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  7. "Produktives Lernen" ermöglicht Schülern den Hauptschulabschluss zu erreichen

Angebot der Leibniz-Sekundarschule Wolmirstedt ist für manche Schüler der letzte Strohhalm "Produktives Lernen" ermöglicht Schülern den Hauptschulabschluss zu erreichen

Von Gudrun Billowie 03.05.2013, 03:21

Mit dem Projekt "Produktives Lernen" hilft die Leibniz-Sekundarschule Wolmirstedt Mädchen und Jungen, denen der reguläre Schulbetrieb fremd erscheint, doch noch einen Abschluss zu schaffen. Die Erfolgsquote liegt bei gut 80 Prozent.

Wolmirstedt l Carsten Schiller ist 16 Jahre alt und arbeitet gern an der frischen Luft. Der Ebendorfer hat einen Ausbildungsplatz als Landschaftsgärtner ergattert und damit das große Los gezogen. Anders als bei Losen in Lotterien hat Carsten Schiller diesen Gewinn allerdings nicht durch Glück bekommen. Der Ausbildungsvertrag ist das Ergebnis fleißiger Arbeit eines jungen Aufsteigers und eines besonderen Bildungsweges.

"Produktives Lernen" heißt dieser Bildungsweg, der an der Leibniz-Sekundarschule in Wolmirstedt angeboten wird. Für Mädchen und Jungen des Altkreises Haldensleben, denen der reguläre Schulbetrieb fremd erscheint, kann das "Produktive Lernen" den berühmten rettenden Strohhalm bedeuten. Jugendliche, die schon lange nicht mehr regelmäßig zur Schule gegangen sind, oder denen Bier wichtiger war als Biologie, können die achte und neunte Klasse absolvieren und den Hauptschulabschluss erkämpfen.

Carsten Schiller ist regelmäßig zur Schule gegangen und mag auch kein Bier. Ihm war der Schulbetrieb aus anderen Gründen suspekt. Der Junge hat eine Lese-Rechtschreibschwäche, die es ihm schwer macht, Theorie in schriftlicher Form zu erfassen und wiederzugeben. Carsten hat aus der Not eine Tugend gemacht. "Ich bin eher praxisbezogen", sagt der 16-Jährige und seine Mutter Heike bestätigt, dass er schon als Kind gut mit Werkzeugen umgehen konnte. Dennoch wollte Carsten einen Hauptschulabschluss versuchen. Und das "Produktive Lernen" scheint für ihn maßgeschneidert zu sein. "Es ist die einzige Möglichkeit, dass mein Sohn einen Schulabschluss bekommt", sagt Heike Schiller, "er kann seine handwerklichen Fähigkeiten in einem Betrieb beweisen."

Drei Tage pro Woche arbeiten die Schüler in einem Praxisbetrieb ihrer Wahl, zwei Tage lernen sie in der Schule. Drei Arbeitstage pro Woche lassen die meisten erkennen, wofür sie die Theorie brauchen. "Plötzlich nehmen sie die Schule gerne in Kauf und arbeiten gut mit", hat Sabine Jahnel beobachtet. Die Lehrerin leitet das "Produktive Lernen" (PL) an der Leibniz-Schule und betreut zusammen mit Ralf Rothe, Michael Bergmeier und Christine Bauherr die achte und neunte PL-Klasse. Manche Schüler müssen sie trotz aller Bemühungen wieder ziehen lassen. "Aber mindestens 80 Prozent schaffen am Ende den Hauptschulabschluss", sagt Sabine Jahnel, "die meisten finden aufgrund ihrer Kontakte zu den Betrieben einen Ausbildungsplatz."

Während des Praktikums kann der Betrieb beim Schüler Qualitäten erkennen, die ein Zeugnis gar nicht erfassen würde und im besten Falle stehen nicht mehr allein die Noten im Vordergrund. "Aus unserem ersten Jahrgang sind alle in Arbeit", sagt Sabine Jahnel.

Drei Monate dauert das Reinschnuppern in einen Betrieb, dann suchen sich die Jugendlichen den nächsten. Der Wechsel erweitert den Horizont. "Für manche stand schon felsenfest fest, dass sie Gärtner werden, und plötzlich entdecken sie einen Metallbauberuf für sich", sagt Sabine Jahnel, "weil ihnen der entsprechende Praktikumsbetrieb gut gefallen hat und sie sich vorher unter einem Metallberuf gar nichts vorstellen konnten."

Carsten Schiller ist schon zum dritten Mal bei der Meitzendorfer Garten- und Landschaftsbaufirma Haltern und Kaufmann. Es ist der Betrieb, in dem er schon nach dem ersten Mal bleiben wollte. "Die Praktika sind für uns als Betrieb auch angenehm", sagt der Technische Betriebsleiter Tilman Glauer, "wir hatten viel Zeit, Carsten kennenzulernen".

Glauer weiß um die besonderen Herausforderungen, denen sich Carsten während der dreijährigen Ausbildung stellen muss und will ihm nichts schenken. "Gärtner reden nicht deutsch, sondern botanisch", erklärt Tilman Glauer, "sie müssen 500 Pflanzen kennen, auf deutsch und botanisch richtig schreiben. Da ist viel Fleiß gefragt."

Unterstützung für Jungs wie Carsten gibt es dennoch. "Auszubildende mit einer Lese-Rechtschreibschwäche können auf Antrag mündlich geprüft werden", sagt der Technische Betriebsleiter. Auch Heike Schiller wird ihrem Sohn helfen. Carsten freut sich darauf, die Ausbildung durchzuziehen, später Spielplätze zu bauen oder Gärten anzulegen. "Vor allem freue ich mich darauf, endlich Maschinen wie Bagger oder Gabelstapler zu bedienen", sagt er.

Heike Schiller ist froh. "Das Produktive Lernen ist für Carsten womöglich die einzige Chance, später ein eigenständiges Leben zu führen." Einen nächsten Schritt in ein eigenständiges Leben hat Carsten bereits fest im Blick. Er will den Mopedführerschein machen, damit er von Ebendorf gut in seinen Meitzendorfer Betrieb und zur Berufsschule nach Haldensleben kommt.

Wer mehr über das Produktive Lernen erfahren möchte, ist am Dienstag, 28. Mai, um 19 Uhr in die Leibniz-Schule Wolmirstedt zu einer Informationsveranstaltung eingeladen.