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Konflikt  Ex-Ministerpräsident schaltet sich ein

Dem Deetzer Gänsehalter Matthias Mösenthin drohen im kommenden Jahr weitere Auflagen vom Landkreis.

Von Thomas Höfs 26.12.2017, 00:01

Deetz l Nach Frühling, Sommer und Herbst auf einem Maisfeld bei Deetz, sind die Gänse für das Weihnachtsfest fertig. Landwirt Matthias Mösenthin hat die Gänsehaltung für dieses Jahr abgeschlossen. Erst im kommenden Frühling beginnt sie erneut mit Küken, sagt er.

Große Sorgen macht er sich, ob die Gänsehaltung, wie er sie bislang – wie viele Freilandgänsehalter in der Republik – praktizierte, überhaupt noch möglich ist. Mit Datum vom 11. Dezember hat ihm die Kreisverwaltung von Anhalt-Bitterfeld einen neuen Bescheid geschickt. Darin wird ihm die Fütterung der Tiere im Freien untersagt. Nur noch geschützt dürfen die Tiere die Nahrung bekommen. Außerdem soll der Landwirt das sechs Hektar große Maisfeld im kommenden Jahr mit engmaschigen Netzen überspannen und seitlich sichern. Das Eindringen von Wildvögeln soll verhindert werden, heißt es.

Die überdachten Futterstellen auf dem Feld reichen der Behörde nicht mehr aus. Als Begründung für die angeordneten Maßnahmen führt die Behörde eine Beobachtung an, die die Mitarbeiter des Veterinäramtes am 26. Oktober vor Ort machten. Damals habe ein Vogelschwarm das Feld überflogen, heißt es. In der Nähe befinden sich Vogelschutzgebiete, in denen zu den Vogelzugzeiten viele Wildvögel rasten, heißt es weiter. Sollte sich der Landwirt der Verfügung nicht beugen, droht der Landkreis mit einem Zwangsgeld in Höhe von 10 000 Euro.

Fassungslos sitzt Matthias Mösenthin über dem Papier aus der Kreisverwaltung. In den vergangenen Tagen hat er sich bei anderen Gänsehaltern im Land Sachsen-Anhalt erkundigt, ob sie dort ähnlichen Verfügungen unterworfen seien. „Fehlanzeige“, sagt er. Im südlichen Landesteil sei erst kürzlich ein Gänsehalter vom Landesverwaltungsamt zertifiziert worden. Im Nachbarkreis kennt er ebenfalls einen Betrieb, der bislang keinen Restriktionen unterworfen sei. „Was hier passiert, ist bundesweit einzigartig“, sagt er.

Gänse gelten als sehr robuste Weidetiere. Bei der Freilandhaltung werden die Gänse in der Regel im Maisfeld gehalten. Dabei erfüllt die Pflanze gleich mehrere Funktionen. Sie spendet den großen Vögeln Schatten. Außerdem dient sie ihnen als Futterpflanze. „Überall in der Bundesrepublik werden die Gänse so gehalten“, schildert er.

Der Landkreis beziehe sich bei seiner Anordnung auf die Geflügelpestverordnung. Die Bundesverordnung sei schlecht formuliert, erzählt er. Umstritten sei unter Fachleuten beispielsweise, ob die Verordnung dauerhaft gelte oder nur, wenn die Geflügelpest irgendwo ausgebrochen sei.

Von einer Freilandhaltung der Gänse könne kaum noch die Rede sein, wenn er über dem Feld engmaschige Netze spannen müsse, ist er überzeugt. Das Futter für die Geflügelzucht werde ebenfalls auf den Feldern angebaut. Dort gibt es ebenfalls den Kontakt zu Wildvögeln, sagt Matthias Mösenthin. „Im Prinzip dürfte dann niemand mehr Getreide an Geflügel verfüttern“, fasst er den Bescheid zusammen.

Müssen denn andere Geflügelhalter ebenfalls mit Einschränkungen rechnen, fragte die Redaktion beim Landkreis nach. „Jeder Halter, unabhängig des Standorts, hat die Vorgaben des Paragrafen 3 Geflügelpestverordnung einzuhalten, welche auch vorsorglich zur Anwendung kommen. Sollte bei Kontrollen festgestellt werden, dass private Halter von Geflügel ihre Tiere im Freien füttern, sind ebenfalls Auflagen zu erteilen“, teilt Kreissprecherin Marina Jank mit. Auch dürften die Tiere im kommenden Jahr weiter am Mais knabbern, wenn das Feld entsprechend geschützt sei vor Wildvögeln, teilt die Pressestelle mit.

Doch warum erlässt das Veterinäramt gerade jetzt einen neuen Bescheid? „Der Zeitpunkt ergibt sich aus dem laufenden Verfahren. Die Anordnung ist u. a. zur Verhütung künftiger Verstöße erforderlich“, teilt die Sprecherin mit.

Aufmerksam verfolgt der Bundesverband der bäuerlichen Gänsehalter den Vorgang in Anhalt-Bitterfeld. Mit einem Schreiben hat sich jetzt auch ein ehemaliger Spitzenpolitiker an Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) gewandt. Tierarzt Dr. Gerd Gies, erster Ministerpräsident des Landes Sachsen-Anhalt nach dem Mauerfall, hat den Deetzer Betrieb als Chef des Bundesverbandes Tierschutz kürzlich zertifiziert. An seinen Amtsnachfolger schreibt er nun, dass die Übertragungswege der Vogelgrippe weitgehend unklar seien. Die Rolle von Zugvögeln sei ebenfalls nicht geklärt. Die artgerechte Haltung der Gänse werde durch den Landkreis ab absurdum geführt, schreibt er weiter. „Der Fall Mösenthin wirft also eine Reihe weitergehender Fragen auf, die teils einer wissenschaftlichen, aber insbesondere einer politischen Lösung bedürfen. Ich wäre dankbar, wenn Sie das zum Anlass nehmen, eine unvoreingenommene Prüfung und Überarbeitung des Komplexes anzustoßen“, schreibt er an den Ministerpräsidenten.

In anderen Landkreisen, hat Matthias Mösenthin in Gesprächen mit dort tätigen Haltern erfahren, sehen die Veterinärämter die Situation deutlich entspannter.