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DDR Wie die Silstedter das Fliegen lernten: Die glanzvollen Zeiten der Sportwerbegruppe

Vor über 40 Jahren sorgte die Silstedter Sportwerbegruppe für Furore. Als Turner und Akrobaten zogen sie durchs Land. Ihr Trainer Ehrhard Ihms erinnert sich.

Von Ivonne Sielaff Aktualisiert: 21.4.2021, 07:39
Die Tempo-Springer von  „Die Ascinos“ von der Sportwerbegruppe Silstedt bei einem ihrer zahlreichen Auftritte in den 1970er Jahren.
Die Tempo-Springer von „Die Ascinos“ von der Sportwerbegruppe Silstedt bei einem ihrer zahlreichen Auftritte in den 1970er Jahren.  Foto: Sportwerbegruppe Silstedt/privat

Silstedt. Atemberaubend. Das ist das Wort, was einem in den Sinn kommt, wenn man „Die Ascinos“ in Aktion sieht. Athletische junge Sportler, die waghalsig über Wände springen – ja beinahe fliegen. Saltos am laufenden Band. In einem Tempo, das einem selbst als Zuschauer den Atem raubt. Weit über 40 Jahre sind seither vergangen. Unzählige Fotos, Zeitungsausschnitte und sogar einige Videos erinnern an die glanzvollen Zeiten der „Ascinos“ und der anderen Mitglieder der Sportwerbegruppe Silstedt. Andenken und Erinnerungsstücke, die Ehrhard Ihms immer wieder mal gern zur Hand nimmt, um darin zu stöbern und um in alten Zeiten zu schwelgen.

Ihms war einst Gründer und Trainer der akrobatischen Gruppe. „Diese Jahre gehören in meinem Leben zu den schönsten und interessanten“, sagt der heute 86-Jährige. „Ich war sehr stolz auf die Kinder, die so viel Freude am Sport hatten.“ Und nicht nur die jungen Sportler selbst. Auch den Zuschauern schenkten sie Freude. In den 16 Jahren ihres Bestehens traten sie ganze 473 Mal in 72 Städten auf. Fernsehauftritte machten die Silstedter Akrobaten in der ganzen DDR bekannt. Doch wie hatte alles begonnen?

Ehrhard Ihms (86) war der Gründer und Trainer der Sportwerbegruppe Silstedt.
Ehrhard Ihms (86) war der Gründer und Trainer der Sportwerbegruppe Silstedt.
Foto: Ivonne Sielaff

Ehrhard Ihms kam 1962 als Sportlehrer nach Silstedt. Zwar war er früher als Handballer und Leistungshochspringer aktiv – das Turnen aber war immer seine Leidenschaft. Es war wohl ein Wink des Schicksals, dass der Turnsport in Silstedt schon immer eine große Bedeutung hatte. „Ich habe schnell festgestellt, dass es dort durch Turnvater Mänz eine tolle Turntradition gibt“, erinnert sich Ihms. Mänz selbst habe er nicht mehr kennengelernt. Die Söhne und Enkel aber hätten die Tradition im Dorf weiter geführt und in Ehren gehalten.

Auftritte im DDR-Fernsehen

Mit der Arbeitsgruppe Turnen und Gymnastik legte Ihms sozusagen den Grundstein für die Sportwerbegruppe. „Das war eine außerschulische AG. Ich habe während des Unterrichts gesehen, wer Talent hatte.“ Diese Talente habe er dann nach der Schule gefördert. „Zwei mal die Woche war Training, sonst wären wir nie so weit gekommen.“

„Die Ascinos“ zeigten bei ihren Auftritten atemberaubende Sprünge in rassantem Tempo.
„Die Ascinos“ zeigten bei ihren Auftritten atemberaubende Sprünge in rassantem Tempo.
Foto: Sportwerbegruppe Silstedt/privat

Und weit kamen sie wirklich. Die ersten Auftritte fanden 1963 vor Eltern und Großeltern statt, beim Tag der Pioniere, bei Frauentagsfeiern in Betrieben. Schnell sprach sich herum, dass die Silstedter wirklich etwas drauf hatten. Es folgten Reisen durch die ganze Republik und mehrere Trainingslager. Sogar im Friedrichstadtpalast, bei den Weltfestspielen in Berlin und beim Deutschen Turn- und Sportfest in Leipzig traten die Harzer auf.

Und der Applaus des Publikums sollte zum ständigen Begleiter der Silstedter Sportwerbegruppe werden. Das etwa einstündige Showprogramm entwickelte Ehrhard Ihms selbst. „Ich habe abends stundenlang gesessen, um die Pyramiden zu entwerfen.“ Denn zur Sportwerbegruppe gehörten nicht nur das Tempospringen der „Ascinos“, sondern Bodenturnen, Akrobatik, Gymnastik, Kabarett, Geräteturnen und eben die lebendigen Pyramiden.

300 Schüler im Turnfieber

Höhepunkte für die Turner um Ehrhard Ihms waren sicherlich die Fernsehauftritte. Ob „Machs mit, machs nach, machs besser“, „Herzklopfen kostenlos“, „Da liegt Musike drin“ oder „Heitere Premiere“ – die Auftritte vor einem Millionenpublikum waren ganz besondere Nummern. „Wir haben uns vorher immer gründlich warm gemacht und uns dann Mut zugesprochen“, blickt Ihms zurück. „Wir wollten ja schließlich immer gut abschneiden und niemanden enttäuschen.“ Unvergesslich waren für Ihms auch die Begegnungen mit DDR-Promis wie Hans-Joachim Preil, Rolf Herricht, Willi Schwabe und Heinz Quermann, der die Silstedter bei einer Veranstaltung in Wernigerode entdeckt und später gefördert hatte.

Fast 300 Schüler gehörten in den 16 Jahren ihres Bestehens der Sportwerbegruppe an. Allesamt angesteckt von Ihms’ Leidenschaft für das Turnen. „Sie waren füreinander da, haben sich unterstützt. Und sie haben gemerkt, welch große Anerkennung sie für ihre Leistungen bekamen.“ 1979 löste sich die Gruppe schließlich auf. Die Schule hatte nur noch 130 Schüler. „Es war nicht mehr genug Nachwuchs für die Gruppe da. Und so hat es sich ergeben, dass es aufhörte.“ Die Erinnerungen an die aufregende Zeit aber blieben. Auch bei Ehrhard Ihms, der heute in Benzingerode lebt und seinen sportlichen Tagen aus Altersgründen abgeschworen hat. „Es war eine sehr, sehr schöne Zeit“, sagt er. Manchmal frage er sich, wie er den ganzen Druck, die Verantwortung und die Arbeit in jener Zeit durchgestanden habe. „Ich glaube, es war die Begeisterung, die mich getragen hat.“

Die Silstedter Sportwerbegruppe zeigte 1966 beim Rathausfest in Wernigerode ihre lebenden Pyramiden.
Die Silstedter Sportwerbegruppe zeigte 1966 beim Rathausfest in Wernigerode ihre lebenden Pyramiden.
Foto: Sportwerbegruppe Silstedt/privat