1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Zerbst
  6. >
  7. Mary ist Lukas Helfer für alle Fälle

Assistenzhund Mary ist Lukas Helfer für alle Fälle

Der behinderte Lukas hat eine treue Begleiterin auf vier Pfoten an seiner Seite: die Hündin Mary. Hilfe kam auch aus Deetz.

Von Simone Pötschke 31.07.2017, 11:00

Parchen/Deetz l In der Welt des sechsjährigen Lukas scheint heute die Sonne. Etliche Therapien liegen hinter ihm, Ruhe kehrt in sein Zimmer ein. Dass er in seinem Zimmer entspannt singt, ist für seine Mutter Stephanie, die ihren schwerbehinderten Sohn mit Hingabe pflegt, beruhigend. Mary, eine Labrador-Hündin, leistet Lukas Gesellschaft, ruhig, unaufdringlich, aber mit wachem Hundesinn. Mary ist einfach da.

Stephanie Fleischmann, eine gelernte Krankenschwester, leistet mit der Pflege ihres Sohnes täglich einen aufopferungsvollen Fulltime-Job. Der sechsjährige Lukas ist ein Früchen, kam in der 23. Schwangerschaftswoche in der Uni-Klinik Magdeburg mit einem Gewicht von 600 Gramm zur Welt. Er wird das Laufen nicht erlernen, wird zwölfmal rund um die Uhr mit einer Sonde ernährt und muss mit einem schweren Anfallleiden leben. Vor allem in der Nacht krampft Lukas.

Stephanie Fleischmann hat gelernt zu kämpfen, wenn es um das Wohl ihres Sohnes geht. „Als Lukas aus der Klinik entlassen wurde, sagten uns die Ärzte klipp und klar, was uns erwarten würde. Als wir ihn mit nach Hause genommen haben, wussten wir, dass er zeitlebens ein Pflegefall sein wird. Trotzdem kam eine Heimunterbringung für uns nie in Frage“, sagt Stephanie Fleischmann.

Die Erfahrungen, die Stephanie Fleischmann bei der Betreuung ihres Sohnes gesammelt hat, sind ernüchternd. Es gebe im Alltag viele Klippen, die Behörden, Ämter und Krankenkassen aufbauten, weiß die zweifache Mutter. Es gebe immer noch viele Steine, die Behinderten in den Weg gelegt werden, stellt die Parchenerin mit Bedauern fest.

Dennoch: Wenn es um das Wohl ihres Sohnes geht, das haben die Fleischmanns gelernt, ist eine große Portion Engagement und Eigeninitiative, aber auch die Bereitschaft gefragt, ungewöhnliche Wege zu gehen. Letztere ließ die wohl ganz besondere Beziehung zwischen Lukas und der inzwischen drei Jahre alten Assistenzhündin Mary wachsen.

Im Internet machte sich das Ehepaar Fleischmann zunächst kundig, was ein Assistenzhund an der Seite ihres Sohnes leisten kann. Es sei ein Glücksfall gewesen, erzählt Stephanie Fleischmann, hier in der Region, in Ringelsdorf, eine Hundetrainerin ausfindig gemacht zu haben, die dem Deutschen Berufsverband für Therapie- und Behindertenbegleithunde angehört. Schon beim Kauf des Welpen und später bei seiner Ausbildung stand sie der Familie, zu der auch die achtjährige Emely gehört, zur Seite.

Einen Assistenzhund gab es allerdings nicht zum Nulltarif. Alles andere als das, jedenfalls gab es keinen Cent Bezuschussung von der Krankenkasse. Für Stephanie Fleischmann ist das kein leichtes Gesprächsthema. Die Krankenkasse hätten ihre Ablehnung damit begründet, dass auch Maschinen gewisse Hilfeleistungen erbringen könnten. Lukas Eltern haben sich davon nicht abschrecken lassen. Für den Erwerb des gut veranlagten Welpen, der aus einer Zucht aus Gardelegen stammt, und die Ausbildung zum Assistenzhund musste die Familie aus eigenen Mitteln 25 000 Euro aufbringen.

Die Familie hat fest daran geglaubt, dieses Geld auf den Tisch legen zu können. „Wir haben das dank privater Spenden und der finanziellen Unterstützung des Arbeitgebers meines Mannes, der Vries Woud KG in Deetz, geschafft“, sagt eine mehr als zufriedene Stephanie Fleischmann.

