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Suchtprävention Droht Harzer Jugend ein Drogenproblem?

Zum Aktionstag Suchtberatung warnt die Wernigeröder Fachstelle für Prävention vor Überlastung. Hilfsbedürftige werden im Harz immer jünger.

Von Holger Manigk 04.11.2020, 00:01

Wernigerode l Das erste Mal hat er Alkohol mit 13 Jahren probiert, ab 18 nach der Flucht von Zuhause war es für ihn normal, jeden Tag Schnaps zu trinken und zu kiffen. Später kamen noch Speed (Amphetamin) und Ecstasy hinzu. „Ich habe alles genommen, was ich bekommen konnte“, sagt ein 27-jähriger Bewohner des Helmut-Kreutz-Hauses in Wernigerode heute. Bis zu einer Entgiftung vor rund zwei Jahren sei ihm nicht bewusst gewesen, „dass ich wirklich abhängig bin“.

Hilfe in einer Suchtberatungsstelle fand er über seine Hausärztin, die bei Bluttests permanent Alkohol und Speed in seinem Körper feststellte. „Sonst hätte ich nie darüber nachgedacht, in die Reha zu gehen.“ Rückblickend sieht der junge Mann ein, dass er „schon mit 17 ehrlich zu seinem Therapeuten“ hätte sein sollen. Die Präventionsarbeit in der Schulzeit sei damals kontraproduktiv gewesen. „Das war eher eine Produktpräsentation und am Ende ein erhobener Zeigefinger.“

Das habe sich unter anderem dank einer guten Zusammenarbeit mit dem Jugendamt des Landkreises mittlerweile komplett gewandelt, entgegnet Thomas Leubner. Wie der Leiter der Fachstelle für Suchtprävention in der Degenerstraße erläutert, stünde nun „die Lebenswelt der Jugendlichen“ im Vordergrund. Er betreut damit 14 Projekt- und Konzeptschulen rund um die bunte Stadt am Harz. „Mehr ist zeitlich einfach nicht drin, wir können nicht alle erreichen“, sagt der Mitarbeiter des Diakonie-Krankenhauses Elbingerode. Neben ihm gibt es nur eine weitere Fachkraft für Suchtprävention im Landkreis – Madeleine Ramme vom Arbeiter-Samariter-Bund in Halberstadt.

Als Beleg für die Überlastung führt der Experte die Entwicklung der Zahl minderjähriger Klienten der Fachstelle für Suchtprävention an: Wurden 2012 noch insgesamt sieben Minderjährige in Einzelgesprächen, Elternberatungen und Fallbesprechungen betreut, waren es 2019 15 Mädchen und 42 Jungen. Dazu sinke das Durchschnittsalter bei Beratungsbeginn, liege im Bereich der Minderjährigen laut Diakonie mittlerweile deutlich unter 16 Jahren.

Die Schulschließungen wegen Corona im Frühling hätten die Lage zusätzlich verschärft, ergänzt Leubner: „Während des Lockdowns fehlte vielen Jugendlichen ein geregelter Tagesablauf – wir gehen davon aus, dass jeder Dritte deshalb mehr trinkt als zuvor.“

Um dieser Herausforderung begegnen zu können, sehen die Akteure von der Diakonie-Krankenhaus Harz GmbH nur einen Ausweg: Mehr Geld von Land und Kommunen für mehr Personal, am besten eine Drogenberatungsstelle. Solche Einrichtungen seien für die Beratung Jugendlicher geeignet und finanziert. Diese gibt es in Sachsen-Anhalt bislang nur in den Großstädten Magdeburg und Halle. „Da uns in der Fachstelle für Suchtprävention die Kapazität fehlt, müssen wir viele junge Klienten an die Suchtberatungsstelle verweisen“, erläutert Leubner. Diese sei jedoch für Erwachsene gedacht und mit circa 4800 Beratungskontakten pro Jahr voll ausgelastet.

Die Auswirkungen beobachtet Friedemann Behrendt mit Besorgnis. Der Leiter des Helmut-Kreutz-Hauses: „Es ist inzwischen nicht mehr ungewöhnlich, dass Klienten mit Anfang 20 ins Wohnheim zu uns ziehen, weil sie ihre Probleme nicht mehr anders bewältigen können.“ Daran lasse sich das Fehlen eines vorher greifenden Hilfsangebotes festmachen. Zumal der Fachmann mehrere Alarmsignale erkennt: „Der Drogenkonsum wird für Jugendliche krasser, schneller – und immer billiger.“