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Aufnahme vom Markt/Ecke Schleibank weckt zahlreiche Erinnerungen Ausflug an Apotheken-Tresen vor 70 Jahren

Von Thomas Drechsel und Philipp Queitsch 16.02.2013, 01:17

Unser Heimatfotorätsel in dieser Woche war nicht nur für Ur-Zerbster eine einfache Sache - zeigte das historische Bild doch die Rats- und Stadt-Apotheke, ein Gebäude im Herzen der Stadt.

Zerbst l Brigitte Ließmann kennt Zerbst erst nach den Fliegerangriffen im Zweiten Weltkrieg und hat sich die Lösung quasi "zusammengepuzzelt". "Auf dem Foto habe ich eine ganz kleine Ecke des Rolands erkannt. Zusammen mit anderen kleinen Details musste es einfach der Markt sein", berichtet sie.

Lisbeth Straube, die in jeder Woche fleißig miträt, ist als Kind oft mit ihren Eltern im Auto an der Apotheke vorbeigefahren. "Das war die Apotheke von Julius Voigtländer", erinnert sie sich noch gut.

Auch Margrit Weimeister aus Deetz kennt den ehemaligen Apotheker noch sehr gut. "Ich war mit seiner Tochter befreundet, und wenn der Hals mal kratzte, gab uns Herr Voigtländer immer ein Bonbon zum Lutschen", blickt sie zurück. In dieser Zeit haben sie und ihre Freundin deswegen ungewöhnlich oft an "Halsschmerzen" gelitten.

"Zwei Häuser weiter gab es ein Handarbeitsgeschäft", weiß Elfriede Hoffmann aus Straguth. Sie und ihr Vater kauften einst dort eine Decke für die Mutter zu Weihnachten.

Gertrud Schroeter ist Zerbsterin und radelte als Kind immer, wenn jemand aus der Familie krank war, zur Apotheke von Julius Voigtländer. "Das Besorgen der Medikamente war immer meine Aufgabe", erinnert sie sich.

Das Apotheken-Geschehen zu Zeiten unserer Aufnahme

Die Apothekersfamilie Voigtländer ist insbesondere unserer Leserin Gerda Rey gut bekannt. Frau Rey absolvierte bei diesem Apotheker im oben sichtbaren Gebäude 1939 ihr Mädchen-Pflichtjahr. Daraus ergab sich eine Festanstellung und ein Berufsleben als Apotheken-Facharbeiterin, das bis 1982 anhielt und immer in der "Rats- und Stadt-Apotheke" von Zerbst spielte. Frau Rey erzählt gestern mit großer Leidenschaft und bewegten Worten von der Zeit seit damals.

Mit einem guten Zeugnis der Mittelschule in der Tasche, wurde sie 1939 vom Apotheker angesprochen, das seinerzeit übliche Mädchenpflichtjahr bei ihm zu absolvieren. "Normalerweise gingen die Mädchen in die Landwirtschaft. Ich nahm den Vorschlag an. Und als die Zeit als Pflichtjahrmädchen vorbei war, fragte mich Herr Voigtländer, ob ich nicht richtig anfangen wolle. Nein, da stinkt\'s, hab ich geantwortet, und Herr Voigtländer hat sich kaputtgelacht. Und mir angeboten, in der Buchhaltung anzufangen. Das passte zu meinem Plan, erst einmal auf die Handelsschule zu gehen." 1941 fing Gerda Rey dann als Helferin in der Rats- und Stadt-Apotheke an der Ecke Markt/Schleibank an. Damals gab es in Zerbst zwei Apotheken: die große Rats- und Stadt-Apotheke und eine kleinere gegenüber dem Turm der Bartholomäikirche.

Apotheker konnte man 1940 nicht erlernen, sondern nur studieren. Das änderte sich zwei Jahre später, als der "Facharbeiter Apotheker" eingeführt wurde. "Da waren teilweise Leute bei der Prüfung dabei, die waren schon 20 Jahre im Beruf. Die wussten genau Bescheid. Sie erhielten einen Prüfungsschein, das war eigentlich kein Zeugnis."

Frau Rey interessierte sich längst nicht nur für die buchhalterischen Belange der Apotheke. "Wir hatten ein eigenes Labor, sogar einen Laboranten beschäftigt. Und natürlich wurden viele Arzneien selbst hergestellt. Pülverchen wurden eingetütet, Pillen gedreht, die Apotheke hatte sogar eine Tubenauffüllmaschine. Das alles geschah im so genannten Handverkauf. Da war auch der Tee-Verkauf dabei, natürlich lose. Andererseits wurde in den Apotheken auch mit diversen Duftwässern gehandelt. Der Handverkauf war also ein weites Feld. Heute wird ja kaum noch etwas eigenständig hergestellt", erzählt die 89-Jährige aus einer früheren Zeit.

