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TierschutzKleine Wildkatze kann nicht mehr in Freiheit

Wildkatzen zählen zu den scheuesten Harz-Bewohnern. Der Fall der kleinen Emma zeigt, wie schwierig es ist, die Tiere wieder auszuwildern.

Von Julia Bruns 02.08.2020, 01:01

Thale/Ballenstedt l Sie wollen nur helfen, bewirken aber das Gegenteil: Spaziergänger und Wanderer, die vermeintliche Findel-Wildkatzenbabys mitnehmen, um sie zu retten und als Handaufzucht großzuziehen. Gleich mehrere Fälle haben Monique Wackrow und Daniela Klocke in den letzten Wochen erlebt – und sie wollen dafür sensibilisieren, die Tiere nicht unbedacht einfach aus dem Wald mitzunehmen.

Zudem machen sie darauf aufmerksam, dass im Umgang mit den seltenen Waldbewohnern immer noch viel Unkenntnis vorherrscht – sie sagen, sogar in Anlagen, die die Tiere auf die Auswilderung vorbereiten sollen. Die Stationsleiterin der Klein- und Wildtierhilfe e. V. Harz, Daniela Klocke, erhebt Vorwürfe gegenüber dem Tierpark Thale, einer Abgabestelle mit der Verpflichtung, abgegebene Wildtiere auszuwildern.

Was ist geschehen? Die Veckenstedterin Monique Wackrow arbeitet im Wildkatzengehege in Bad Harzburg, klärt auf dem Areal an der Marienteichbaude Besuchergruppen über den seltenen, scheuen Waldbewohner auf. „Durch die Corona-Zeit sind mehr Menschen im Wald gewesen als üblich“, sagt sie. „Und so sind Spaziergänger auf gesunde Kätzchen gestoßen, die die Mutter während der Jagd am Bau gelassen hat. Kleine Katzen sind neugierig, sie verlassen das geschützte Dickicht, wenn die Mutter ihrem Jagdtrieb nachgeht“, erklärt sie.

Die Folge: Spaziergänger nehmen die vermeintlichen Waisen mit und wollen sie zuhause aufpäppeln, manch einer sogar großziehen. Tage später melden sie sich meist telefonisch beim Wildkatzengehege, weil sie merken, dass es dem Kätzchen zunehmend schlechter geht. Der Grund: Meist werden kleine Wildkatzen falsch gefüttert – und das Schlimmste: falsch geprägt, wie Monique Wackrow erläutert: „Es sind wilde Tiere, keine Hauskatzen. Sie dürfen nicht an den Menschen gewöhnt werden und brauchen eine fachlich kompetente Aufzucht, sonst können sie in der Wildnis nicht überleben.“

Eine Odyssee hat die kleine Emma erlebt. Am 13. Mai wurde sie im Südharz bei Schwenda im Wald aufgefunden. Die Finder behielten sie fünf Tage lang bei sich, fütterten sie mit Katzenmilch. Ein grober Fehler. „Die ist absolut schädlich für Wildkatzen, weil sie viel zu viel Zucker enthält und sie kommt schon gar nicht einer ausgewogenen Ernährung gleich“, sagt Monique Wackrow.

Die Finder haben das Tier am 18. Mai den ehrenamtlich Tätigen der Klein- und Wildtierhilfe Harz übergeben. Der Verein mit Sitz in Ballenstedt kümmert sich seit 13 Jahren um verletzte und notleidende Wildtiere, kennt sich entsprechend gut mit der Haltung und mit den Schritten bis zur Auswilderung aus. Die Vorsitzende Daniela Klocke nahm Emma, die sie auf sieben Wochen schätzte, auf und meldete dies wie gefordert der Naturschutzbehörde des Landkreises Harz. Dort teilte man ihr mit, dass das Tier der Abgabestelle in Thale übergeben werden soll. Daniela Klocke hat den gesamten Vorgang in einem Protokoll festgehalten.

„Ein Herr holte das Tier ab, um es nach Thale in den Tierpark zu bringen“, schreibt sie. „Mich verunsicherte vor allem, dass er fragte, welche Aufzuchtmilch die Katze bekommen soll, denn Aufzuchtmilch ist für Wildtiere gefährlich.“ Der hohe Zuckeranteil könne zu schweren Schädigungen führen. Dass der Mitarbeiter dies nicht wusste, irritierte sie. Ab einem gewissen Alter sollen Wildkatzen Wasser trinken und sich von Fleisch ernähren.

