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Margarete Voigt vom Bund der Vertriebenen reist nach Ostpreußen und erzählt im Radio ihre Geschichte Mutter und Tochter kehren an Ort der Vertreibung zurück

15.10.2010, 04:16

Wolmirstedt (cl). 1945 waren Millionen Deutsche auf der Flucht. Im heutigen Sachsen-Anhalt machten die Neu- ankömmlinge rund ein Viertel der Bevölkerung aus. Zunächst wurden sie beschimpft als Zigeuner und Habenichtse. Durch ihre Arbeit schufen sie sich aber nach und nach Respekt und Anerkennung.

Geschichten von Flüchtlingen und Vertriebenen erzählt MDR 1 Radio Sachsen-Anhalt im 65. Jahr nach Kriegsende. Ab 17. Oktober sind die ausführlichen Reportagen jeweils sonntags zwischen 13 und 14 Uhr zu hören. Den Anfang macht die persönliche Geschichte von MDR-Reporterin Margitta Häusler. Im Juli reiste sie zum ersten Mal mit ihrer Mutter Margarete Voigt zusammen in deren alte Heimat und merkte: Der Landstrich ist ihr nicht fremd. Auch sie fühlt sich berührt von der Heimat ihrer Mutter.

Margarete Voigt wurde im März 1938 in Ostpreußen geboren, in Rawusen am Fluss Passarge. Das kleine Dorf liegt etwa 20 Kilometer von Braniewo – dem ehemaligen Braunsberg – entfernt. Die russische Grenze ist sehr nah.

Im Januar 1945 fliehen zwölf Angehörige der Familie gemeinsam über das zugefrorene Haff nach Danzig. Der Stiefvater von Margarete Voigt stirbt dort. Die anderen laufen wieder zurück nach Braunsberg, das inzwischen zerbombt ist. Als auch der Großvater stirbt, sind vier Frauen und sechs Kinder auf sich allein gestellt. Sie leben bis Dezember 1946 in einem ehemaligen Gestüt, bis sie ein Zug fortbringt und in Magdeburg "ausspuckt". Wie es das Schicksal so will, werden ihre Waggons irgendwo auf der Strecke abgekoppelt, während der Rest des Zuges bis nach Peine fährt.

Von Magdeburg geht es auf einem Lkw nach Rogätz, wo die Frauen und Kinder am 23. Januar 1947 eintreffen. Sie kommen mit kaum mehr als dem, was sie am Leibe trugen, in der Fremde an. Margarete Voigt weiß noch, dass sie ein Sommerkleid mit einem schwarzen und einem braunen Schuh anhatte. Waren die Vertriebenen in Braunsberg "die Faschisten", wurden sie in Rogätz plötzlich als "Polacken" bezeichnet. In der neuen Heimat durften die Kinder endlich eine Schule besuchen. Sie freunden sich mit Gleichaltrigen an. Die Mutter von Margitta Häusler ist unterernährt und erkrankt an TBC, was sich 30 Jahre später gesundheitlich noch einmal bemerkbar macht. Später absolviert sie in Magdeburg ein Fernstudium zur Horterzieherin und Unterstufenlehrerin und wird Leiterin eines Lehrlingsinternates in Zielitz und Wolmirstedt.

Heute ist Margarete Voigt Rentnerin, lebt in der Ohrestadt und steht seit etwa 15 Jahren der Ortsgruppe Wolmirstedt des Bundes der Vertriebenen vor. Einmal im Monat treffen sich die gebürtigen Ost- und Westpreußen, Pommern und Schlesier in den Räumen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in der Bahnhofstraße. Außerdem engagiert sich Margarete Voigt in der Volkssolidarität, malt und schreibt über ihre Kindheit, um das Erlebte zu bewältigen.

Die gemeinsame Reise war ein wichtiger Schritt der Annäherung von Mutter und Tochter. "Ich kann gar nicht beschreiben, wie glücklich ich mich gefühlt habe, dass das alles wieder mit Leben erfüllt wurde", so eine ergriffene Margarete Voigt nach dem Besuch in ihrem Geburtsort.

Die Beiträge der neuen Hörfunk-Sendereihe sind auch im Internet nachzuhören:

www.mdr.de/mdr1-radio-sachsen-anhalt