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Bildung Zielitz: Was der Geruch von Papier mit Leseförderung zu tun hat

Wer meint, dass die Bibliothek Zielitz im Sommer weniger besucht wird, der irrt gewaltig. Bibliotheksleiterin Ronni Wagner verrät im Interview die Vorlieben der Besucher und ihren lang gehegten Wunsch.

Von Norma Deneke 26.07.2023, 14:58
Die Bibliothek bietet mehr als Bücher, wie hier mit den Hortkindern beim Literaturprojekt „Oh wie schön ist Panama“.
Die Bibliothek bietet mehr als Bücher, wie hier mit den Hortkindern beim Literaturprojekt „Oh wie schön ist Panama“. Foto: Bibliothek Zielitz

Zielitz - Von wegen Sommerflaute. In der Bibliothek Zielitz ist davon nichts zu spüren – im Gegenteil. Die Volksstimme fragte bei Bibliotheks-Leiterin Ronni Wagner zu den Vorlieben der Besucher und ihren Wünschen für „ihre“ Bibliothek nach:

Seit wann gibt es die Bibliothek Zielitz?Das habe ich 2009 auch schon einmal herausfinden wollen, als ich meine Rede zur Einweihung des Bibliotheksneubaus am 16. Mai vorbereitete. Aber auch die Befragung von „Alt“-Zielitzern brachte keine eindeutige Antwort. Es gab, so lange sie denken können, immer eine Bibliothek in Zielitz, die mal hier oder mal da untergebracht war. Je nachdem, wo gerade Platz war. Dieses Los teilten vor der Wende viele kleine Dorfbibliotheken. Beinahe jedes Dorf hatte seine eigene Bibliothek. Nach der Wende wurden etwa 8000 Bibliotheken im Osten Deutschlands geschlossen.

Die heutige Bibliothek ist der erste Bibliotheksneubau in der Gemeinde. Also ein Gebäude, das ausschließlich als Bibliothek dienen sollte. Wir hatten damals riesiges Glück. Es gab vorher Pläne, die Bibliothek als Nebengebäude über etwa 150 Quadratmeter an die neue Turnhalle dran zu bauen. Da es dafür keine Fördermittel gab, wurde die Idee wieder verworfen: „Gott sei Dank“. Nur wenige Jahre später sollten genug eigene Mittel vorhanden sein, um im Zuge des Erweiterungsbaus der Sekundarschule eine Bibliothek fast dreimal so groß zu bauen.Was hat die Bibliothek neben Büchern noch zu bieten?Wir verleihen neben Büchern Gesellschaftsspiele, CDs, Konsolenspiele, Toniehörfiguren, Tonieboxen, Filme, Zeitschriften, Schallplatten, Hörstifte der Marken Ting, Tiptoy und Bookii. An pädagogische Einrichtungen verleihen wir Ipad-Koffer (16 Ipads), Kamishibai- und Tischschattentheater, Bee Bots (kleine Bienenroboter) und Podcast-Mikrofone.

Unsere Kunden können aber auch in der digitalen virtuellen Bibliothek „Onleihe“ Sachsen Anhalt 24 Stunden am Tag zwischen Büchern, Hörbüchern, Musik, Zeitschriften, Filmen und seit neuestem eLearning-Videokursen wählen. Bei Filmfriend, ein Video-on Demand-Filmportal, kann man Dokumentationen und tolle – auch preisgekrönte – Kinder- und Jugendfilme und Filme für Erwachsene streamen.

Wer möchte kann unsere vielseitigen Veranstaltung, Workshops und Arbeitsgemeinschaften für Menschen zwischen 0 und 99 besuchen: Zum Beispiel Lesenachmittage für Kinder, Lesenachmittage für junggebliebene Frohnaturen, Töpfern, Singekreis, Seminare, Abendveranstaltungen, Lesungen, Konzerte, Kabarett und vieles mehr.