Seinerzeit hat sich auch die Ärzteschaft direkt bei den ortsansässigen Apotheken eingedeckt. "Wir unterhielten Kontakte zu den Praxen, aber auch zu den Herstellern. Die Pflasterfabrik Gorgaß in der Magdeburger Straße beispielsweise war ein solcher Partner", berichtet Frau Rey. Sie hatte zum Monatsende hin immer die Arztpraxen aufzusuchen, um dort die Rezepte abzugleichen. "Die Ärzte selbst waren auch längst nicht so freizügig wie heute. Mancher hat da seinem Patienten die Verbände und Arznei genau für einen Tag mitgegeben. Und früher gab es auch kaum Antibiotika. Die Arzneimittel gingen in der Regel auf Kräuter und Heilpflanzen zurück, oft kombiniert mit homöopathischen Mitteln. Und ich erinnere mich beispielsweise an die kleinen Aconit-Fläschchen. Die gab es nur in Apotheken. Damals für 59 Pfennige, heute für weit über fünf Euro. Und es ist dasselbe drin. Ich muss da oft schmunzeln."

In ihrer Funktion als Apotheken-Buchhalterin kam ihr die seinerzeit einfach strukturierte Krankenkassen-Landschaft zugute. "Die Ortskrankenkasse war um die Ecke auf der Schleibank. Wir hatten nie Trödel wegen irgendwelcher Abrechnungen. Und das Buchwerk hat auch immer gestimmt. Es gab damals auch nur die AOK." Am 16. April 1945 versank Zerbst und auch die Apotheke auf dem Markt im Bombenhagel der Alliierten. "Das Haus hatte ein ganz tiefes Kellergewölbe. Hier lagerten viele Vorräte der Apotheke in vielen hohen Gefäßen. Die sind alle heil geblieben."

Doch das Gebäude brannte aus. Der Apotheker zog um in das Haus Schwaedt, wo einzelne Regale des vormaligen Spielwarenladens durchaus brauchbar geblieben waren. "Und von dort sind wir wenig später in ein Haus schräg gegenüber umgezogen." Das war das Haus Markt 14, wo im Nebengebäude eine Kfz-Werkstatt eingerichtet war. 1951 war die Apotheke dann verstaatlicht, die Apothekerfamilie Voigtländer zog in den Westen Deutschlands. Die Apotheke zog auf die Alte Brücke an den heutigen Standort. "Zuvor war das ein Reformhaus." Hier arbeitete Frau Rey bis 1982 als Apotheken-Facharbeiterin.

Welches ihr liebster Apotheken-Standort war? "Natürlich das Haus Ecke Schleibank! Der herrliche Giebel zur Schleibank, die tiefen Räume, der hohe Dachboden mit den vielen Kräutern und Heilpflanzen! Der Blick aus dem Fenster hinaus auf das Rathaus, den Markt, die Schleibank. Ich habe noch die Zeichnungen vor Augen, die Apotheker Voigtländer nach dem Krieg hat anfertigen lassen. Er wollte das Gebäude wieder neu aufbauen. Aber damals wurde alles weggerissen, obwohl es sicher auch wieder hätte aufgebaut werden können."

Eckhaus war nicht immer "Rats- und Stadtapotheke"

Unser Leser Robert Walk aus Zerbst steuerte ein historisches Foto, wahrscheinlich aus der Zeit kurz nach der Jahrhundertwende, bei. Darauf trägt das Gebäude die Bezeichnung "Privileg. Rathaus Apotheke". Dazu Frau Rey: "Die Apotheker benötigten eine Approbation, also ein Privileg. Vielleicht ist das gemeint. Ich selbst kenne das Haus mit einem solchen Schriftzug jedoch nicht mehr."

Leser Walk erinnert sich gut an die Schleibank der 60-er Jahre: "Von der Ecke Salzstraße kam zuerst ein zerbombtes Gebäude, daneben hatte sich Otti Schubert seine Sattler-Werkstatt eingerichtet. Danach zum Markt hin war der Steinmetz Rohkohl in einer provisorischen Werkstatt. Dann kam eine kleine Lücke und darauf folgte die Baracke mit dem Russenmagazin."

Das Dankeschön der Volksstimme fürs Mitmachen beim Heimaträtsel geht heute in Form eines Frühstücks-Kaffeepotts an Gerda Rey, Zerbst.