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Sieben Bewohner des Wernigeröder Plemnitz-Stifts erinnern sich an 25 Jahre Leben in der Alten Poststraße "Wir haben ausgesehen wie die Schornsteinfeger"

Von Michael Pieper 05.03.2012, 04:32

Seit 25 Jahren nennen sieben Bewohner das Wernigeröder Plemnitz-Stift in der Alten Poststraße ihr Zuhause. Anlässlich ihrer "Silberhochzeit" erinnern sie sich an ihren Einzug und die ersten Jahre.

Wernigerode l Wände wurden eingerissen und wieder aufgebaut, Möbel verrückt und ausgetauscht, Personal kam und ging - sieben Bewohner des Wernigeröder Plemnitz-Stifts sind dem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen über 25 Jahre bis heute treu geblieben. Zu ihnen gehören die Brüder Uwe und Ralf Szym- czak, die 1987 in das neu gegründete Heim gezogen waren. "Damals haben wir uns noch mit ein paar älteren Damen das Haus geteilt", erinnert sich Uwe Szymczak an die ersten Monate. Das Haus in der Nähe des Waldhofbades war vor ihrem Einzug ein Seniorenheim. In der Übergangszeit wohnten die Brüder mit den Seniorinnen Tür an Tür. Später zogen die Frauen in das St. Georg Heim.

"Zu DDR-Zeiten waren Misch-Wohnheime eigentlich nicht üblich", erklärt Mike Horn. Auch der Wohngruppenleiter feiert in diesem Jahr "Silberhochzeit" mit dem Plemnitz-Stift. Der gelernte Baufacharbeiter war nach dem Wehrdienst zum Wohnheim gestoßen. Über ein Fernstudium legte er sein Diplom im Sozialwesen ab und ist heute stellvertretender Leiter der Einrichtung.

Doch wie hat sich das Leben seit 1987 gewandelt? Bewohner Helmut Jagusch erinnert sich: "Damals haben wir in verschiedenen Betrieben gearbeitet - im Elmo, im Getriebewerk oder bei YSAT. Heute sind wir in den Werkstätten der ¿Lebenshilfe\' aktiv."

Doch nicht nur beruflich hat sich viel geändert. "Das Haus ist nicht mehr wiederzuerkennen", sagt Günther Koch.

"Überall Blumentapete oder Raufaser."

Christine Wilke über die Einrichtung des Plemnitz-Stifts vor dem Umbau

2002 waren das Fachwerkgebäude sowie die Nebenhäuser vollständig entkernt und renoviert worden. Ein neues Dach, neue Inneneinrichtung und individuell gestaltete Zimmer kosteten zwei Millionen Euro. "Aber das hat sich gelohnt", ist sich Mike Horn sicher. Die Bewohnerinnen Christine Wilke und Viola Walnisch müssen schmunzeln, wenn sie an die Zeit vor dem Umbau denken. "Überall Blumentapete oder Raufaser. Selbst die Lampen waren in allen Zimmern gleich", erklärt Christine Wilke. Kein Wunder, stammte doch nahezu die gesamte Einrichtung aus einem Halberstädter Möbelgeschäft. "Da gab es halt nicht viel Auswahl", so Mike Horn. Einschneidend war auch die Umstellung der Heizanlage. "Früher haben wir mit Kohle geheizt. Da kam einmal im Monat ein Lkw und hat fünf Tonnen abgekippt, die wir mit den Betreuern zusammen in den Keller geschaufelt haben", sagt Markus Pischny. "Das war ganz schön mühsam. Danach haben wir ausgesehen wie Schornsteinfeger", fügt Mike Horn hinzu und lacht. Damit die hohen Gemeinschaftsräume morgens warm waren, musste der Hausmeister jeden Tag um 4 Uhr anheizen. Derweil begaben sich zwei Bewohner mit einer Handkarre auf den Weg zum St. Georg Heim an der Ilsenburger Straße, um das Frühstück abzuholen.

An den damaligen Kohlenkeller erinnert im Untergeschoss heute nichts mehr. Ein Hobby- und ein Sportraum sind entstanden, wo die Bewohner ihre Freizeit auf dem Ergometer oder beim Puzzlen verbringen können. Einmal pro Woche verwandelt sich der Keller zur Disco - inklusive Beleuchtung, Deko und Tanzmusik.

Nicht verändert hat sich die Reiselust der bis zu 30 Bewohner. An den ersten Urlaub in einer Jugendherberge im thüringischen Wippra erinnern sich alle gern zurück. Es folgten Ausflüge an die Ostsee und sogar in die Türkei. In diesem Jahr steht wieder eine Reise nach Thüringen an. Ziel ist ein Reiterhof in Witterda bei Erfurt.

Ob die Brüder Uwe und Ralf Szymczak mitfahren, ist noch ungewiss. Jetzt freuen sich die beiden erstmal auf den Frühling. Dann können sie wieder im Schrebergarten des Plemnitz-Stifts werkeln. Auf dem Gelände des ehemaligen Raabe-Schulgartens geht es zu wie in einer Kleingartenanlage. Sechs Bewohner teilen sich den Boden - jeder bewirtschaftet seine eigene Parzelle. Besonders stolz sind Uwe und Ralf Szymczak auf ihren Kirschbaum, den sie im Herbst beschnitten haben. Wenige Meter daneben kümmert sich Markus Pischny um ein Erdbeer-Beet. Sogar ein Gewächshaus gehört zur Ausstattung des Gartens.

"Wir sind stolz darauf, was hier entstanden ist", sagt Mike Horn beim Anblick des Hofes. So werden die sieben Jubilare auch in Zukunft dem Haus treu bleiben und trotz ihrer Handicaps helfen, wo sie können - "zum Glück ohne Kohlenschaufel".