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Zast Zuhause auf Zeit in Benneckenstein

In Benneckenstein sind auf Anweisung des Landes Sachsen-Anhalt seit knapp zwei Wochen Migranten untergebracht.

Von Karoline Klimek 07.05.2020, 10:36

Benneckenstein l Fremdenfeindliche Schmierereien haben zu Beginn dieser Woche für Aufregung in Benneckenstein gesorgt. Unweit der in der Oberharz-Stadt neu eingerichteten Außenstelle der Zentralen Erstaufnahmestelle für Asylsuchende (Zast) hatten Unbekannte einen Garagenkomplex mit einem 23 Meter langen Schriftzug versehen, der eine klare Botschaft hat: Flüchtlinge sind nicht willkommen. Während die Polizei ermittelt, wird es dennoch nicht ruhig in Benneckenstein. Einige Leser haben sich mit Fragen an die Volksstimme gewendet.

„Die Unterbringung der besonders gefährdeten ‚Gäste‘, wie Schwangere und Ältere aus der Zast, in einer Liegenschaft des Landes in Benneckenstein, geschah mehr oder weniger ohne die Aufmerksamkeit der Bevölkerung“, wundert sich Michael Finzel in einem Leserbrief. Der Benneckensteiner bemängelt vor allem die fehlende Transparenz der Behörden.

„Die Benneckensteiner wurden informiert“, stellt Denise Vopel, Sprecherin des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt, auf Volksstimme-Nachfrage klar. „Der Ortsbürgermeister von Benneckenstein als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger wurde bereits frühzeitig einbezogen und am 15. April über eine zukünftige Belegung informiert, die dann erst am 24. April tatsächlich erfolgte. Mit dem Ortsbürgermeister standen wir bis dahin in engem Kontakt. Wir haben ihn fortlaufend über alle Vorgänge informiert. Er war auch am 24. April zum Erstbezug vor Ort.“

Ortsbürgermeister Kay Rogge (parteilos) bestätigt die Aussage. „Die Entscheidung ist von Jetzt auf Gleich aus einer tagesaktuellen Situation heraus getroffen worden. Ich habe davon sofort erfahren. Und auch das Innenministerium stand mir bei meinen Nachfragen uneingeschränkt Rede und Antwort“, betont er. „Und dann stand es auch schon in der Volksstimme. Noch früher hätten wir das also nicht an die Öffentlichkeit geben können.“

Bürgermeister Ronald Fiebelkorn (CDU) dagegen hat andere Erfahrungen gemacht. „Am Dienstag nach Ostern hat mich Innenminister Holger Stahlknecht angerufen, weil wir uns kennen. Er hat mir gesagt, dass am nächsten Tag in Benneckenstein ein paar Flüchtlinge untergebracht werden sollen“, erzählt er. Weitere Informationen habe er sich dann allerdings über die Polizei Halberstadt und das Landesverwaltungsamt zusammentelefonieren müssen. Auch von der Verzögerung habe er nur über diesen Weg erfahren. „Ich hätte mir gewünscht, dass sich jemand von der Behörde bei mir vorstellt und mir sagt, wer mein Ansprechpartner bei Rückfragen ist“, meint Ronald Fiebelkorn. Jetzt habe er zumindest die Zusicherung, er könne sich immer melden, wenn es in Benneckenstein zu Unstimmigkeiten kommen sollte.

Die Eingewöhnungsphase lief aber auch auf Seiten der Zast nicht ganz glatt, wie Leiter Eckhard Stein zugibt. Mit der neuen Situation konfrontiert, sei es am Anreisetag zunächst zu Unruhen unter den Ankömmlingen gekommen. Bereits eine Woche später konnte er ein positives Fazit ziehen. Mithilfe seiner drei ständig vor Ort tätigen Sozialarbeiter sei es in wenigen Tagen gelungen, die notwendige Grundstruktur für die Betreuung zu schaffen.

Die Abläufe funktionieren mittlerweile, die Kommunikation sei Dank der hervorragenden Sprachkenntnisse der Betreuer kein Problem mehr, betont Stein. „Wir mussten mit den Leuten viel reden, um Verständnis und Vertrauen zu erreichen“, erzählt er.

