Automobilindustrie thyssenkrupp vereint Benzin und Strom
Die Automobilzulieferindustrie ist im Wandel. In Ilsenburg vereint die thyssenkrupp AG Benzin und Strom und wirbt offensiv damit.
Ilsenburg l Er sieht es schon vor sich, das vier mal 13 Meter große Poster an einer Fassade auf dem Werksgelände. „Wir vereinen Benzin und Strom in Ilsenburg“ steht darauf geschrieben und „ist in der Tat so“, sagt Mario Gropp. Der 45-Jährige ist gemeinsam mit Michael Kittel Geschäftsführer bei thyssenkrupp in Ilsenburg und steht hinter der offensiven Werbung. Vor allem deshalb, weil die allgemeine Unsicherheit groß ist, wie es mit den Automobilzulieferbetrieben nach dem Verbrennungsmotor weiter geht. Selbst im privaten Umfeld schwinge immer wieder diese Frage bei Gesprächen mit.
Mario Gropp gibt sich selbstbewusst und sagt: „Wir können beides.“ Das heißt, Nockenwellen für Verbrennungsmotoren und Rotorwellen für Elektromotoren produzieren. Somit sei thyssenkrupp für die nächste Automobil-Generation gut aufgestellt. Gegenwärtig werden etwa 40 Motorenwerke mit Nockenwellen beliefert, die größten Kunden sind BMW, GM und Volvo. Im Geschäftsjahr 2016/17 lag der Umsatz, den der thyssenkrupp-Konzern im Automobilsektor erzielt hat, bei rund 10 Milliarden Euro.
Die Erfolgsgeschichte des Nockenwellengeschäfts des Unternehmens begann 1998 mit der Produktion im neu geschaffenen Gewerbegebiet Am Ellerbach in Ilsenburg. Eine Halle, kleine Belegschaft, die rasant wuchs. Von einst sieben sind es heute 700 Beschäftigte, darunter 40 Auszubildende und zwei duale Studenten. Gewachsen ist auch die Produktionsfläche, gegenwärtig beträgt sie 38.000 Quadratmeter. Bislang wurden zwischen 9 und 10 Millionen Nockenwellen gefertigt.
Hinzu kommt: Das Headquarter der Nockenwellen-Gruppe von thyssenkrupp ist in Ilsenburg angesiedelt. Von hier aus wird der Produktionsverbund der Werke in Deutschland, Liechtenstein, Ungarn, China, Brasilien und Nordamerika gesteuert. Zudem investiert das Unternehmen weiter – derzeit in neue Werke in Ungarn und Mexiko. Für Mario Gropp logisch, weil der Betriebswirt davon überzeugt ist, dass Elektro-Mobile nicht ad hoc den Markt beherrschen. Vielmehr werde die Umstellung einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. „Sicher wird das Thema Elektromobilität in Mega-Cities und anderen Großstädten viel schneller als im ländlichen Raum Fahrt aufnehmen. Wir sehen die Zukunft jedoch als fairen Wettbewerb der Antriebstechnologien.“
Egal wie schnell oder langsam, „wir sind dabei“, sagt der Geschäftsführer, der dabei eine gewisse Vorreiterrolle spielt. Mario Gropp und das Team in Ilsenburg haben nicht, wie es im Volksmund heißt, „auf dem Ast gepennt“, sondern die Initiative ergriffen. Von der Entwicklung des Bauteils für den Elektromotor, über den Einkauf des Materials, die Kundenakquise bis hin zur Beschaffung der Anlagen, alles geschieht bei thyssenkrupp an der Ilse. Mit Erfolg, die ersten Aufträge für Rotorwellen sind für die Werke in Ilsenburg, Chemnitz und in Ungarn unter Dach und Fach.
„Es geht weiter“, sagt Mario Gropp mit einer Kühnheit, die Sinnbild seiner Karriere ist. 1988 beendete er die Schule, lernte Werkzeugmacher bei „Heiko“ in Wernigerode, einem Hersteller für Füllfederhalter. Er wollte anschließend ein Fachschulstudium aufnehmen. „Das war zu DDR-Zeiten ein normaler Werdegang für junge Leute ohne Abitur“, sagt er. Die Wende machte den Plan zunichte. Der Ilsenburger schulte sich weiter, fing in Goslar als Werkzeugmacher an, qualifizierte sich zum Handwerksmeister und studierte berufsbegleitend an der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie in Göttingen BWL.
1998 baute Mario Gropp in seiner Heimatstadt das Nockenwellenwerk als Produktionsleiter bei thyssenkrupp in Ilsenburg mit auf, wechselte 2003 zu Rautenbach und baute in Wernigerode die mechanische Bearbeitung als Werkleiter auf. 2005 wurde das Unternehmen an den Großkonzern Nemak verkauft, zwei Jahre später war Gropp zurück bei thyssenkrupp. Er baute wieder ein Werk auf, das in Chemnitz als Geschäftsführer.
Dann ging es 2012 mit Ehefrau und Sohn für drei Jahre über den Teich in die USA nach Denville, und erneut waren seine Aufbauqualitäten gefragt. Im Werk war die Produktivität niedrig, die Ausschussrate hoch und die Fluktuation der Mitarbeiter groß. Dem Manager aus dem Harzer gelang die Restrukturierung, und er brachte Ideen aus Deutschland mit: So führte das Werk in Illinois eine duale Ausbildung für Mechatroniker ein, die eine Zertifizierung vom Department of Labor, dem Arbeitsministerium in Deutschland gleichzusetzen, erhielt. Darauf ist Mario Gropp stolz und erinnert sich gern an den Medienrummel, den die Amerikaner darum gemacht hatten.
Zurück in Deutschland: Nach einem zwölfmonatigen Abstecher in die Produktion von Stoßdämpfern bei thyssenkrupp Bilstein hat er im Oktober 2016 zusammen mit Michael Kittel die Geschäftsführung bei thyssenkrupp in Ilsenburg übernommen. Aus seinem Bürofenster kann er auf die nächste Herausforderung schauen. Auf dem 73.000 Quadratmeter großen Firmengelände wird die achte Werkhalle samt Büroräumen gebaut. Sie wird den Namen „Halle 11“ tragen, soll Ende Februar 2018 fertig sein, um dort 2019 die Produktion von Komponenten für Rotorwellen zu starten. Noch ein zusätzliches Geschäft, wie Mario Gropp sagt, denn am Ende entscheidet der Konsument, welches Auto er fahren möchte.
Um optimal auf der Welle mitzureiten, wäre ein Hybrid-Auto wohl das Beste? „Sicher“, sagt Mario Gropp ohne zu zögern. Fahrzeuge, die mit Benzin und Strom angetrieben werden, bieten einem Automobilzulieferer, der beides kann, eine gute Chance am Markt.