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Museum Werkzeuge geben Geheimnis preis

Das Museum auf der Wolmirstedter Schlossdomäne birgt viele Geheimnisse.

Von Gudrun Billowie 04.05.2020, 01:01

Wolmirstedt l Was, bitteschön, macht eigentlich ein Sattler? Der Name verrät: Er fertigt Sattel an. Die brauchen Reiter, wenn sie auf Pferderücken sitzen. Das Material der Sattler ist das Leder. Auch wer kein Pferd hat, kann von der Kunst der Sattler profitieren und schöne Gürtel oder Taschen bekommen. Aber wer weiß heute noch, wie Sattler wirklich arbeiten, welches Werkzeug sie benutzen? Wer einen Sattel braucht, kauft ihn im Fachhandel oder bestellt im Internet. Die Sattlereien sind aus dem öffentlichen Leben längst verschwunden. Und doch: Im Wolmirstedter Museum auf der Schossdomäne bleibt die Tradition des Handwerks sichtbar. Im Erdgeschoss steht die Werkstatt des Sattlers Karl Henniges wie vor einhundert Jahren.

Jörg Bonewitz hat aus dem großen Werkzeugfundus Metallteile gegriffen und aufgereiht, die entfernt an Patronenhülsen erinnern. „Was ist das?“, fragt er und grinst geheimnisvoll. „Wir wussten lange nicht, was sie zu bedeuten haben“, gesteht Museumsleiterin Anette Pilz, „jetzt haben wir recherchiert, dass es Locheisen sind.“ Damit wurden beispielsweise Löcher in Gürtel gestanzt, lange Löcher, runde Löcher, große Löcher, kleine Löcher... für jedes Loch gibt es ein eigenes Eisen.

Sobald das Museum wieder öffnen darf, können sich Besucher von solchen Erkenntnissen persönlich überzeugen. Die besucherfreie Zeit während der Corona-Pandemie lässt den Museumsmitarbeitern Zeit, weitere Geheimnisse dieses Berufsstandes zu lüften.

„Besonders Kinder sind an den alten Werkstätten interessiert“, weiß Anette Pilz, „sie wissen oft gar nicht mehr, wozu alte Handwerksberufe dienten.“ Doch damit sind sie nicht allein. Unter der Arbeit eines Stellmachers kann sich auch manch Erwachsener nichts vorstellen. Da hilft ein Blick in die alte Stellmacherwerkstatt, die Wilhelm Flemming aus Calvörde dem Museum vermacht hat. Dort steht sogar eine preisgekrönte Bandsäge. Eine echte „Kirchner“, die im Jahre 1900 auf der Weltausstellung in Paris eine Goldmedaille gewonnen hat. Mit dieser Bandsäge lassen sich Rundungen sägen, wie sie beispielsweise bei Wagenrädern gebraucht werden.

Das Museum verfügt über viele historische Werkzeuge und Maschinen, arbeitet aber längst auch digital. Die unzähligen Bilder, Orden, Münzen, Werkzeuge, Schriften oder Haushaltsutensilien werden fotografiert, genau beschrieben und ins Internet gestellt. So können Interessenten auf der ganzen Welt sozusagen auf dem Dachboden des Wolmirstedter Museums stöbern.

Dieses Online-Museum funktioniert in der Corona-Krise noch besser als zuvor. Neuerdings melden sich noch mehr Menschen, jüngst boten Leute aus Stralsund oder Rumänien Sammlerstücke an. „Manche räumen ihre Dachböden auf und finden dabei Dinge, die mit Wolmirstedt zusammenhängen“, erklärt Anette Pilz, „Museumsschriften, Verwundetenabzeichen oder Orden.“

Die Schenkungen werden gerne angenommen, derzeit kommen sie gerade recht. Die Museumsmitarbeiter können ihnen sofort den rechten Platz zuweisen. In Vor-Corona-Zeiten galt die meiste Aufmerksamkeit den Besuchern, nun können die Museumsmitarbeiter neue Stücke nicht nur „schnell mal“ ins Inventarbuch schreiben, sondern es gleich historisch einordnen, beschreiben und im Internet präsentieren.

Das Internet macht auch den Kontakt zu Menschen möglich, die mit der Geschichte des gestrandeten Zuges in Verbindung stehen. Gerade hat Museologin Susanne Oehme ein Foto aus dem Jahr 1945 gefunden, das ihr noch nicht bekannt war. Es zeigt Menschen an der ehemaligen Kaserne in Hillersleben, dort wurden Überlebende des Zuges, der im April 1945 in Farsleben gestrandete war, wochenlang versorgt.

„Der Fotograf dieses Bildes lebt offenbar noch“, hat Susanne Oehme vor kurzer Zeit erfahren. Sie hatte nach dem Urheber des Bildes geforscht, hat dabei dessen Tochter gefunden und die schrieb, dass ihr Vater 98 Jahre alt sei und in Manhattan lebt. Nun wartet die Museumsmitarbeiterin jeden Tag darauf, dass er der Veröffentlichung des Bildes zustimmt.

Die Ausstellung zum gestrandeten Zug sollte am 16. März im Beisein vieler Überlebender eröffnet werden. Doch noch sind die Ausstellungsvitrinen nicht geliefert worden. Verzögerungen gibt es wegen der Corona-Krise. Der Raum ist frisch gestrichen, aber leer. Sobald die Ausstellung steht und Corona nicht dagegenspricht, wird die Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Doch da steht noch so vieles in den Sternen. Anette Pilz und ihr Team sehen es positiv: „Wir haben viel Zeit, unseren Bestand aufzuarbeiten.“