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Ausstellung in der Zerbster Essenzen-Fabrik zu Firmen auf der Weltausstellung 1893 Anhalt-Industrie: Das Wagnis Chicago

Von Helmut Rohm 13.08.2012, 03:27

An einem authentischen Ort ist die Ausstellung "Die anhaltische Industrie auf der Weltausstellung 1893 in Chicago" zu sehen. In der Zerbster Essenzen-Fabrik.

Zerbst l "Wenn ich Ihnen sage, dass das emotionale Epizentrum der anhaltischen Wirtschaftsgeschichte in den letzten Monaten in der Essenzen-Fabrik Zerbst lag, mögen Sie das für übertrieben halten - aus meiner Sicht war es absolut so", sagt am Sonnabendabend Ines Hildebrand zur Vernissage eben dort.

Letztendlich zehn Firmen aus Bernburg, Dessau und Zerbst wagten 1893 den Weg nach Übersee, um dem internationalen Publikum ihre Produkte zu präsentieren. Bei ihren Recherchen für einen geplanten Textbeitrag über anhaltische Firmen auf der Weltausstellung traf die Dessauer Archivarin Ines Hildebrand in einen Volksstimme-Beitrag auf die Namen "Stephanie Kölling" und "ehemalige Essenzen-Fabrik Zerbst".

"Am 12. Januar 2011 bekam ich den ersten Brief von Ines Hildebrand", erinnert sich Stephanie Kölling, deren Urgroßvater Friedrich Kölling die Zerbster Essenzenfabrik 1888 gründete und auch selbst Aussteller in Chicago war. In einem vierstündigen Gespräch im Sommer 2011 wurde die Idee geboren, eine Ausstellung zu gestalten. Und - diese an authentischem Ort in Zerbst zu präsentieren.

Die Essenzenfabrik hatte die beiden Weltkriege überstanden und bis 1967 produziert. Danach an den Staat verkauft, wurde sie vom VEB "Tierische Rohstoffe" genutzt. Nach der Wende begann der Verfall der Gebäude. Stephanie Kölling kaufte 2001 die Fabrik zurück und begannen mit engagierten Mitstreitern, darunter ihrem Cousin Fritz Kölling aus Karlsruhe, die Sanierung der Gebäude mit der Vision, ein Zentrum für Kultur- und Jugendarbeit aufzubauen.

Auf der Grundlage intensiver Recherchen, mit viel "Klinkenputzen", Telefonaten, Gesprächen, Bitten um finanzielle Unterstützung und Bereitstellung von Exponaten, dokumentiert die Ausstellung erstmals in dieser Komplexität die bedeutsame Rolle regionaler Wirtschaftsunternehmen in den 1890er Jahren und insbesondere deren Wirken in Verbindung mit der Weltausstellung in Chicago.

Auf großen Schautafeln wird übersichtlich und gut strukturiert, in einer ausgewogenen Balance zwischen Textbeiträgen und Bildmaterial, die Firmengeschichte meist bis in die heutige Zeit hinein beleuchtet. Es sei bemerkenswert, so Ines Hildebrand, dass "fast alle Firmen bis heute existent sind".

"Wussten Sie, dass die Essenzenfabrik Kölling Schmidt Zerbst in besten Zeiten etwa 20 eigene Marken an Likör-, aber auch Limonadenessenzen weltweit lieferte", fragte die Dessauer Archivarin bei der Vernissage mehr rhetorisch. Nein - die große Mehrheit der über 50 Gäste wusste das nicht, auch nichts Konkretes von anderen Betrieben.

Manchen ist vielleicht Hugo Junkers als ein Aussteller aus Anhalt bekannt. Aber wohl weniger Wilhelm Siedersleben Co., ein Betrieb des Landmaschinenbaus aus Bernburg, die Thermometerfabrik Wilhelm Uebe aus Zerbst, die Berlin-Anhaltische Maschinenfabrik (BAMAG) aus Dessau, die Deutsche Continental-Gasgesellschaft (DCGG) aus Dessau, die Knopffabrik Klein Klauder aus Dessau, die Zementmaschinenfabrik Gottfried Polysius aus Dessau, der Hofschlossermeister Carl Köckert, der als einziger Handwerker aus Dessau in Chicago war, die Gebr. Sachsenberg aus Roßlau, -Vorster Grünberg aus Leopoldshall oder das Verkaufssyndikat der Kaliwerke Leopoldhall/Stassfurt.

Die interessante Ausstellung gibt viele Antworten, macht bisher kaum Bekanntes öffentlich, ermöglicht, intensiver in die heimische Wirtschaftshistorie einzudrin- gen.

So wird unter anderem auch dargestellt, dass fast alle sich in Chicago präsentierenden anhaltischen Firmen eigene Labore und Versuchsfelder betrieben und über Konstruktionsbüros und Werkstätten verfügten. "Es wurde intensiv geforscht, entwickelt, patentiert und auch in der Fachwelt publiziert", bringt es Ines Hildebrand auf den Punkt. Einige von ihnen wurden später echte Global Player.