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Schierke Winterberg-Traum ausgeträumt?

Ernüchterung in Schierke: Nach jahrelanger Hängepartie sind die Chancen auf eine Umsetzung des Millionenvorhabens am Winterberg gleich null.

Von Ivonne Sielaff Aktualisiert: 25.4.2021, 09:27

Schierke. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Seilbahninvestor Gerhard Bürger hat sich nach der jahrelangen Behörden-Hängepartie endgültig von dem Projekt zurückgezogen. Die finanzielle Einigung mit der Stadt Wernigerode über die Planungskosten ist für den Hildesheimer Unternehmer nach eigener Aussage der Schlusspunkt in Sachen Winterberg.

Das Aus des Millionen-Vorhabens am Winterberg ist damit praktisch besiegelt. Der entscheidende Baustein für Schierkes touristische Wiedergeburt bleibt bis auf Weiteres Illusion. Eine Entwicklung, die den wieder entdeckten Optimismus der Schierker heftig wanken lässt.

„Ich bin sehr traurig und enttäuscht“, sagt Ortsbürgermeisterin Christiane Hopstock (CDU) und spricht damit wohl den meisten Bewohnern des Wernigeröder Ortsteils aus der Seele. Im Genehmigungsprozess steckte das Winterberg-Projekt seit Jahren an der ersten Hürde – dem vom Verkehrsministerium geführten Raumordnungsverfahren – fest. Streitpunkt war vor allem das Schutzgebiet, das durch die geplante Seilbahntrasse tangiert worden wäre. „Die Landesregierung mit einer Fünf-Prozent-Koalition mit den Grünen will uns vorschreiben, wie wir unser Schierke gestalten?“, so Hopstock. „Es geht doch um die ganze Region, um Sachsen-Anhalt – und nicht nur um Schierke.“ Die Schuld nun bei Investor Bürger zu suchen, hält Hopstock nicht nur für falsch, sondern sogar für „anmaßend“. „Er hat sich schließlich auf alles eingelassen. Auf Umplanungen, auf alles. So geht man einfach nicht mit Investoren um.“

Nicht nur Skipiste im Winter

Frank Bünning ist gebürtiger Dessauer, lebt seit sechs Jahren in Schierke. Er hat in Ferienwohnungen investiert. Aus gutem Grund. „Als ich vor einigen Jahren hierher gekommen bin, hat mir wirklich gefallen, was hier entstehen sollte“, sagt der 48-Jährige. „Das Seilbahn-Projekt fand ich interessant.“ Er habe immer gehofft, dass irgendwann eine definitive Entscheidung dazu fällt. Was ihn stört, ist die Fokussierung der Kritiker auf die beschneite Skipiste im Winter. „Das war doch nur ein kleiner Teil. Bei dem Projekt ging es um viel mehr – um Ganzjahresbespaßung. Es ist kurios, dass immer nur der Winter herangezogen wurde“, so Bünning. „Die armen schützenswerten Bäume, die für das Projekt gefällt werden müssten – habe es von den Naturschützern und allen voran Umweltministerin Claudia Dalbert (Bündnis 90/Die Grünen) immer wieder geheißen. „Jetzt gibt es da oben keine Bäume mehr.“

Das Waldsterben im Harz ist das, was auch Pensionsbetreiberin Kerstin Wagner umtreibt. „Es ist alles tot. Was sollen wir unseren Urlaubern denn sagen, wenn sie wieder kommen dürfen?“, fragt die 54-Jährige. „Man kann doch nicht sieben Tage lang mit Kindern durch den Wald wandern – in dem Zustand, in dem er jetzt ist.“ Das befriedige keinen Gast. „Die wollen etwas in der Natur erleben, wollen zufriedene Kinder. Die wollen nicht nur diese traurigen Bilder sehen.“ Zumal etliche Wege durch die Fällarbeiten überhaupt nicht mehr passierbar seien. Die Möglichkeit am Winterberg wäre „einmalig“ für Schierke gewesen. „Doch jetzt stehen wir vor einer Wand, und es geht nicht weiter.“

Perspektive für Jugend

Jens Weidlich lebt wie viele Schierker vom Tourismus. Der 53-Jährige führt eine Pension, ein Restaurant und ein Café in dem Brockenort, ist auf den Gästestrom angewiesen. „Ich war froher Hoffnung, dass es endlich wieder vorangeht nach Jahren der Stagnation.“ Gerhard Bürger habe mit der Glasmanufaktur in Derenburg gezeigt, wie man einen touristischen Hotspot entwickele. „So haben wir uns das am Winterberg auch vorgestellt“, sagt Weidlich. Das Aus sei bitter. „Wir müssen doch der Jugend eine Perspektive geben.“

Auch Sven Borchardt hat vor einigen Jahren ein Haus in Schierke gekauft und Ferienwohnungen ausgebaut. Das Ortsentwicklungskonzept sei für ihn entscheidend gewesen. Dieser Ort hat Perspektive, habe er damals gedacht. „Das sehe ich jetzt nicht mehr.“ Erst habe die Politik Fördergelder in Millionenhöhe versprochen. „Jetzt hat sie uns im Stich gelassen“, sagt der 50-Jährige, der sich in der Bürgerinitiative „Pro Winterberg“ engagiert.