Ich habe meine Wunschbibliothek als naive Skizze aufgemalt, habe erlebt, wie aus einer abstrakten Zeichnung ein Bauwerk entstand.

Ronni Wagner

Zu welchen Medien und Büchern wird derzeit besonders oft gegriffen?Kinder wählen aktuell 80 Prozent Bücher aus dem Projekt Lesesommer XXL, eine Sommerferien-Leseaktion des Landes Sachsen-Anhalt für Schüler zwischen 7 und 16 Jahren. Die Lesesommer-Bücher wurden von uns zusammengestellt und Fragen zum Inhalt dazu erarbeitet. Erfolgreiche Teilnehmer erhalten am Ende ein Zertifikat. Dafür bekommen sie im neuen Schuljahr die Eins in Deutsch eingetragen. Parallel dazu gibt es den Wettbewerb der Schulen. Die Schule mit den meisten erfolgreichen Teilnehmern bekommt 300 Euro, die Zweitplatzierte 200 Euro und der dritte Platz bekommt 100 Euro. In diesem Jahr müssen die Schulen ordentlich motiviert haben, wir werden an manchen Tagen förmlich überrollt. Die Abschlussveranstaltung findet am 8. September gemeinsam mit den Teilnehmern der Bibliothek Wolmirstedt im Bergmannssaal des Kaliwerkes statt.

Parallel dazu wird nach wie vor alles, was mit Minecraft zu tun hat, nachgefragt, Bauanleitungen und Geschichten, Mangaserien wie „Naruto“, Comics und Graphic Novels, Fortsetzungen der „Magischen Tiere“, preisgekrönte Bilder- und Kinderbücher. Die Eltern sind gut informiert.

Die Bandbreite, aus der erwachsene Leser wählen, ist ebenfalls riesig: Fortsetzungsromane, Krimiserien, Bestsellerliste hoch und runter, beispielsweise „Eine Frage der Chemie“, Marc Elsbergs „°C-Celsius“ oder „Das Café ohne Namen“ von Robert Seethaler.

Wird die Bibliothek in Ferienzeiten mehr oder weniger als sonst besucht? Während der Sommerferien lautet die Antwort: Viel mehr. Letztens sagte ich: „Jetzt ist es wie in Berlin“. Woher kommt der Spruch? Ein Papa war vor einiger Zeit mit seinen beiden Mädels aus Berlin zu Besuch bei uns und bemerkte, dass nur so wenige Menschen da waren und es so ruhig ist. Es war ein ganz normaler Ausleihtag außerhalb der Ferien ohne Veranstaltung oder ähnliches. Was würde er wohl jetzt sagen? Mit Beginn der Ferien wurde der Bücherflohmarkt eröffnet, der Lesesommer XXL war in vollem Gange, wir können wieder Neuanschaffungen tätigen und damit die langen Wunschlisten erfüllen. Viele Neuanmeldungen, die sofort ausleihen möchten – bei den Benzinpreisen absolut verständlich. Unsere Leser nehmen einige Kilometer in Kauf. Sie kommen aus Burgstall, Dolle, Ivenrode - also erfolgt die Aufnahme während der Öffnungszeit. Die Besucher des Bücherflohmarktes möchten abkassiert werden.

Das Buch wurde vor Jahren totgesagt. Es ist noch immer da. Ich hoffe, es bleibt.

Neue, super gut erhaltene Medien, werden für den Bücherflohmarkt gebracht. Die Teilnehmer am Lesesommer wollen sich an der Litfaßsäule verewigen, wissen aber nicht wie. Leser, deren Medienwünsche erfüllt und darüber informiert wurden, möchten diese jetzt abholen. Daneben die ganz „normalen“ Leser, die über gute Literatur beraten werden möchten…. Es entstehen Warteschlangen und es ist nicht leise. Wie in Berlin.

