"Neue Fassaden – alte Geschichten" (Teil 20) Westernstraße 35 – ein Traumhaus mit Elfenschlucht
In der Serie "Neue Fassaden - alte Geschichten" stellt die Harzer Volksstimme historisch interessante Häuser in Wernigerode vor. Mit diesem Thema haben sich auch Heimatforscher wie Dr. Uwe Lagatz und Mitarbeiter der Oskar Kämmer Schule, unterstützt von der KoBa, befasst. Ihre Erforschung fließt in die Beschreibungen mit ein. Der Rundgang führt heute zur Westernstraße 35.
Wernigerode. Von "Liebe auf den ersten Blick" spricht Carmen Buchold aus Heudeber, wenn sie nach dem Grund für den Erwerb des Hauses Westernstraße 35 gefragt wird. Sie hatte im Jahr 2004 gelesen, dass es im Dezember des gleichen Jahres bei einer großen Immobilien-Auktion in Berlin unter den Hammer kommen sollte. Als Mindestgebot waren 19 000 Euro genannt. Der geringe Preis ließ sie schon ahnen, dass ein hoher Sanierungsbedarf mit dem Erwerb ihrer Traumimmobilie verbunden sein würde. Als Fernbieterin hatte sie damals die Versteigerung per Telefon verfolgt und war schließlich doch überrascht, dass sich niemand weiter für das Haus mit dem Mini-Hof interessierte. So erhielten sie und ihr Mann Rainer Buchold für den gebotenen Einstandspreis den Zuschlag, ohne ihre Offerte erhöhen zu müssen.
Danach begannen die Probleme. Es stellte sich bald heraus, dass die für das Sanieren eingeplanten 50 000 Euro nicht ausreichen werden. Die notwendigen umfangreichen Arbeiten wurden wesentlich teurer, so dass ein nicht eingeplanter Kredit aufgenommen werden musste.
Mit Unterstützung des städtischen Bauamtes und vieler Helfer erfolgte der Umbau. Das Ehepaar, beide sind in einer großen Versicherung tätig und immer auf der Suche nach einer neuen Herausforderung, ließ die Wohnungen komplett umbauen und packte dabei auch selbst richtig mit zu. Da beispielsweise der Hof, der 2,20 mal 4,70 Meter groß ist, lediglich Platz für eine Sitzecke bietet, entschied sich das Ehepaar, die Wohnungen kleiner als bisher zu gestalten. So entstanden aus zwei großen Wohnungen vier kleinere. Die 3,80 Meter hohen Decken wurden "abgehängt", also niedriger gelegt. Bevor die beiden Studenten, ein Auszubildender sowie ein alleinstehender Mann die jetzigen Wohnungen beziehen konnten, musste viel Bauschutt weggeräumt, Asbest sowie Hausschwamm, der sich aus einem Nachbarhaus in das Gebäude ausbreitete, entfernt werden.
Frontansicht ist noch im Original erhalten
Nun aber freuen sich die Bucholds über ihr gelungenes Werk, für das sie im Jahr 2006 einen Preis bei der Gemeinschaftsaktion "Höfe halten Hof" erhielten. In der Kategorie "Kleine Höfe" wurde ihr Hof, den sie liebevoll als Elfenschlucht gestaltet und auch so genannt haben, mit dem ersten Wettbewerbspreis ausgezeichnet (Volksstimme berichtete). Er ist nicht nur sehr klein, sondern von allen vier Seiten auch von hohen Mauern umgeben.
Das Haus in der Westernstraße war zum Ende des 19. Jahrhunderts vom Werkmeister Trümpelmann errichtet worden. Zumindest die Frontansicht ist heute noch im Original erhalten. Zur Hofseite hin hat man in späteren Jahren zur Gewinnung von Wohnraum noch angebaut und auch das Dach fast zum Flachdach hochgezogen. Auffallend ist, dass schon neuere Materialien seinerzeit verwendet wurden, beispielsweise maschinell gehobelte Balken sowie industriell gefertigte Stuckplatten. In der schmalen Fassade sind ganz links die Haustür und ganz rechts die Ladentür angebracht. Unter dem Erker befindet sich ein großes Schaufenster. Über beiden Türen sind Stuckkartuschen angebracht. Diese zeigen über der Haustür die Hausnummer 35 und über der Ladentür das Baujahr 1877.
Charakteristisch für das Haus sind in der zweiten Etage rechts und links geschosshohe Rautenfelder, in deren Mitte sich jeweils Stuckplatten mit Maskendarstellungen befinden. Interessant zu betrachten ist der Erker, dessen Last zwei Konsolen mit Figurenschmuck zeigen. Im Brüstungsfeld unter den Balkonfenstern steht geschrieben "ohn Gottes Gunst – all bawen umbsunst", was soviel heißt wie "Ohne Gottes Gunst ist alles Bauen umsonst (vergebens).
Die Stadtgeschichte berichtet von einem Vorgängerhaus. Als Bewohner wird dort 1656 ein Hans Brökel als Torwächter im Westerntor genannt, Ihm folgten 1700 ein Lorentz Horn, 1845 ein Heinrich Dickehut und 1849 der Torwirth Joh. Heinrich Brüning.