals keine unübliche Praxis. Als er erfuhr, dass es für die Opfer des Luftangriffs in Minsleben einen Gedenkstein gibt, stand für den freiberuflichen Filmer und Fotografen fest: „Ich muss in den Harz kommen, das Grab besuchen und weiter forschen.“

Als er schließlich mit seiner frisch verheirateten Frau Justina auf dem Friedhof in Wernigerodes Ortsteil steht, begrüßt ihn Christa Lorenz. Dank eines Augenzeugen des Luftangriffs vor 73 Jahren kann die Frau aus dem Dorfchronik-Team de Lange sogar noch mehr Details zum Schicksal seiner Urgroßmutter schildern.

„Sie muss sich auf dem Bahnhof befunden haben. Dort standen zwei Züge – etwas abseits Güterzug ein für Zwangsarbeiter und ein ziviler.“ Juliana Gauwe – oder Iterbeke – müsse in letzerem gesessen haben, da dieser von den Bomben der amerikanischen Flugzeuge getroffen wurde, berichtet Christa Lorenz. „Was die Belgierin vorhatte, ist aber nur schwer zu ergründen.“

Nachdem de Lange am Gedenkstein vor Minslebens Dorfkirche ein Blumen für seine Urgroßmutter abgelegt hat, schießt er noch ein paar Fotos. „Die sind für meine Großmutter – sie soll sehen, wo ihre Mutter starb“. Und: „Ich will nach Wernigerode und Minsleben zurück kehren, mit meinen Großeltern“. Die seien zwar mit 87 und 80 Jahren schon recht betagt, aber „diese Erinnerung dürfen sie nicht verpassen“.