Forderung nach Alternativplan

Als der Rückzug des Investors vor einigen Wochen bekannt wurde, hatte sich Borchardt im Namen der Schierker Initiative an Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gewandt. „Wir wollten nicht nur leise vor uns hinjammern.“ Die Forderung der Schierker: ein Alternativplan nach dem Scheitern des Seilbahn-Projektes und die Unterstützung der Landesregierung. Haseloff solle Schierkes Entwicklung zur Chefsache machen, hieß es in dem Schreiben weiter. „Es ist nichts zurückgekommen. Das ist schon bezeichnend“, sagt Borchardt. „Erst die mangelnde Unterstützung und jetzt keine Reaktion. Beschämend.“ Ärgerlich sei zudem, dass nun sämtliche Investitionen der letzten Jahre infrage gestellt seien. Straße, Brücken, Parkhaus – alles sei auf das Winterberg-Projekt ausgelegt gewesen. „Es kann doch nicht sein, dass man nun auf halber Strecke stehen bleibt.“

Stehen bleiben möchte auch Ortsbürgermeisterin Christiane Hopstock nicht. „Wir sind nicht vor 30 Jahren auf die Straße gegangen, um jetzt das hier zu erleben.“ Seit der Eingemeindung nach Wernigerode sei es für den Ort bergauf gegangen. Die Schierke hätten wieder Vertrauen gefasst und selbst investiert. In Erwartung der Ganzjahreserlebniswelt am Winterberg seien auch andere Investoren auf Schierke aufmerksam geworden.

Die Übernachtungszahlen schossen in die Höhe. Für Hopstock ein Zeichen, dass man auf dem richtigen Weg war. „Deshalb muss es weitergehen. Wir brauchen Angebote hier im Ort.“ Sie wünsche sich darüber nun intensive Gespräche. Und so ganz komplett hat Schierkes Bürgermeisterin das Winterberg-Projekt noch nicht zu den Akten gelegt. „Ich weiß, zum Glauben soll man in die Kirche gehen. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass hier noch etwas passiert.“

Das Projekt

Geplant war eine Ganzjahres- Erlebniswelt mit einer Seilbahn, die vom Parkhaus aus über eine Mittelstation auf die Bergstation am Schierker Winterberg führt.

Für den Winter waren eine künstliche Beschneiung des Hanges und eine Ski-Abfahrtspiste vorgesehen. Um die Schneekanonen mit ausreichend Wasser zu füttern, sollte ein Speichersee angelegt werden.

Darüber hinaus waren weitere Anziehungspunkte am Winterberg geplant. Darunter das Luchs-Universum – das „Nocturnalium“. In der künstlich geschaffenen Höhlenwelt sollten Besucher auf 450 Quadratmetern dem Luchs auf mehreren Etappen nachspüren.

Eine weitere Attraktion sollte der Holz- und Wasserspielplatz „Mimikry“ werden. Unter dem Motto „Sei geschickt wie die Tiere des Waldes“ könnten Besucher in dem Park aus Naturmaterialien ihre Geschicklichkeit unter Beweis stellen. Andere Ideen waren ein Hochseilgarten und ein Skyglider.

Umsetzung

Realisieren wollte die Stadt Wernigerode das Projekt zusammen mit der Winterberg-Schierke GmbH mit dem Hildesheimer Investor Gerhard Bürger an der Spitze. Das Land hatte Fördergeld in Aussicht gestellt.

Seit Sommer 2016 läuft das Raumordnungsverfahren im Verkehrsministerium in Magdeburg. Dieses ist Voraussetzung für alle weiteren notwendigen Genehmigungsverfahren. Problem: Die Seilbahntrasse berührt geschützte FFH-Lebensräume. Unter anderem ist zu klären, ob Eingriffe in diese Lebensräume vertretbar sind. Das Raumordnungsverfahren ist seit Juni 2019 ruhend gestellt.

Angestoßen durch die Linke-Fraktion wollte sich Wernigerode 2020 ein aktuelles Meinungsbild über das Millionenprojekt verschaffen. Noch vor der im Herbst/Winter anstehenden Haushaltsdebatte sollte über die Aufhebung des Grundsatzbeschlusses von 2013 zur Realisierung des Projektes abgestimmt werden.

Dafür war eine Zusammenkunft angesetzt– zur Erörterung der aktuellen Planungsstände, zur Einschätzung der rechtlichen Umsetzungsfähigkeit und zu Fragen von Wirtschaftlichkeit und Finanzierbarkeit, aber auch um über die weitere touristische Entwicklung Schierkes zu debattieren.

Die für November 2020 angesetzte Veranstaltung musste wegen der Corona-Pandemie verschoben werden.