Der Mittwochvormittag ist den Ferienhorten der Verbandsgemeinde vorbehalten. Zielitz und Rogätz waren schon da. Am kommenden Mittwoch erwarten wir Angern. In diesem Jahr haben wir ein Literaturprojekt zu Janoschs „Oh wie schön ist Panama“ entwickelt. Es ist ganz viel los. Aber es macht super viel Spaß. An einem Spitzentag waren 200 Leute da, wenn wir es geschafft haben, wirklich alle mit dem manuellen Klicker zu zählen.

Was macht für Sie die Bibliothek so besonders?In erster Linie sind es die Menschen, die uns so viel zurückgeben. Die Freude, die wir erleben, wenn ihre Medienwünsche erfüllt werden. Eine Leserin sagte einmal, nachdem sie als erste das von ihr gewünschte Buch ausgeliehen bekam: „Das ist wie ein Geschenk“. Oder Kinder, die uns verraten, dass sie jetzt viel besser lesen können oder mit Nachdruck nachfragen, wann denn nun endlich wieder Lesenachmittag ist.

Diese Bibliothek ist auch deshalb besonders für mich, weil ich sie mir vorstellen durfte. Ich habe meine Wunschbibliothek als naive Skizze aufgemalt. Habe erlebt, wie aus einer abstrakten Zeichnung ein Bauwerk entstand. Ich habe bei der Ausstattung mitwirken dürfen. Ich habe sie mit einweihen dürfen und danach gemeinsam mit allen unseren Lesern dem noch leblosen großen Baukörper Leben eingehaucht.

Und das geht nicht allein. Das ist nur mit Menschen möglich, die für die gleiche Sache brennen. Als die Bibliothek noch eine One-Person-Library war, hatte ich von Anfang an ehrenamtliche Unterstützer. Es kamen mit dem Neubau immer mehr dazu. Seit 2010 haben wir einen Förderverein. Den haben andere Bibliotheken auch. Aber ich glaube trotzdem, dass wir den weltbesten haben. Die Mitglieder unterstützen, egal ob es Kinder- oder Abendveranstaltungen sind; ob schwere Kisten für den Bücherflohmarkt geschleppt und ausgepackt oder leckere Canapés zuzubereiten sind.

Mein lang gehegter Traum ist es, Menschen zu gewinnen, die Lesepaten werden möchten.

Unser Bibo-Team besteht derzeit aus vier zuverlässigen, motivierten Frauen, die im Rahmen einer geringfügigen Stelle und zwei über den Bundesfreiwilligendienst angestellt sind und mir selbst als Vollzeitbeschäftigte. Gern nehmen wir Praktikanten, Schüler, Studenten und Erwachsene.

Wenn Sie sich etwas für die Einrichtung wünschen könnten: Was wäre das?Vor dem Hintergrund der katastrophalen Ergebnisse der Studie über die Lesefähigkeit unserer Kinder, ist Leseförderung wichtiger denn je. Mein lang gehegter Traum ist es, Menschen zu gewinnen, die Lesepaten werden möchten. Lesepaten betreuen Schüler mit besonderen Leseförderbedarf in Kleinstgruppen mit maximal zwei Schülern. Wer sich angesprochen fühlt, kann sich gern in der Bibliothek melden.

Nach 14 Jahren gibt es baulich einiges zu erneuern. Zum Beispiel fällt mir sofort der von den vielen Veranstaltungen weinfleckige Fußbodenbelag ein. Ich wünsche mir junge personelle Verstärkung, die einen neuen Blick auf Bibliothek und Lust auf Ausprobieren mitbringt.

Fazit: Wir haben großes Glück, in einer Gemeinde zu arbeiten, die gute Gewerbesteuereinnahmen hat und Kommunalpolitiker, die optimistisch in die Zukunft blicken und die vor allem offene Augen und Ohren für die Bedürfnisse der Menschen haben. Alles ist in Bewegung. Alles verändert sich. Aber eben nicht alles: Das Buch wurde vor Jahren totgesagt. Es ist noch immer da. Ich hoffe, es bleibt. Wir brauchen das Umblättern, den Geruch von Papier.