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Rassetauben Vor der Schau geht’s zur Kosmetik

Bei Geflügelschauen stellen Züchter ihre Tiere in Gehegen aus und lassen sie begutachten. Was halten Tierschützer davon?

12.10.2019, 23:01

Wolmirstedt l Heinz Fischer hat seine Tauben immer fest im Blick, doch zurzeit beäugt er seine Tiere kritischer. Ist die Federzeichnung ebenmäßig, sind die Augen klar, die Haltung stolz? Kurz: Entspricht das Tier dem Lehrbuch-Standard? Die Bilderbuchtauben der Voliere werden hergerichtet und am ersten Novemberwochenende in der „Glucke“ ausgestellt. Was sagen Tierschützer dazu?

Otfried Müller ist Vorsitzender des Wolmirstedter Tierschutzvereins und kennt Rasseschauen. „Dass ich solche Ausstellungen gut finde, ist sicherlich zu viel verlangt“, sagt er, „aber es ist in Ordnung, wenn die Bedingungen der Tierhaltung eingehalten sind und Halter den Ausstellungsbetrieb nicht übertreiben.“

Heinz Fischer ist Vorsitzender des Wolmirstedter Geflügelzuchtvereins vom Jahre 1909. Die Züchter fiebern der Schau im 110. Jahr des Vereinsbestehens entgegen. Die Tiere werden nach und nach an die Käfighaltung gewöhnt, auch daran, dass der Preisrichter mit einem Stab womöglich den Schwanz hebt.

„Damit“, meint Otfried Müller, „können Tiere leben.“ Er setzt auf Augenmaß, hält ein bis zwei Ausstellungen pro Jahr für akzeptabel, solange die Tiere nicht zusammengepfercht oder brütender Sonne ausgesetzt sind.

Tierfreundliche Bedingungen sind für die Wolmirstedter eine Frage der Züchterehre. Der Ausstellungsraum in ihrem Vereinsheim „Glucke“ wird gut belüftet, die Gehege sind vorschriftsmäßig groß, es gibt immer Verantwortliche, die danach schauen, ob die Tiere bei Wasser und Futter in einem sauberen Stall sitzen. Sie sind sich zudem der Kontrolle gewiss. „Zu uns kommen ja viele andere Züchter, die natürlich darauf achten, dass bei uns alles in Ordnung ist.“ Auch Tierärzte haben solche Schauen im Blick.

Bevor die Tiere präsentiert werden, dürfen sie zur Kosmetik. Dabei wird die Federzeichnung geputzt, Ziel ist das Idealbild. Putzen der Taube bedeutet beispielsweise: Wächst eine schwarze Feder zu weit in den weißen Bereich hinein, wird sie kurzerhand abgeschnitten. Die Taube lässt sich das kommentarlos gefallen. Manche Züchter zupfen die Feder heraus, das vergleicht Heinz Fischer mit dem Zupfen eines Haares beim Menschen. Ziept kurz, aber geht vorbei.

Auch die Füße werden aufgehübscht. Heinz Fischer salbt sie entweder mit Melkfett oder Ringelblumensalbe glänzend. Andere Züchter reiben sie mit Schnaps ein. Das regt die Durchblutung an, die Farbe der Füße wird intensiver. Legale Tricks, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Die kosmetische Behandlung der Tiere wird in einem Zuchtbuch vermerkt, damit der Züchter seine eigenen Tricks nicht vergisst und weiß, welches Männchen und Weibchen er zur Paarung zusammensperren möchte.

Dürfen sich die Tauben denn ihren Liebespartner nicht selbst wählen? „Die Zuchttauben nicht“, lacht Heinz Fischer. Bei ihnen regiert der Züchter über Liebesfreud oder -leid. Er hat tatsächlich schon erlebt, dass sich zwei Tiere, von denen er sich den schönsten Nachwuchs erhoffte, nicht angeschaut haben, lieber mit den Täubchen im Nachbargehege turtelten. „Am Ende hat es dann doch immer funktioniert.“ Offenbar siegte der Drang nach Vermehrung über die Sympathie.

Den Lohn streicht am Ende der Züchter ein. Wenn es gut läuft und der Nachwuchs tatsächlich der Lehrbuchtaube, dem Rassestandard, sehr nahe kommt, vergibt der Preisrichter die höchste Note „Vorzüglich“. Läuft es noch besser, wartet der Titel „Vereinsmeister“. Dafür gibt es Pokale, Urkunden. „Und“, sagt Heinz Fischer, „´n Haufen Ehre.“

Zum Wolmirstedter Verein gehören 45 Mitglieder, das Durchschnittsmitglied ist 68 Jahre alt, etwa die Hälfte ist aktiv. Nachwuchs findet nur selten dorthin. Was passiert, wenn niemand mehr Tauben oder Kaninchen züchtet, niemand mehr daran interessiert ist, den Rassestandard zu halten? „Alte Rassen sind ja auch ein Kulturerbe“, sagt Heinz Fischer, „das wäre ohne die Züchter verloren.“

Wie sich Rassen auseinander entwickeln, hat Heinz Fischer anhand seiner Lieblingstauben, der Deutschen Strasser, während der deutschen Teilung erlebt. In beiden Ländern haben sich unterschiedliche Zuchtlinien entwickelt. Mittlerweile sind sie wieder vereint. Tauben aus Ost und West folgen wieder einem Standard. „Beim Grundtyp hat sich der Westen durchgesetzt, die Feinheiten kommen von uns.“