Mit Mary, die zunächst das A und O der Hundeschule, das Apportieren und darauf aufbauend nach und nach Befehle wie „rechts“ und „links“ vermittelt bekam, folgte die hohe Schule der Assistenz-Ausbildung. Stephanie Fleischmann erklärt das Prinzip ganz einfach. „Stein auf Stein baut man eben ein ganzes Haus“. Wöchentlich erteilte die Trainerin bei Fleischmanns daheim Lektionen und schaut auch jetzt noch hin und wieder vorbei.

Mary, die laut Stammbaum eigentlich einen ganz anderen Namen trägt, aber ihren Rufnamen nach Lukas Lieblingsfilmfigur Mary Poppins erhalten hat, wurden geistige und kooperierende Arbeiten gelehrt. Während dieser Ausbildungszeit nahm die Familie an vier Seminaren teil, zwei davon für jeweils drei Tage in Nordrhein-Westfalen, zwei weitere zu Hause in Parchen.

Der Ausbildungserfolg der Spürnase bedeutet einen großen Schritt in der Betreuung von Lukas. Mary, die im gleichen Raum wie der Sechsjährige schläft, kann an den Veränderungen des Schweißes von Lukas erschnuppern, dass ein schwerer Anfall bevorsteht. Tritt dies ein, sucht sie über die Treppe das Schlafzimmer von Herrchen und Frauchen im Dachgeschoss auf und schuppst sie mit der Nase wach, so dass die Eltern ihrem Sohn zur Hilfe eilen können.

Übrigens kommen solche Hunde - nach entsprechender Ausbildung - auch bei Kindern zum Einsatz, die an schwerer Diabetes leiden. Die Vierbeiner sind bei den kleinen schlafenden Patienten in der Lage, Vorboten eines Zuckerschocks zu „erschnüffeln“ und Hilfe zu holen.

Mary hat allerdings noch mehr drauf, um sich als verlässlichen Begleiter des schwerbehinderten Lukas zu qualifizieren. Ist das Geschirr angelegt, stellt sie auf den Arbeitsmodus. Sie ist beispielsweise beim An- und Ausziehen von Lukas behilflich, öffnet und schließt Schubladen oder Türen. Bekannte seien oft der Annahme, dass bei der Nähe, die Mary zur Familie hat, sich der Vierbeiner schon mal Essen vom Tisch hole oder sich sonstige Eskapaden leisten würde. „Das tut sie nicht, so ist sie erzogen“, antwortet Stephanie Fleischmann mit konsequenter Stimme.

Wenn Mary an der Seite von Lukas ist, sei ihr Sohn wesentlich entspannter und aggressionsfreier als in anderen Situationen, erzählt Stephanie Fleischmann. Ein treuer und zuverlässiger Partner sei die Labrador-Hündin auch, wenn Wege nach Genthin erledigt werden müssten, berichtet Stephanie Fleischmann. In vielen, aber längst nicht allen Genthiner Geschäften seien sie mittlerweile schon ein willkommenes Trio.

Dass auf Mary in jeder Beziehung Verlass ist, macht die gebürtige Parchenerin an einer Episode fest, die sich in der Filiale der Sparkasse in Genthin ereignet hat.

„Wenn ich mit Lukas im Rollstuhl und Mary an seiner Seite die Filiale betreten, ist das eine ganz alltägliche Situation, die allen Mitarbeitern der Sparkasse bekannt ist.“ Kürzlich habe sich aber ein Kunde über die Anwesenheit des Hundes in der Schalterhalle lautstark und sehr unangenehm echauffiert. Mary habe sich daraufhin in Abwehrhaltung vor Lukas gestellt, um ihn zu beschützen.

Nach wie vor schwierig sei es, einige Großmärkte mit Mary zu betreten. In einigen sei es erlaubt, in anderen wiederum nicht. Selbst unter dem Dach eines deutschlandweit agierenden Marktes werde ein Zutritt unterschiedlich gehandhabt. „Das wirkt auf mich sehr befremdlich“, sagt Stephanie Fleischmann.

Aber es gebe auch Zeiten, da dürfe Mary auch einfach Hund sein, im Garten tollen oder sich auf dem Grundstück vergnügen. Wie jeder anderer Hund schlägt Mary bei Fremden an - bis zum Kommando, das Bellen einzustellen.

Mary wird etwa bis zu ihrem zehnten Lebensjahr als Assistenzhund eingesetzt werden können, bevor sie dann im Hause Fleischmann ihren Lebensabend verbringen wird. „Günstig wäre es in sieben bis acht Jahren, wenn schon ein Nachfolger im Welpenalter bei Mary in „die Lehre gehen könnte“, blickt Lukas‘ Mutter in die Zukunft.