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Schulsozialarbeit Kampf gegen drohendes Ende

Katja Truthmann und Fabian Triebel sind Schulsozialarbeiter in Wernigerode und Blankenburg. Doch ihre Stellen laufen im nächsten Jahr aus.

Von Julia Bruns 05.05.2019, 03:00

Wernigerode l Sie ist im Wernigeröder Stadtteil Harzblick bekannt wie ein bunter Hund: Schulsozialarbeiterin Katja Truthmann bringt Farbe und Abwechslung in den Alltag der Kinder an der Grundschule „Harzblick“. Jede Woche rattern – auch dank ihr – die Nähmaschinen in einem der Klassenzimmer des DDR-Typenbaus. Dann kehren sechs Kinder aus der zweiten und vierten Klasse zur Näh-Arbeitsgemeinschaft ein.
Ich habe schon einen Rock, eine Mütze und einen Kissenbezug genäht“, sagt Léna, während sie für einen Beutel absteckt. „Wer schlecht absteckt, näht zweimal“, sagt katja Truthmann mit einem Augenzwinkern. Seitdem sie die AG ins Leben gerufen hat, hätten sich auch schon Eltern fürs Nähen begeistert. „Ich treffe mich manchmal samstags in der Schule mit einigen Eltern, die Lust aufs Nähen bekommen haben“, sagt sie.
Die achtjährige Romy sitzt bereits an der Nähmaschine. Ist das nicht ein bisschen gefährlich für ein kleines Mädchen? „Wenn es nicht so schnell gehen soll, drücken wir einfach die Schildkrötentaste“, antwortet Katja Truthmann. Die Warteliste für den Nähkurs sei lang, deswegen rotieren die Teilnehmer alle drei Wochen. Im September, wenn die Harzblick-Grundschule ihr 30-jähriges Bestehen mit einem großen Fest feiert, werden die fleißigen Schneiderlein aus Katja Truthmanns AG ihre Kreationen in einer Modenschau präsentieren.
„Neben der Näh-AG mag ich am liebsten die Schulimkerei“, verrät Kristina. Drei Bienenvölker betreuen Katja Truthmann und die Kinder unter Unterstützung des Imkers Enrico Kretschmar. Mit dem Projekt hat die Gruppe Preise gewonnen, war mehrfach in der Presse vertreten. Das erfüllt die Kinder mit Stolz, stärkt ihr Selbstvertrauen und Umweltbewusstsein.
Neben dem Nähkurs und der Schulimkerei kümmert sich die gebürtige Halberstädterin um Eltern, die das Gespräch suchen. Sie unterstützt die Schulleitung, wenn es um Projektanträge und Wettbewerbe geht, hilft bei der Gestaltung des Übergangs von der Kindertagesstätte auf die Grundschule. Und wenn die 39-Jährige um 7 Uhr morgens in die Schule kommt, ein Kind mit Tränen in den Augen und gesenktem Kopf antrifft, nimmt sie es in den Arm und horcht, wo es klemmt. „Elternarbeit ist ein ganz wichtiger Aspekt“, sagt sie. „Ich helfe Lehrern, die im Unterricht manchmal unsicher sind, wie sie mit diesem oder jenem Kind umgehen sollen, vermittle gerne und übernehme die Mediation mit dem Elternhaus.“
Traurige Kinder finden in ihr eine ruhige und geduldige Zuhörerin. „Traurig kann man nicht lernen“, sagt die Familienmutter. „Und wenn hibbelige Kinder nicht in der Lage sind, den ganzen Unterricht zu verfolgen, helfe ich auch.“ Denn als Schulsozialarbeiterin begleitet Katja Truthmann auch den Unterricht. „Ich fördere das Miteinander, vernetze Schule und Hort. Ich arbeite eng mit dem Jugendamt zusammen, falls Eltern und Kinder in Schwierigkeiten stecken.“ Als ein Kind obdachlos wurde, musste schnell gehandelt werden. „Zuerst fällt auf, dass die Hausaufgaben fehlen oder dass nicht gelernt wird“, berichtet sie. Am Ende konnte vermittelt werden.
Katja Truthmann handelt unabhängig vom Lehrer- und Hortkollegium. Während die einen beim Land und die anderen bei der Stadt angestellt sind, arbeitet sie für den Paritätischen. Seit 2015 ist sie an der Harzblick-Grundschule. „Und nun steht alles auf der Kippe“, sagt die gebürtige Halberstädterin nachdenklich.
Denn die Finanzierung für gut 400 Schulsozialarbeiter in Sachsen-Anhalt stand und steht immer wieder auf wackligen Füßen. Seit dem Schuljahr 2008/2009 läuft in Sachsen-Anhalt das ESF-Programm „Schulerfolg sichern!“. Es wurde bereits einmal verlängert und endet im kommenden Jahr (siehe Infokasten). Die Schulsozialarbeiter im Land sind zwar bei unterschiedlichen Trägern beschäftigt. Katja Truthmann hat sieben weitere Kollegen, die für den Paritätischen im Landkreis an Schulen arbeiten. Weitere sind beispielsweise beim Internationalen Bund beschäftigt.
Doch so bunt der Flickenteppich der Schulsozialarbeit ist – gemeinsam ist ihnen eines: Sie sind abhängig von den Fördergeldern aus der EU. Diese Mittel laufen 2020 endgültig aus. Würde das Land die Finanzierung der Stellen übernehmen, würde das 28 Millionen Euro kosten. Der Landtag hat diese Gelder bereits in Aussicht gestellt – allerdings decken sie nicht die Netzwerkstellen ab (siehe unten). Wie Katja Truthmann geht es auch ihrem Kollegen Fabian Triebel.
Er ist als Mitarbeiter des Internationalen Bundes (IB) seit Dezember 2016 als Schulsozialarbeiter in der Europa- und Ganztags-Sekundarschule „August Bebel“ in Blankenburg im Einsatz. Anders als Katja Thrutmann hat er aber keine Schulimkerei oder Näh-AG angestoßen – der Wernigeröder hat eine eigene Schülerfirma gegründet. Die Jugendlichen versorgen ihre Mitschüler nun in den Hofpausen mit leckeren und gesunden Smoothies.
Daneben sieht er als wesentliches Betätigungsfeld die Elternarbeit. „Ich unterstütze in Problemsituationen und vermittle zwischen der Institution Schule sowie dem Elternhaus, versuche die Eltern miteinzubeziehen.“ An der August-Bebel-Schule lernen 340 Jungen und Mädchen zwischen zehn und 16 Jahren.
Projekte zum Umgang mit Medien, zu Sexualität, Drogenprävention koordiniert er mit verschiedenen Netzwerkpartnern wie dem Jugendamt, der Polizei oder der Suchtberatung des Landkreises. „Ich liebe die Flexbilität, die Eigenverantwortung und den Abwechslungsreichtum an meinem Job“, sagt der junge Mann, der zuvor bei der Bundeswehr gearbeitet und Pädagogik studiert hat.
Fabian Triebel sei angesichts der ungewissen Zukunft „noch relativ entspannt“, sagt er auf Volksstimme-Nachfrage. „Im Hintergrund ist man sich in allen Parteien – bis auf die AfD – einig, dass Schulsozialarbeit wichtig ist und erhalten werden soll“, sagt er. „Wenn ich bis Herbst noch nichts gehört habe, werde ich mir Gedanken darüber machen, wie es für mich weitergeht.“