Also wandte sich die Ballenstedterin am Tag darauf erneut an die Naturschutzbehörde und fragte nach, warum das Tier in den Tierpark Thale gebracht werden müsse. „Schließlich hat die Klein- und Wildtierhilfe schon wiederholt Wildkatzen ausgewildert“, sagt sie. In Sachsen-Anhalt gibt es nach Angaben der Naturschutzbehörde des Landkreises Harz 19 staatlich anerkannte Abgabestellen für verletzte, hilflose oder kranke Wildtiere – davon sind drei im Landkreis Harz: die Tierparks in Halberstadt, Thale sowie Wernigerode.

 „Alle unterliegen der behördlichen Kontrolle durch Naturschutzbehörde und Veterinäramt. Alle haben eine Genehmigung mit Auflagen, die einzuhalten sind. Es gibt fachliche Vorgaben für die Haltungsbedingungen von Tieren, diese gelten deutschlandweit und werden überwacht“, teilt Franziska Banse von der Kreisverwaltung auf Nachfrage mit. „Kontrolliert wird regelmäßig, jährlich oder wenn ein besonderer Anlass dazu besteht, beim Tierpark Thale zuletzt vor sechs Wochen.“

Als vier Wochen später die acht Wochen alte Wildkatze Gerda von der Klein- und Wildtierhilfe in den Tierpark Thale gebracht wird, sieht Daniela Klocke Emma wieder. „Die Pflegerin fütterte Emma, mittlerweile zwölf Wochen alt und viel zu alt für Milch – immer noch mit Aufzuchtmilch. Ihr fehlte das komplette Deckhaar und das Gehege, in dem sie untergebracht war, war 1,20 Meter mal 1,20 Meter groß und damit viel zu klein“, beschreibt sie die Zustände, die sie mit Fotos (siehe Bilder) dokumentiert hat. „Noch dazu befand sich der Käfig neben einem Müllplatz, in unmittelbarer Umgebung zu einem ausgeschilderten Wanderweg.“

Das Ergebnis: Emma wurde fehlgeprägt und kann nun nicht mehr ausgewildert werden – „obwohl dies der Auftrag des Tierparks Thale gewesen wäre“, so Daniela Klocke. „Sie kam ohne Scheu auf uns zu – das ist absolut kritisch zu bewerten. Auf Nachfrage erklärte die Pflegerin, das Tier müsse vergesellschaftet werden. Das hat uns die Sprache verschlagen.“ Auf Nachfrage habe die Mitarbeiterin des Parkes darauf beharrt, dass die Wildkatze menschliche Nähe bräuchte, so Daniela Klocke: „Sie sagte, sie sei die Mutti der Katze und sie müsse ihr das Jagen beibringen.“ Wildkatzen lernten jedoch instinktiv und sollten niemals an Menschen gewöhnt werden. „Nur so kann es zu gefährlichen Begegnungen im Wald kommen – nämlich dann, wenn Wildtiere keine Scheu mehr vor Menschen haben“, sagt die Expertin.

Was sagen die Verantwortlichen selbst dazu? Uwe Köhler leitet die Anlage am Hexentanzplatz. Dass seine Mitarbeiterin, eine erfahrene Zootierpflegerin, sich so geäußert hat, zweifelt er an. Auch entgegnet er, dass die Wildkatze nicht sieben Wochen alt gewesen sei, als sie im Tierpark Thale aufgenommen wurde. „Die Katze war niemals sieben Wochen alt, sondern höchstens drei Wochen“, betont er. Erkannt habe er dies an der Augenfarbe, die noch strahlend blau war und sich erst später verfärbt. Entsprechende Fotos liegen der Volksstimme vor.

Einem Tierarzt wurde das Tier jedoch nicht in seiner Zeit in Thale vorgestellt. „Wildkatzen haben bis zum Alter von fünf bis sechs Wochen hellblaue Augen. Bis zum Alter von sechs bis sieben Wochen werden sie im Freien von ihrer Mutter mit Milch gesäugt. Sie war noch nicht in der Lage, sich mit fester Nahrung zu ernähren. Deshalb hat sie bei uns Katzenaufzuchtsmilch und mageres Rindfleisch angeboten bekommen.“ Aus seiner Sicht handelte es sich um eine Milchkatze.

