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Tag des weißen Stockes – Wie barrierefrei ist Wernigerode? / Hartmut Fengler: "Stand 40 Minuten im Regen, keiner hat mir geholfen"

Von Miriam Meißner 15.10.2010, 04:17

Blockierte Wege, stark befahrene Kreuzungen, Orientierungslosigkeit. Der heutige Tag des weißen Stockes wird weltweit genutzt, um auf die Situation blinder und sehbehinderter Menschen aufmerksam zu machen. Zum Beispiel auf die von Hartmut Fengler. Der Wernigeröder hat sich hilfesuchend an die Volksstimme gewandt: Eine "stumme" Ampel verwehrt ihm den Heimweg.

Wernigerode. Es ist kurz nach 20 Uhr und bereits dunkel. Autos, Lkw und Busse rauschen den Dornbergsweg entlang. An der Ampelkreuzung in Höhe der Straße Am Schreiberteich steht Hartmut Fengler, seine Hündin ganz nah an seiner Seite – und wartet. Die Ampel wird Grün, Leute überqueren die Straße. Nur der 63-Jährige rührt sich nicht. Hartmut Fengler horcht konzentriert auf das Tonsignal, das ihm verrät, wann er losgehen kann. Was der vor 47 Jahren erblindete Mann nicht weiß: Das Signal ist seit 19.30 Uhr ausgeschaltet. Er wartet weiter, bis ihm eine junge Frau über die Straße hilft.

"Autofahrer müssen einfach nur das Fenster öffnen"

Blindenhündin "Zenzi" erleichtert ihm zwar den Alltag, doch wann eine Ampel auf Grün umspringt, erkennt auch sie nicht. "Einmal stand ich hier 40 Minuten im Regen, weil mir niemand geholfen hat", sagt Fengler, der sich hilfesuchend an die Volksstimme gewendet hat. "Dabei müssten Autofahrer einfach nur die Scheibe runterkurbeln und mir sagen, wann ich die Straße überqueren kann", appelliert der 63-Jährige an die sehenden Mitmenschen.

Am sichersten wäre es für Hartmut Fengler jedoch, wenn das Tonsignal an der Kaufland-Ampel dauerhaft eingeschalten bleibt. Fast jeden Tag wird er mit dieser Hürde konfrontiert, die Kreuzung liegt direkt auf seinem Heimweg.

Hartmut Fengler muss geholfen werden, findet die Volksstimme-Redaktion und hat deshalb bei Dirk Mathe vom Landesbaubetrieb in Halberstadt nachgehakt: "An sich ist es kein Problem, die Zeitschaltung zu ändern", sagt Mathe. Die Umstellung sei jedoch erst mit der nächsten Ampelwartung möglich. Und diese wird nur alle vier Monate vorgenommen. Im schlimmsten Fall müsste Hartmut Fengler also 16 Wochen auf den "Piepton" warten. Außerdem soll der Wernigeröder die Umstellung schriftlich bei der Straßenverkehrsbehörde in Halberstadt beantragen, empfiehlt Mathe. Diese würde dann die Tonsignaländerung seiner Behörde anordnen.

Für einen blinden Mitmenschen ist das nicht so leicht, wie es klingt. Hartmut Fengler: "Ich bräuchte jemanden, der das Schreiben verfasst und den Umschlag mit Adresse und Briefmarke versieht." Hindernisse ist der 63-Jährige, der sich im Blinden- und Sehschwachenverband des Landes engagiert, gewohnt. Auch andere zu leise eingestellte Ampeltonsignale wie beispielsweise bei der Feuerwehr in der Bahnhofstraße in Wernigerode bereiten ihm und anderen Sehbehinderten Schwierigkeiten.

"Ampelsignale aus, sie stören die nächtliche Ruhe"

"Es ist ein Spagat zwischen verschiedenen Interessengruppen", ergänzt Dirk Mathe. "Es beschweren sich oft Anwohner, dass die Ampelgeräusche zu laut seien. Deswegen sehen wir uns gezwungen, dass Signal zu bestimmten Uhrzeiten auszuschalten oder leiser einzustellen." Wie beispielsweise auch an der Westerntorkreuzung.

"Das in einer Stadt, die sich seit Jahren darum bemüht, barrierefrei zu werden – kann das sein?", fragt Hartmut Fengler. Sozialdezernent Andreas Heinrich entgegnet auf Nachfrage: "Uns sind leider die Hände gebunden." Und: "Die betreffenden Ampelanlagen befinden sich an Kreis- und Landesstraßen." Er wolle sich aber beim Blindenverband in Wernigerode über den "Handlungsbedarf" erkundigen. "Es ist wichtig, dass wir die Probleme bei der Kreisverwaltung ansprechen und eventuell eine Besichtigung mit der Bauleitung vornehmen."

Um das Ganze zu beschleunigen, hat sich die Harzer Volksstimme direkt mit der Gleichstellungsbeauftragten für den Harzkreis, Thekla Kamrad, in Verbindung gesetzt. Sie verspricht, ohne zu zögern: "Ich werde das Anliegen von Hartmut Fengler sofort an die Verkehrsbehörde weiterleiten. Eine Lösung muss her."

Die Harzer Volksstimme bleibt dran.