Nach Angaben des Landesverwaltungsamts sind derzeit 32 Menschen in dem Aus- und Fortbildungsinstitut des Landes Sachsen-Anhalt in Benneckenstein untergebracht, in denen sich sonst Landesbedienstete während dort stattfindender Schulungen aufhalten. Die Migranten wohnen in getrennten Gebäuden und Zimmern. „Die Einhaltung von Abständen ist in dem Objekt gut möglich“, erklärt Denise Vopel.

Die Asylbewerber stammen aus verschiedenen afrikanischen und asiatischen Herkunftsländern, darunter aus Afghanistan, Eritrea, Kamerun, Iran, Namibia und Syrien. „Wir haben eine schwangere Frau mit ihrer Familie untergebracht. Bei den anderen Bewohnern handelt es sich ebenfalls um Familien mit Großeltern, Eltern, Jugendlichen und Kindern“, beschreibt die Amts-Sprecherin.

„Zirka 20 weitere, zwischenzeitlich untergebrachte Personen, konnten bereits in den Landkreis Börde, den Altmarkkreis Salzwedel und den Burgenlandkreis verteilt werden“, informiert Denise Vopel. Zast-Leiter Eckhard Stein bezeichnet die Situation als ein ständiges Kommen und Gehen, als vorübergehende Lösung, die der Entlastung der Halberstädter Einrichtung dienen soll.

Direkt aus der Hauptstelle kommen die Flüchtlinge allerdings nicht. „Nach Benneckenstein wurden die geheilten Personen und ihre Familien aus Quedlinburg verlegt, wenn sie einen negativen Abstrich nach den 14 Tagen ihrer Quarantäne vorweisen konnten“, heißt es in einer Information des Landkreises Harz. Nach Einschätzung des Gesundheitsamts gehe von ihnen keine Ansteckungsgefahr aus. Vopel: „Daher dürfen sie das Haus und Objekt verlassen. Für sie gelten die allgemeinen Covid-19-Verhaltensregelungen.“

Die Migranten können demnach ihren Tagesablauf frei gestalten und beispielsweise selbst einkaufen gehen. Es wurde extra ein Kochzelt eingerichtet. Ansonsten werde das Essen aus Halberstadt angeliefert. Für die Sicherheit sorgen unterdessen vier professionelle Wachmänner.

Wie lange das Institut noch als Liegenschaft der Zast genutzt werde, könne das Landesverwaltungsamt momentan nicht absehen. Das hängt laut Denise Vopel vom Bedarf ab, weiterhin Asylsuchende unterzubringen. Gleichzeitig solle jedoch die Wiederaufnahme des Schulungsbetriebs möglichst nicht verzögert werden, die vor Ende Mai aber nicht erfolge.

Egal, wie lange die Asylsuchenden noch in Benneckenstein bleiben, Ortsbürgermeister Kay Rogge ist sich sicher, dass der Großteil der Benneckensteiner sie willkommen heißt. „Wir sind im Ort nicht ausländerfeindlich. Es gibt nur leider immer ein paar Leute, die aus der Reihe tanzen und nicht den Schneid haben, ihre Meinung offen kund zu tun und am politischen Diskurs teilzunehmen“, zeigt er sich noch immer empört über die volksverhetzende Botschaft am Garagenkomplex nahe der Unterkunft. „Wir sind ein Touristenort und nicht irgendein Bahnhof, wo man seine Meinung an die Wand schreiben kann.“

Dass es auch anders geht, zeige die Vergangenheit. „Als die große Flüchtlingswelle aus Syrien kam, haben wir 2016 in Benneckenstein zwei Familien aufgenommen. Sie haben im Pfarrhaus gewohnt, einer der Jungs hat mit meinem Kleinen zusammen in der Fußballmannschaft gespielt. Sie waren gut integriert und es gab keine Probleme“, blickt er zurück. Diese Einstellung wünsche er sich auch jetzt. Auch wenn die Menschen aufgrund der ungewohnten Lage während der Corona-Krise vielleicht etwas sensibler auf Veränderungen reagieren.