Dieser Umstand habe dazu geführt, dass Emma in einem kleinen Käfig untergebracht wurde. „Sie musste alle zwei bis drei Stunden mit Milch versorgt werden mit einem Fläschchen. Zu diesem Zweck hat eine Pflegerin die Katze mit nach Hause genommen und in der Nacht versorgt. Um im Tierpark Zugriff auf die Katze zu haben, saß sie in einem kleinen Käfig. Sie war wärmebedürftig, das heißt, sie konnte noch nicht komplett draußen im Freien bleiben“, sagt er. So wurde Emma an Menschen gewöhnt. „Eigentlich ist das bei Wildkatzen nicht so tragisch. Sie verlieren im Laufe des ersten Lebensjahres diese Zutraulichkeit. Nach einem Jahr hat sich das bestimmt wieder gegeben.“

Das sehen Experten kritisch. Dem Wildkatzenbeauftragten im Nationalpark Harz, Ole Anders, zufolge, sei jede Wildkatze, die an Menschen gewöhnt wurde, für die Population im Harz verloren. „Dieser Reflex, alles einzusammeln, was süß ist, ist gefährlich“, sagt er über Spaziergänger, die Gehecke, also eine Gruppe von Jungtieren, aus dem Wald mitnehmen. „Eine Katze, die total an Menschen gewöhnt ist, ist verloren für die Population. Für den Artenschutz ist es so, als ob de Katze verendet wäre. Wichtig ist, dass die Katzen wieder in die Freiheit kommen.“

Rund 400 Wildkatzen leben im Harz, schätzt man. „Der Harz hat eines der ältesten Vorkommen. Immer gab es hier Wildkatzen. Von hier aus breiten sie sich mit einer gewissen Schlagkraft in den Norden aus“, erklärt er. „Mittlerweile haben sie sogar die A2 überwunden.“ Der Nationalpark sei nicht zuständig, wenn es um die Abgabestelle in Thale geht, sagt Friedhart Knolle von der Nationalpark-Verwaltung. „Wir sind zwar nicht zuständig, aber wir haben schon öfter Kritik über die Gehege in Thale gehört.“

Der Tierpark Thale könne derzeit gar keine Wildkatzen auswildern, sagt Uwe Köhler. Der Grund: Das Wildkatzengehege sei nach einem Sturm zerstört und die Reparatur coronabedingt nicht erfolgt. „Deshalb wurde die Entscheidung getroffen, sie abzugeben“, so Uwe Köhler.

Mit der Klein- und Wildtierhilfe habe er sich einen konstruktiven Austausch im Sinne des Tierschutzes erhofft. Wir haben zusammen am Tisch gesessen – Frau Klocke, die Naturschutzbehörde und ich. „Wir haben uns in die Augen geschaut und haben gesagt, man kann im direkten Kontakt Konsens finden.“ Daniela Klocke betont, dass es ihr nicht darum gehe, dem Tierpark oder dem Landkreis eine Schuld zuzuschieben – „sondern darum, aufzuklären und stets das Tierwohl im Blick zu haben.“

Die kleine Wildkatze Gerda fand schnell einen Aufzuchtplatz im Tierpark Köthen, wo sie bis zur Auswilderung betreut wird – während die kleine Emma, die nicht mehr für ein Leben in Freiheit geeignet ist, einen Platz auf Lebenszeit im Wildkatzengehege Bad Harzburg fand. „Als die Klein- und Wildtierhilfe Harz mich anrief und bat, die kleine Wildkatze bei uns aufzunehmen, war ich sehr überrascht, weil ich wusste wie wichtig dem Verein die erfolgreiche Auswilderung ist“, erinnert sich Monique Wackrow. Eine Auswilderung, die im Wildkatzengehege an der Marienteichbaude nicht mehr angestrebt wird, weil hier nur Wildkatzen gehalten werden, für die die Auswilderung keine Option mehr darstellt.

„Erst als Daniela mir die Umstände und Folgen der vorherigen Haltung nannte, wusste ich, dass Emma einen Platz für immer braucht. Die Chance auf ein Leben in Freiheit wurde ihr genommen, nun geben wir alles, damit sie bei uns dennoch ein schönes Leben führen kann.“

Weil Emma ein deutlich größeres Gehege ermöglicht werden soll, werden ab 100-Euro Patenschaften für das Tier vergeben. „Als Dankeschön gibt es zwei Jahreskarten, eine A4-Fotografie und die Ehrung auf Emmas Patentafel vor ihrem Gehege“, sagt Monique Wackrow.

Wer Interesse an einer Patenschaft hat, kann sich per E-Mail an monique.wildkatzengehege@gmail.com wenden.