Frauenhaus Im Frauenhaus Wolmirstedt werden zunehmend Kinder betreut
Wolmirstedt (gi)
Es könnte eine gute Nachricht sein: Die Frauenhäuser Sachsen-Anhalts sind auch im Zuge der Corona-Pandemie nicht überfüllt. Auch das Wolmirstedter Frauenhaus ist längst nicht voll belegt. Zurzeit leben dort vier Frauen und acht Kinder. Platz wäre für fast doppelt so viele, für acht Frauen und 13 Kinder. Doch die Nachricht der halben Auslastung ist nicht gut, denn sie bedeutet nicht, dass es weniger Gewalt in der Familie gibt. Die geringe Belegung deutet darauf hin, dass Frauen weniger Gelegenheit haben, Hilfe zu suchen.
Im Ministerium für Justiz und Gleichstellung wird diese Entwicklung mit Sorge betrachtet. Angespannte und von Gewalt geprägte Beziehungen werden im Lockdown eher verschärft. Die Frauen seien isoliert, können sich aus dem Freundeskreis kaum Hilfe holen. Telefon und Handy werden mitunter vom Partner überwach, somit ist auch der fernmündliche Weg ins bundesweite Hilfetelefon, zur Polizei oder in ein Frauenhaus versperrt. Auch die Kinder geraten in Folge geschlossener Schulen zunehmend aus dem Blickfeld. Dem Ministerium ist bewusst: „Es gibt in der Pandemie weniger Sozialkontrolle durch Schule, Freunde, Verwandte und Ärzte.“
Corona und Lockdown kratzen an der Psyche
Gerade unter diesen Umständen komme den Frauenhäusern vor Ort eine besondere Bedeutung zu. Sie verfügen über ein funktionierendes Netzwerk und so findet manche Frau trotzem den Weg dorthin. Zumindest übers Telefon. Wladilena Engelbrecht, Teamleiterin im Wolmirstedter Frauenhaus weiß: „Die telefonische Beratung nutzen derzeit zunehmend Frauen, die schon einmal im Frauenhaus Hilfe bekommen, die bereits eine Trennung geschafft, Arbeit gefunden haben.“ Sie hatten sich gerade ins eigenständige Leben gekämpft, dann kam Corona. „Wir merken“, sagt Wladilena Engelbrecht, „wie die Situation an der Psyche kratzt.“ Depressionen seien zunehmend Thema, aber auch Trennungsgedanken derjenigen, die noch in der gewalttätigen Beziehung leben. Häusliche Enge und Suchtprobleme verschärfen schwierige Situationen.
Immer mehr Migrantinnen suchen Schutz vor Gewalt
Doch es gibt eine weitere Entwicklung, die Aufmerksamkeit benötigt: Zunehmend suchen Migrantinnen und ihre Kinder Zuflucht. Die Zahlen für alle 19 Frauenhäuser Sachsen-Anhalts sprechen eine deutliche Sprache. Seit Beginn der sogenannten Flüchtlingswelle 2015 hat sich die Zahl der schutzsuchenden Migrantinnen Jahr um Jahr kontinuierlich erhöht, inzwischen fast verdoppelt. Suchten 2015 noch 119 Frauen mit Migrationshintergrund in einem sachsen-anhaltinischen Frauenhaus Schutz, waren es 2019 bereits 228. Zahlen für 2020 werden noch ermittelt.
Diese Tendenz spürt auch das Wolmirstedter Frauenhaus. Mehr Migrantinnen bedeuten auch mehr Kinder. Von den 38 Kindern, die im vergangenen Jahr im Frauenhaus Schutz fanden, hatten nur fünf keinen Migrationshintergrund. Das erforderte besonders im Corona-Jahr eine besondere Kraftanstrengung für die Mitarbeiterinnen.
Kinder werden im Homeschooling unterstützt
„Wir haben die Kinder so gut es ging beim Homeschooling unterstützt“, sagt Wladilena Engelbrecht. Das bedeutete, jeden Tag mit den Kindern die Schulaufgaben lösen, helfen, die Technik zu bedienen, damit Kinder online Kontakt zur Schule pflegen können. Die Mütter seien wegen fehlender Sprachkenntnisse dazu nicht immer in der Lage. Wladilena Engelbrecht und ihr Team geben viel für die Kinderbetreuung. „Aber eigentlich müssen wir den Frauen helfen.“
Dabei geht es um psychosoziale Betreuung, aber auch um Behördenangelegenheiten. „Wir helfen, einen Asylantrag zu stellen, kümmern uns mit um die erforderlichen Formalitäten, wenn ein Baby geboren wird und übersetzen Zeugnisse“, zählt Wladilena Engelbrecht auf. Die Mütter sollen wissen, wie ihre Kinder in der Schule zurecht kommen. Trotzdem: Bei soviel Engagement für die Kinder dürfen die Frauen nicht auf der Strecke bleiben. Sie sollen gestärkt aus dem Frauenhaus herausgehen, sich womöglich aus der gewalttätigen Beziehung lösen oder auch dafür sorgen, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten. Doch für Frauen bleibt wenig Zeit, wenn die Kinder alle Aufmerksamkeit fordern.
Doch nicht mit allen Problemen muss das Frauenhaus-Team selbst fertig werden. Zeigen Kinder besonders auffälliges Verhalten oder liegt eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung vor, gibt es Hilfe eines mobilen Teams. Das besteht aus zwei Psychologinnen und wird vom Justiz- und Gleichstellungsministerium finanziert. Das Wolmirstedter Frauenhaus ist einer der fünf Projektpartner und nimmt die Hilfe des mobilen Teams regelmäßig an. Doch auch für den Alltagstrubel gibt es Hoffnung.
Erzieher dringend gesucht
„Seit dem 1. April haben wir eine Erzieher-Vollzeitstelle bekommen“, sagt Wladilena Engelbrecht. Noch ist sie nicht besetzt, aber die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses hoffen, dass sich bald Bewerber finden. Vorerst erlebten sie durch die Hilfe der Praktikantin Melanie, wie sich die Situation im Frauenhaus entspannt, wenn sich jemand ausschließlich mit den Kindern beschäftigt. Die Studentin der Erziehungswissenschaften hat mit den Kindern gebastelt, gespielt, gesungen. Das entlastete die Mütter, aber auch die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses. „Wir haben seit Langem eine Erzieherstelle gefordert, nun hat sich die Landkreisverantwortliche Andrea Watteroth dafür stark gemacht. Erfolgreich.“ Fehlt nur noch jemand, der die Herausforderung annimmt. Wladilena Engelbrecht hofft, dass sich schnell jemand findet. Besonders jetzt ist jede Hilfe nötig, denn noch kann niemand sagen, wie lange die Schulen offen bleiben. Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht vorbei.