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Niedrigwasser Wenn der Pegel fällt kommen Schatzsucher

Extremes Niedrigwasser lockt Schatzsucher an die Ohreeinmündung der Elbe bei Rogätz. Sie suchen einen preußischen Schatz.

Von Christian Besecke 02.08.2018, 01:01

Rogätz l Die Geschichte um die verlorenen Regimentskasse haben Margitta Häusler und Rolf Huth von den Heimat- und Kulturfreunden Rogätz vor einigen Jahren im Gutsarchiv, welches heute in Wernigerode lagert, wieder entdeckt. „Dabei handelt es sich um eine dicke alte Akte, die Züge eines Kriminalromans trägt“, erläutert die Vorsitzende des Vereins.

Sie und ihr Stellvertreter Rolf Huth haben den kompletten Hergang gesichtet und aufgearbeitet. Dazu war eine gehörige Kenntnis der alten deutschen Schreibschrift notwendig. Beide sind in der Lage, seinerzeit auch reichlich dahin geschmierte Notizen und Berichte zu entziffern. „Letztendlich macht das Spaß“, sagt die Vorsitzende. „In dem speziellen Fall kam auch noch viel Spannung dazu. Wir wollten wissen, wie der Fall ausgegangen ist.“

Fakt ist, die Regimentskasse verschwand im Jahr 1745 spurlos in den Fluten der Elbe und ward seitdem nicht mehr gesehen. Es sollen sich 7200 Reichstaler in ihr befunden haben. Die Summe beflügelt seit der Veröffentlichung der Geschichte vor ein paar Jahren die Fantasie der Menschen. Der reine Wert des Geldes lässt sich nicht genau umrechnen. Als Minimalsumme können erst einmal weit über 200.000 Euro angenommen werden. „Manch ein Sammler würde wohl schon ein Vermögen für ein paar Taler geben“, schätzt Margitta Häusler ein.

Die Vereinsvorsitzende hat in diesen Tagen schon mehrfach Neugierige an der Ohremündung verstohlen umherschleichen sehen. „Wenn ich auf dem Eulenturm bin, dann geht der Blick nahezu automatisch in den Bereich der Ohremündung“, erzählt sie schmunzelnd. „Ich weiß natürlich, dass die Chance einer Entdeckung der Kasse nahezu gegen null geht. Man kann aber nie wissen.“ Genau das denken sich die Hobby-Schatzsucher auch. Auch ihren Mitstreiter Rolf Huth hat sie erst kürzlich nahe der Landzunge, welche seinerzeit als „Alvenslebische Spitze“ bezeichnet wurde, beobachtet. „Da habe ich mir so gedacht: Na, was machst du denn da“, verrät sie lachend. „Es ist völlig klar, auch ihn lässt die alte Geschichte nicht kalt. Schließlich sind wir im Verein ja alle Heimatforscher und wollen Dinge ergründen.“

Während sie beim Volksstimme-Vor-Ort-Termin davon erzählt, nähert sich ein kleines Boot. An der Spitze hockt ein Mann und beobachtet aufmerksam das Niedrigwasser. Die Besatzung ist offensichtlich auf Schatzsuche.

„Es gibt Leute, die hier regelmäßig das Gelände und den Fluss erkunden“, berichtet Margitta Häusler. „Ich denke aber, der Fall ist seinerzeit ganz anders gelaufen. Das hält mich aber nicht ab, hin und wieder einen Blick zu riskieren.“ Sie lässt sich nicht lange bitten und erzählt die ganze Geschichte, die Rolf Huth und sie der alten Akte entnommen haben.

Der Betrieb der Rogätzer Fähre lässt sich schriftlich bis in das Jahr 1400 nachvollziehen. Seit die Ohre im 13. Jahrhundert in die Elbe mündete, gab es auch eine Fähre unterhalb des Klutturms. Die Fährten verkehrten überwiegend unfallfrei, bis zum 4. Januar 1745. Seinerzeit bestand Quartiermeister Schmidt vom preußischen Leibregiment zu Pferde darauf, zur Alvenslebischen Spitze übergesetzt zu werden. „Anwesend waren die Fährknechte Christoph Kater, Jacob Stutzer und Johann Heinrich Gabriel“, beschreibt die Vorsitzende die Situation. Der in Alvensleber Diensten stehende Fährmann Joachim Gideon Lenthe war eben nicht zugegen.“

Die drei Knechte weigerten sich zunächst, die an diesem Tag stürmischen Fluten zu befahren. Nach wüsten Beschimpfungen änderten sie jedoch ihre Meinung. Zu überwinden waren gut 110 Meter bis zu der genannten Spitze. Von hier aus gab es einen Schleichweg in Richtung Heinrichsberg. Diesen wollte der Quartiermeister nutzen. Der Pfad wurde seinerzeit von vielen Reisenden gewählt. Bei Heinrichsberg setzten diese dann über die Elbe und zogen weiter nach Niegripp.

Das Übersetzen gelingt den Knechten an diesem Tag recht gut. Als die Kutsche dann anruckt, um am jenseitigen Ufer von der Fähre zu rollen, bricht ein Staken. Das komplette Gefährt wird herumgerissen und um die Buhne (Landzunge) zwischen Ohre und Elbe gezogen. Der Quartiermeister und sein Neffe springen herunter und ergreifen einen „dicken Strang“. Aber ihnen und den Knechten gelingt es nicht, die Fähre zu halten. Sie wird zum jenseitigen Ufer über den Fluss getrieben und das Elbwasser überspült sie. Die drei Pferde, die Kutsche und einige Koffer gehen über Bord - mit ihnen wohl auch die schwergewichtige Regimentskasse.

„Die Sache hat für alle ein Nachspiel“, berichtet die Heimatforscherin weiter. „Die 7200 Reichstaler waren gewiss kein Pappenstiel.“ Die Sache wird zu einem Politikum, denn Regimentskommandeur Generalleutnant von Wreech schreibt nur zwei Wochen später an den Domherren von Alvensleben, dieser möge die Summe ersetzen, denn sein Fährmann sei an dem ganzen Unfall schuld. Einen Prozess wollen beide Seiten jedoch offensichtlich vermeiden – es wird vielmehr ein Vergleich angestrebt.

Eine Untersuchungskommission soll sich der Sache annehmen und dazu wird Preußenkönig Friedrich der Große höchstselbst ins Boot geholt. Er soll den Termin zur „Eröffnung der Commission“ bestimmen. Schon am 9. März 1745 tagt diese und behandelt den Fall ausführlich. Letztendlich wird festgestellt, dass niemandem der Verlust vorgeworfen werden könne. Der König bestimmt, dass die Staatskasse für den Schaden aufkommt.

Fährmann Joachim Gideon Lenthe kommt nicht so glimpflich davon. Er verliert den Pachtvertrag über Fähren und Fischerei und muss sogar für 190 Taler eine neue Fähre bauen lassen. „Ich glaube ja, dass der Quartiermeister hinter der ganzen Sache steckt und die ganze Aktion mutwillig geschehen ist“, schließt Margitta Häusler ihre Ausführungen. Die ganze Geschichte und ihre Variante des historischen Kriminalfalls erzählt sie Besuchern des Klutturms gern persönlich.