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Mauerfall Brücken zwischen hüben und drüben

Elias Franke und Elisa Luzius sind auf den Spuren von 30 Jahren Grenzöffnung unterwegs. Die Reporter stoppten in Abbenrode.

Von Vera Heinrich 31.05.2019, 18:00

Abbenrode l Hüben und drüben. Ost und West. Damals und heute. Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Abbenrode und Lochtum. Elisa Luzius und Elias Franke sind mit dem Tandem unterwegs am ehemaligen innerdeutschen Grenzverlauf. Selbst gut 30 Jahre alt, gehen die beiden Reporter den Ereignissen 30 Jahre Mauerfall und der folgenden Einheit auf die Spur.

Als Franke und Luzius geboren wurden, stand die Grenze nur noch wenige Monate. Jetzt wollen sie herausfinden, wie es den Menschen in den vergangenen 30 Jahren ergangen ist. Und zwar genau dort, wo früher die innerdeutsche Grenze verlief.

Das Reporter-Duo selbst macht vor, wie ein gelungenes Miteinander zwischen Ost und West geht: So kommt Elisa Luzius aus der BRD, während Elias Franke aus der früheren DDR stammt. Als letzte Generation, die noch im geteilten Deutschland geboren wurde, haben die Reporter kaum etwas vom Leben zu dieser Zeit mitbekommen. Vieles haben sie aus Erzählungen ihrer Familien erfahren, sagen sie.

30 Jahre nach dem Fall der Mauer starten sie vereint in Sachsen-Anhalt eine Tandemtour entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Erste Station ist Bömenzien im Kreis Stendal. Am fünften Drehtag hat es sie nach Abbenrode verschlagen. Dass sie für ihre Tour ausgerechnet ein Tandem ausgewählt haben, ist kein Zufall. „Das Tandem ist ein Symbol der Einheit aus Ost und West. Nur gemeinsam können wir diese Route schaffen“, beschreibt Elias Franke das Sinnbild. Der gebürtige Potsdamer und seine aus Rheinland-Pfalz stammende Kollegin treten als Ost-West-Gespann nicht nur gemeinsam in die Pedale, sondern auch vor die Kamera.

Auf ihrer Tour begegnen sie Einheimischen, Zugezogenen, Geschäftsleuten und Urlaubern. Die Journalisten haben sich gefragt, wie weit das einst geteilte Deutschland in der Zwischenzeit zusammengewachsen ist. Sie stellen in Frage, ob es noch relevant ist, von Ossis und Wessis zu sprechen und wie gelebte Gemeinschaft im vereinten Deutschland aussehen kann. Sie wollen herausfinden: „Sind aus Fremden mittlerweile Freunde geworden? Sind die Nachbarn aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen noch anonym oder kennt man sich?“

Zweifelsfrei kennt man sich in Abbenrode und Lochtum. Nur gut zwei Kilometer voneinander entfernt, arbeiten die Feuerwehren des Nordharzorts und des niedersächsischen Dorfs Hand in Hand. Schon zwei Monate nach der Grenzöffnung zwischen den zwei Ortschaften am 27. Januar 1990 schlossen die beiden Wehren aus den damaligen Landkreisen Wernigerode und Goslar einen Kooperationsvertrag. Der Ehrenwehrleiter des Nordharzdorfes, Günter Stieler, kann sich noch gut daran erinnern, als er mit dem Lochtumer Wehrleiter die Vereinbarung im März 1990 unterzeichnete.

Die Unterschriften des Niedersachsen und Sachsen-Anhalters legten den Grundstein für eine Zusammenarbeit, von der beide Seiten bis heute profitieren. Matthias Kerwel von der Abbenröder Feuerwehr findet, dass die Kooperation nicht nur lohnenswert sei, sondern eine Notwendigkeit. Das Aufgabenspektrum habe sich in den vergangenen Jahren für die Einsatzkräfte erweitert. Gleichzeitig werde die Personaldecke immer dünner.

Mit ihren Partnern aus Niedersachsen führen die Abbenröder gemeinsam die vierteljährlichen Atemschutzübungen durch. Auch der Halb- und Jahresabschluss werden oft zusammen veranstaltet. „Für uns Feuerwehrleute ist das Miteinander ganz normal“, sagt Kerwel. „Die Teilung von damals ist kein Thema mehr.“

So überrascht es nicht, dass die beiden Wehren mit zahlreichen Einsatzkräften, Löschwagen und großem Tamtam dem Filmteam ihr erfolgreiches Zusammenwirken demonstrieren. Elias Franke und Elisa Luzius staunen: „So groß aufgefahren wurde bisher an keinem unserer Drehorte.“

Die Reporter dürfen hautnah bei einer Übung der Feuerwehren dabei sein. Einsatz- und Drehort ist die Brücke der Einheit zwischen Abbenrode und Lochtum. Unter ihr fließt die Ecker, die einst den natürlichen Grenzverlauf zwischen Ost und West markierte.

Die Brücke zwischen Ost und West springt als weiteres Symbol für das Einheitsthema ins Auge. Während das Tandem als Sinnbild von den Reportern bewusst gewählt wurde, ist die Brückensymbolik erst auf den zweiten Blick erkennbar.

Zumal auch in Elias Frankes Biografie eine Brücke im geteilten Deutschland eine markante Rolle spielt. Am 10. November 1989 – einen Tag nach dem Mauerfall – passierte er die Glienicker Brücke von Potsdam nach Berlin. „Als Kleinkind im Kinderwagen, geschoben von meiner Mutter, die sich noch heute daran erinnert“, schildert er.

Für Elisa Luzius waren die Grenzöffnung und die Wiedervereinigung lange kaum ein Thema, gibt sie freimütig zu. „Doch je näher ich an die ehemalige innerdeutsche Grenze gekommen bin, umso mehr änderte sich das“, so die 31-Jährige. Sie habe gespürt, wie sehr das Leben der Menschen, die im ehemaligen Grenzgebiet wohnen, von den historischen Ereignissen geprägt worden ist. „Und das auf beiden Seiten“, wie sie betont.

Im Vorfeld der Dreharbeiten waren Luzius und Franke auf Recherchereise. „Wir haben vor Ort Leute auf der Straße angesprochen. Oder haben direkt an der Tür geklingelt. So haben wir die besten Geschichten gefunden“, berichtet Elisa Luzius.

Und Geschichten erzählen können die beiden Filmemacher. 2018 kooperierten sie bereits für die Doku-Reihe „Zurück in die Herkunft“, die im RBB ausgestrahlt wurde. „Während wir da unsere eigenen Geschichten zum Mauerfall und der Wiedervereinigung geschildert haben, verändern wir für das aktuelle Projekt unsere Perspektive. Jetzt erzählen wir die Geschichten anderer“, berichtet Elias Franke.

Die Begegnungen mit Zeitzeugen sind für die jungen Journalisten bewegend wie vielseitig. In den Interviews kommen bei vielen persönliche Erinnerungen an die bewegte Zeit hoch. Einschneidendes und Alltägliches, Vergangenes und Gegenwärtiges, Trostloses und Aufregendes werden aus ganz privater Sicht geschildert. Neben Geschichten von Verlusten, etwa im Rahmen der Zwangsumsiedlungen in der DDR 1952, und fast ausgestorbenen Orten erfahren sie solche von Versöhnung, Wiedersehensfreude und Hilfsbereitschaft – erlebt und erzählt von Menschen aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen, deren Leben vom Mauerfall und der Wiedervereinigung beeinflusst wurde.

Die Filme sollen ab 24. Juni bei MDR Sachsen-Anhalt heute ausgestrahlt werden.