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Heimatgeschichte Benneckenstein Von Emmerschieter bis Nappsülze: So schimpfte man früher im Harz

Die Harzer sind nicht auf den Mund gefallen, wenn es um Schimpfwörter geht. Auch schon im 19. Jahrhundert nicht. Eine spezielle Benneckensteiner Beschimpfung fand sogar Eingang in die Polizeiakten.

Von Jürgen Kohlrausch 02.11.2024, 15:34
Im Ratskeller in Benneckenstein kam es im Juni 1866 zu einem folgenschweren Vorfall.
Im Ratskeller in Benneckenstein kam es im Juni 1866 zu einem folgenschweren Vorfall. Foto: Archiv Heimatstube

Benneckenstein. - „Schimpfen, Schimpfen tut nicht weh, wer da schimpft, hat Läuseflöh. Läuseflöhe hab ich nicht, hab ich erst von dir jekricht!“ Mit diesem Abwehr-Neckreim, möglichst noch in Verbindung mit einem frechen Zunge-herausstrecken, reagierten in früheren Zeiten die Kinder auf die verbalen Angriffe ihrer Spielgefährten.

Die Zwistigkeiten unter den kleinen Rotznasen waren meist nicht von langer Dauer. Bald war alles vergessen und man spielte wieder einträchtig miteinander. Bei den Erwachsenen sah das in der Regel etwas anders aus. Kam es hier zum Streit, waren oft handfeste Auseinandersetzungen und Beleidigungen, manchmal auch Behördengänge die Folge. Die Palette an Schimpfwörtern war reichhaltig und umfasste so manch deftigen Ausdruck.

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Einige der gängigen Schmähungen sind heute kaum noch bekannt, andere wiederum hat der Volksmund überliefert und gehören deshalb noch zum aktuellen Repertoire von Streithähnen. Nach heutigem Ermessen handelte es sich bei den damaligen Gemüter bewegenden Streitereien oft nur um Bagatellen. Die Einsichtnahme in hundert Jahre alte Benneckensteiner Schiedsmann-Protokollbücher lassen diese Vermutung aufkommen.

Viele Harzer Schimpfwörter stammen aus dem Plattdeutschen

Hier noch einmal eine kleine Auswahl aus den protokollierten Unflätigkeiten, denen, im Platt ausgesprochen, noch eine zusätzliche Ausdrucksstärke anhaftete: Schiet-Ekel, allewarner Jacob, Luntemann, Drewekiel, Lusehudderich, Fuulton (Faulpelz), Jammer-Ekel, Toffel, Taater, Jauchenbeist, dummet Luder, Piß-Heinrich, Emmerschieter, Nappsülze, Wullef, Farrnant und Pawest (Papst). Warum ausgerechnet der Heilige Vater Pate für ein typisch Benneckensteiner Schimpfwort gestanden hat, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. „Du allewarner Pawest“ gehörte aber lange zu den gern benutzten Verunglimpfungen.

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Ein anderer überlieferter Ausdruck, der wahrscheinlich nur in Benneckenstein verwendet wurde, ist „Blaumdahl“ (hochdeutsch: Blumenthal). Die Äußerung „Du bist mek vielleicht en Blaumdahl“ ist etwa gleichzusetzen mit „Du bist ein bemitleidenswerter Mensch“. Das Besondere an diesem speziellen Ausdruck ist, dass dieser eine ausgesprochen Benneckensteiner Wortschöpfung ist, dessen Ursprung ausnahmsweise sogar belegt werden kann.

Harzer Lehrer beleidigte Preußischen König und lassierte eine Anzeige bei der Polizei

Die Erläuterung dazu findet sich in einer Polizeiakte von 1866. Bei Blumenthal handelte es sich um einen geistesschwachen Armenhäusler, dessen Name also für das Verächtlichmachen einer anderen Person missbraucht wurde. Die nicht unamüsante Erklärung dazu finden wir in einer Polizeiakte von 1866.

Im Juni 1866 war es im Ratskeller zu einem Politikum besonderer Schwere gekommen. Im Laufe einer abendlichen Bier-Runde von Lehrern und Zunftmeistern hatte sich Lehrer Reiber erdreistet, seine Majestät, den Preußischen König Wilhelm I. zu beleidigen. Angesichts der Kriegsereignisse („Deutsch-Deutscher Krieg“) machte Lehrer Reiber in der Gaststube die Äußerung, dass sich die Leute totschießen lassen müssten, weil „so ein Blumenthal“ auf dem Thron säße!

Gastwirt Wilhelm Hecht soll darauf entrüstet entgegnet haben: „Wie können Sie denn unseren König mit Blumenthal vergleichen!“ Bei der anschließenden Zeugenvernehmung wollten jedoch wenige der Gaststättenbesucher die zu Protokoll gebrachten Unglaublichkeiten und die geführten Wortwechsel mit ihrer Unterschrift bestätigen. Einer hatte nichts gehört, eine anderer hatte sofort das Lokal verlassen, ein dritter wiederum gab an, nebenan in der Billardstube gewesen zu sein.

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Kantor Rolle gab zu Protokoll: „Ich kann nicht leugnen, daß Lehrer Reiber im Laufe des geführten Gesprächs Worte äußerte, welche mich mit Entrüstung erfüllten und mich zum Verlassen der Gaststube bewogen. So viel mir erinnerlich ist, sprach Reiber vom königlichen Thron und brachte den hiesigen Armenhäusler Blumenthal damit in Verbindung.“

Fußgendarm Pfordte, der die Ermittlungen zu Papier brachte, äußerte abschließend die Vermutung,: „Zeige gehorsamst an, daß der Lehrer Reiber wohl wahrscheinlich den Sohn des hiesigen Armenhäuslers Blumenthal gemeint hat, der geistesschwach ist, und sein Leben mit milden Gaben fristet!“

Der Ausgang der Untersuchungen und die rechtlichen Konsequenzen, die den Lehrer Reiber erwarteten, dürften in diesem speziellen Fall wohl weniger von Interesse sein. Vielmehr ist es die Schilderung selbst, die hier insofern bemerkenswert erscheint, als sie eindeutig den Ursprung eines sich über 150 Jahre haltenden Schimpfwortes belegt.