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Raser Todesfahrt mit 440 PS im Harz

Nach dem tödlichem Unfall in Gernrode beim Harz wird immer klarer, wie der mutmaßliche Unfallfahrer ticken könnte.

Von Dennis Lotzmann 14.06.2020, 13:03

Gernrode l Es habe ausgesehen wie auf einem Schlachtfeld, berichten Beteiligte, die vor einer Woche zum tödlichen Unfall nach Gernrode gerufen worden waren. Nach der Kollision eines schweren BMW-Motorrades mit einem getunten Audi RS 3 hätten die Trümmer weit verstreut umher gelegen. „Als ob eine Bombe eingeschlagen hätte“, so ein Augenzeuge. Fast schon makaber: Während der 51 Jahre alte, aus Braunlage stammende Motorradfahrer mit tödlichen Verletzungen an der Leitplanke lag, war seine Maschine – bestenfalls noch als Stahlknäuel erkennbar – sage und schreibe rund 50 Meter weit auf den nahen Friedhof katapultiert worden.

Allein dieser Fakt macht deutlich, welche enormen Kräfte aufgrund ganz augenscheinlich immens hoher Geschwindigkeiten gewirkt haben müssen. Dafür sprechen auch die bisherigen polizeilichen Erkenntnisse: Demnach geriet der 25 Jahre alte Audifahrer aufgrund überhöhter Geschwindigkeit auf die Gegenfahrbahn.

Polizei und Staatsanwaltschaft halten sich, direkt befragt, mit Blick auf die laufenden Ermittlungen und ein noch ausstehendes Sachverständigen-Gutachten zurück. Der Harzer Polizeisprecher Uwe Becker verweist auf die nach dem Unfall verbreitete Pressemitteilung. Ansonsten sei die Staatsanwaltschaft zuständig.

Auch Oberstaatsanwalt Hauke Roggenbuck hält sich zurück und wartet auf besagtes Gutachten. Aber: Gegen den 25-Jährigen werde nicht nur wegen fahrlässiger Tötung ermittelt, sondern außerdem auch wegen Straßenverkehrsgefährdung. Ersteres sei bei tödlichen Unfällen üblich, zweiteres nicht, so der Behördenchef. Das wiederum resultiere aus der Annahme, dass der Audifahrer im Bereich des Ortseingangs mit sehr hohem Tempo unterwegs war. Und noch etwas unterscheide diesen Fall von anderen tödlichen Unfällen: Der nach dem Crash sichergestellte Führerschein bleibt in behördlicher Verwahrung. „Das Amtsgericht ist unserem Antrag gefolgt“, so Roggenbuck.

Dafür, dass der mutmaßliche Raser mit seinem Audi tatsächlich sehr viel schneller als mit Tempo 50 am Ortseingangsschild „vorbei flog“ spricht nicht nur die immense Wucht der Zerstörungen. Laut Polizei geriet er auf die Gegenfahrbahn und kollidierte dort mit dem Motorrad. Natürlich könnte auch eine Ablenkung eine Rolle spielen – vermutet werden aber eher rein physikalische Kräfte aufgrund des Tempos. „Ein tiefergelegter RS 3 sollte in dieser Rechtskurve mit Tempo 100 noch gut beherrschbar sein“, so ein versierter Autofahrer. Wenn es ihn nun nach links rausgetragen habe, lasse das erahnen, wie schnell er tatsächlich war. Hinter vorgehaltener Hand macht Tempo 140 die Runde. „Letztlich erhoffen wir uns vom angeforderten Gutachten Angaben zur konkreten Geschwindigkeit“, so Oberstaatsanwalt Roggenbuck.

Dass der Mann ein geradezu fanatisch anmutender PS-Fan ist, belegt allein schon der Blick in sein Instagram-Profil. Dort finden sich Fotos von jenem roten RS 3 mit dem Kennzeichen, das ihn als Halter erkennen lässt. Wenige Stunden nach dem fatalen Crash gab es dort noch mehr zu entdecken: Videos mit geradezu haarsträubend-gefährlich anmutenden Fahrszenen und Bilder, auf denen ein Tacho mit Tempo 267 und 317 zu sehen ist. Die Kommentare von ihm lassen vermuten, dass es der Tacho seines RS 3 ist – „Fliegen wie ein Adler“. Und: In einem Chat mit einem anderen Freak berichtet er stolz vom Motortest seines RS 3: 440 PS.

Wann er wieder „fliegen“ darf – und ob es ihn nach diesem Unfall überhaupt so schnell wieder reizt – bleibt abzuwarten. Werden die bisherigen Ermittlungen mit dem Gutachten bestätigt, wird der Fall vor Gericht enden. Dann dürfte auch zur Sprache kommen, dass der mutmaßliche Unfallverursacher nach Informationen der Volksstimme bereits im Flensburger Verkehrszentralregister erfasst ist. Laut Strafgesetzbuch drohen bei fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr Geldstrafen oder bis zu fünf Jahre Haft.