Gesundheit Warum Apotheker protestieren - auch im Harz
Die Türen der Apotheken bleiben zu am Mittwoch, 14. Juni – auch in Wernigerode. Dieser Schritt hat vielfältige Gründe, sagen die Inhaber.

Harzkreis - Die Liste der Probleme, auf die die Apotheker an ihrem bundesweiten Protesttag aufmerksam machen wollen, ist lang: anhaltende Lieferengpässe, ausufernde Kosten, Honorarkürzung statt Anpassung, immenser bürokratischer Aufwand, fehlende Zukunftsperspektiven und Nachwuchs. Die meisten Apotheken werden am kommenden Mittwoch, 14. Juni, deshalb geschlossen bleiben.
Das Ziel der Protestaktion bringt Susanne Bormann, Inhaberin der Apotheke im Nordharzcenter Blankenburg, auf ihrer Seite im sozialen Netzwerk Facebook auf den Punkt: „Wir protestieren, damit ihr nicht mehr so lange auf eure Medikamente warten müsst“, schreibt sie dort.
Dilemma für Heilberufler
Allerdings ist es keine einfache Situation für Apotheker und ihre Mitarbeiter, die sich von Berufs wegen der Hilfe für andere Menschen verschrieben haben. „Es ist für uns als Heilberufler besonders schwierig angemessen zu protestieren, da wir in dem Dilemma stecken, dass wir unsere Patienten nicht hängen lassen können und wollen“, macht Paula Eckerlin-Sohl, Inhaberin der Raths-Apotheke in Wernigerode, deutlich. Dennoch müsse sich die Situation für die Apotheken „schnell und massiv“ ändern, da es sonst mittelfristig keine flächendeckende adäquate Versorgung mehr geben werde, so die Befürchtung von Paula Eckerlin-Sohl.
Doch der Protest soll sich nicht darauf beschränken, die Apotheke am Mittwoch nicht zu öffnen. Während zahlreiche Kollegen zu einer Demonstration nach Berlin fahren, wollen Apotheker in Wernigerode öffentlich auf ihre Situation aufmerksam machen und über ihre Probleme zu informieren, kündigt Paula Eckerlin-Sohl an.
Apotheker wollen Geschlossenheit zeigen
„Im Landkreis Harz gibt es laut Apothekerkammer des Landes Sachsen-Anhalt insgesamt 56 Apotheken. Mehr als 95 Prozent werden sich am Aktionstag beteiligen“, sagt Steffen Beyer, der Inhaber von drei Apotheken in Elbingerode, Wegeleben und Gatersleben und als erweitertes Vorstandsmitglied des Landesapothekerverbandes Sachsen-Anhalt gewählter Vertreter für den Harz ist. „Die Geschlossenheit ist auch notwendig“, sagt er, und der Protesttag „zwingend erforderlich, weil die Leistungen der Apotheken missachtet“ würden.
Protestiert wird, weil „die Politik der Bundesregierung unsere Arbeit – die ordnungsgemäße Versorgung der Bürgerinnen und Bürger – massiv gefährdet“, so die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände. Ein Hauptthema, sagt Steffen Beyer, ist das der Lieferengpässe. In der Coronazeit hätten die Apotheken mehr „Beinfreiheit“ für den Austausch von Medikamenten bekommen, wenn diese wegen Lieferengpässen nicht zur Verfügung gestanden hätten. Diese seien aber „noch schlimmer geworden“, doch die „Beinfreiheit“ solle nun zurückgenommen werden. Der Apotheker nennt ein Beispiel, wonach zunächst eine vergebliche Abfrage beim Großhandel dokumentiert werden müsse, dann noch eine zweite, ehe etwa wegen einer Alternative mit dem verschreibenden Arzt Kontakt aufgenommen werden könne. „Das ist nicht praktikabel“, vielmehr müsse Bürokratie abgebaut werden.
Komplizierte Regeln
„Wir ersticken in Bürokratie“, kritisiert auch Dr. Christina Schlage, Inhaberin der Hirsch-Apotheke in Wernigerode. Sie verweist auch auf aufwendige Qualifizierungen für die Abgabe bestimmter Heilmittel, die regelmäßig erneuert und nachgewiesen werden müssen
Abgaberegeln seien mittlerweile so kompliziert, dass es fast immer einen Grund gebe, eine im Sinne der Patienten erbrachte Leistung ein Jahr später nicht zu bezahlen, ergänzt Paula Eckerlin-Sohl aufgebracht.
Ein weiteres Thema: die Vergütungssituation. Jetzt gebe es acht, neun Prozent Inflation das zweite Jahr in Folge; es gebe steigende Kosten, Mehraufwand bei der Versorgung mit Arzneimitteln wegen der Lieferengpässe, so Steffen Beyer. Doch für die Apotheken werde die Ausgabepauschale für Arzneimittelpackungen gekürzt, liege für dieses und nächstes Jahr wieder auf dem Niveau von 2004. „Da, das muss man so sagen, fühlen wir uns ziemlich verarscht. Das passt nicht zusammen“, sagt Steffen Beyer. Auch er verweist darauf, dass das Honorar für die Apotheken seit zehn Jahren nicht angepasst worden sei.
Ärger über Zwangsabschlag
Paula Eckerlin-Sohl ärgert sich über weitere, für die Apotheken nachteilige Änderungen: „In der Pandemie haben wir mit unseren Teams Überstunden geschoben, an Wochenenden Masken und Tests organisiert, umgepackt, getestet und Menschen informiert, beruhigt, getröstet und trotz allem versorgt. Geblieben ist als ,herzliches Dankeschön’ von Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine Erhöhung des Zwangsabschlages, den wir den kranken Kassen geben müssen“, so die Wernigeröderin.
Maskenabgabe, Corona-Schnelltest-Angebote, Erstellung digitaler Impfzertifikate seien während der Corona-Pandemie zusätzliche Einnahmen gewesen, so Christina Schlage. Aber: „Jede einzelne Maßnahme hat sehr viel Aufwand bedeutet, die Vergütung wurde meist innerhalb vonnur wenigen Wochen drastisch reduziert.“ Aber was es kräftemäßig gekostet habe, von jetzt auf gleich FFP2-Masken in Größenordnungen zu besorgen und für eine gerechte Verteilung zu sorgen, also auch den Menschen zum Teil nach Hause zu bringen, mit logistischem, personellem und materiellem Aufwand Teststationen zu etablieren, Impfzertifikate in der Nacht zu erstellen, weil tagsüber der Server großenteils überlastet war, „das wird kaum gesehen“.
Herausforderung Lieferprobleme
Die Lieferprobleme bei Medikamenten bedeuten für die Apotheker zusätzliche Herausforderungen, so Christina Schlage. „Immer wieder wechselnde Firmen bei immer wieder neuen Wirkstoffen. Unsere Kunden müssen hier mitgenommen und informiert werden, dass sich nicht nur eventuell der Name ändert, sondern dass wir immer wieder auch auf andere Stärken ausweichen müssen. Ohne intensive Beratung besteht die große Gefahr von Medikationsfehlern“, warnt sie. Auch die Ärzte müssten dazu immer wieder informiert werden. „Im schlimmsten Fall muss ein ähnliches Arzneimittel gesucht und mit dem Arzt abgesprochen werden.“◦Der Aufwand steigt, nicht nur für die Apotheken, die Botendienste anbieten. Auch die Kunden respektive Patienten müssen die Apotheke mehrfach besuchen, um vollständigversorgt zu werden.
Wollen sich Pharmazie-Studenten nach ihrem Abschluss unter diesen Bedingungen mit einer Apotheke eine eigene Existenz aufzubauen? Paula Eckerlin-Sohl bezweifelt das. „Hochschulabsolventen unseres Faches können sich immer seltener den Gang in die Selbstständigkeit vorstellen, vor allem, weil die wirtschaftliche Perspektive fehlt. Darauf müssen wir aufmerksam machen.“
Steffen Beyer hat indes in Heimen, bei Ärzten und Patienten, von denen fast alle schon einmal selbst die Problemen bei der Arzneimittelbeschaffung mitbekommen haben, über die Beteiligung am Protesttag informiert. Negative Reaktionen habe es nicht gegeben, „sie hatten alle Verständnis“.
Notdienst wird abgesichert
Am bundesweiten Apotheken-Protesttag wird es eine Notversorgung geben. Nach Angaben der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt übernehmen für den Landkreis Harz fünf Apotheken den Notdienst. Das sind:
im Bereich Wernigerode und Umland die Rats-Apotheke, Petersilienstraße 7, Derenburg, Telefon 039453/6 10 15, und die Post-Apotheke, Marktstraße 5, Braunlage, Telefon 05520/9 30 20.
im Bereich Blankenburg die Apotheke am Tränketor, Mauerstraße 3, Blankenburg, Telefon 03944/27 24;
im Bereich Halberstadt die Center Apotheke, Braunschweiger Straße 83-88, Halberstadt, Telefon 03941/6 87 00;
im Bereich Quedlinburg die Stadt-Apotheke, Breitscheidplatz 6, Ballenstedt, Telefon 039483/3 51;
Eine Notdienstgebühr fällt tagsüber nicht an, erklärte Katrin Pohl, Sprecherin der Apothekerkammer Sachsen-Anhalt; diese würde erst ab 20 Uhr erhoben.